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Das Urteil 6B_570/2025 des Bundesgerichts vom 5. November 2025 befasst sich mit einem Fall von Vergewaltigung und versuchten sexuellen Handlungen an einer widerstandsunfähigen Person sowie der Frage des teilweisen Strafvollzugs.
I. Sachverhalt und Verfahrensgeschichte
Der Beschwerdeführer A._ wurde vom Tribunal correctionnel de l'arrondissement de Lausanne zunächst von den Vorwürfen der Vergewaltigung und sexuellen Handlungen an einer widerstandsunfähigen Person freigesprochen. Die Beschwerdegegnerin B._ wurde auf den Zivilweg verwiesen.
Auf Beschwerde von B._ und der Staatsanwaltschaft hin revidierte die Cour d'appel pénale des Tribunal cantonal vaudois diesen Entscheid am 8. April 2025. Sie sprach A._ der Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 1 aStGB) und der versuchten sexuellen Handlungen mit einer widerstandsunfähigen oder urteilsunfähigen Person (Art. 191 aStGB) schuldig. Er wurde zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 36 Monaten verurteilt. Die Ausweisung aus der Schweiz sowie der Widerruf eines früheren, am 31. März 2022 gewährten bedingten Strafvollzugs wurden nicht angeordnet. Zudem wurde A._ zur Zahlung einer Genugtuung von 15'000 Franken an B._ verurteilt.
Dem Urteil der Appellationsinstanz lagen im Wesentlichen folgende Sachverhaltsfeststellungen zugrunde: A._ und B._ hatten Anfang September 2022 eine einvernehmliche sexuelle Beziehung. Am 23. September 2022 verbrachten sie den Abend in öffentlichen Lokalen und konsumierten Alkohol. Gegen 2:00 Uhr am 24. September 2022 begaben sie sich zu A._s Wohnung. Dort versuchte A._, B._ die Kleider auszuziehen und streichelte sie über der Kleidung an den Beinen, im Intimbereich, am Gesäss und an den Brüsten. Er versuchte sie zu küssen, obwohl sie ihm wiederholt sagte, sie wolle nicht, fühle sich nicht gut und sei zu betrunken ("non", "pas bien", "trop ivre"). Trotz ihrer ablehnenden Äusserungen zog A._ ihr die Hose aus, drehte sie auf den Bauch, legte sich auf sie und packte sie an den Hüften und an der Schulter. In dieser Position drang er mit seinen Fingern in sie ein, danach mit seinem Penis in ihre Vagina und vollzog Beischlaf. A._ versuchte auch, sie anal zu penetrieren, gab aber nach ihrer Gegenwehr auf. Daraufhin penetrierte er sie erneut vaginal und ejakulierte auf ihr Gesäss. Nach einigen Stunden Schlaf und in der Annahme, B._ schlafe, penetrierte A.__ sie erneut vaginal.
A.__, geboren 1994, französischer Staatsangehöriger, verfügt über eine frühere Verurteilung vom 31. März 2022 zu einer bedingt ausgesprochenen Freiheitsstrafe von 14 Monaten und einer Busse von 1'500 Franken wegen Verletzung der Verkehrsregeln und qualifiziert grober Verkehrsregelverletzung. Seine persönlichen Verhältnisse umfassen eine Verlobung/religiöse Eheschliessung, die alternierende Obhut für seine neunjährige Tochter sowie eine kürzlich abgeschlossene Ausbildung mit aktiver Stellensuche.
II. Die wesentlichen rechtlichen Argumente und die Begründung des Bundesgerichts
Der Beschwerdeführer focht die Verurteilung hauptsächlich mit der Rüge einer willkürlichen Sachverhaltsfeststellung und Verletzung der Unschuldsvermutung an und verlangte subsidiär einen teilweisen Strafvollzug.
1. Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung (Art. 97 Abs. 1, 105 Abs. 2 LTF, Art. 9 Cst., Art. 10 CPP, 32 Abs. 1 Cst., 14 Abs. 2 Pakt II, 6 Abs. 2 EMRK)
Das Bundesgericht weist zunächst auf seine Rolle als Rechtsinstanz hin. Es ist an die Sachverhaltsfeststellungen der kantonalen Vorinstanz gebunden, sofern diese nicht willkürlich (Art. 9 Cst.) oder unter Verletzung des Rechts erfolgt sind. Willkür liegt vor, wenn eine Entscheidung offensichtlich unhaltbar ist, nicht nur in ihrer Begründung, sondern auch im Ergebnis. Die Unschuldsvermutung und der Grundsatz "in dubio pro reo" bedeuten als Beweiswürdigungsregel, dass bei objektiven, ernsthaften und unüberwindbaren Zweifeln an einer Tatsache, diese nicht zum Nachteil des Angeklagten angenommen werden darf. Im Bereich der Beweiswürdigung hat "in dubio pro reo" keine weitergehende Bedeutung als das Willkürverbot (ATF 143 IV 500 E. 1.1). Die Beweiswürdigung muss als Ganzes betrachtet werden; die alleinige Unzulänglichkeit einzelner Beweiselemente führt nicht zur Willkür. Auch "Aussage gegen Aussage"-Situationen müssen nicht zwingend zu einem Freispruch führen (ATF 137 IV 122 E. 3.3).
Zur Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers: Die Vorinstanz hatte die Aussagen des Beschwerdeführers als "sehr wenig überzeugend" und "widersprüchlich" eingestuft, da er sein Narrativ ständig den Fragen angepasst habe. Das Bundesgericht bestätigt diese Einschätzung. Es stellt fest, dass die Widersprüche sich auf zentrale Punkte wie die Existenz und Anzahl der sexuellen Handlungen, die Kleidung, die Stellungen, die Verwendung von Kondomen und den Ablauf des folgenden Tages bezogen. Obwohl der Zeitablauf zu gewissen Ungenauigkeiten führen kann, sei es nicht willkürlich gewesen, die Zuverlässigkeit seiner Aussagen aufgrund der zahlreichen Widersprüche ernsthaft in Frage zu stellen. Das Bundesgericht stellt klar, dass A.__ die sexuellen Handlungen bereits vor Kenntnis der DNA-Ergebnisse eingeräumt hatte, was einer Behauptung des Beschwerdeführers widersprach, er habe seine Aussagen erst nach Vorliegen der DNA-Analyse angepasst.
Zur Glaubwürdigkeit der Beschwerdegegnerin: Der Beschwerdeführer rügte, die Beschwerdegegnerin sei nicht konstant gewesen. Das Bundesgericht bestätigt jedoch die Würdigung der Vorinstanz, wonach die Aussagen der Beschwerdegegnerin konstant, präzis und besonders glaubwürdig gewesen seien. Eine geringfügige Abweichung bezüglich der Menge des konsumierten Ecstasy (ein halbes statt ein Viertel) sei unerheblich. Die ärztliche Bescheinigung des CHUV vom 26. September 2022, die keine Spuren von Gewalt belegte, wurde als nicht widersprüchlich gewertet, da die Beschwerdegegnerin selbst angab, keine physischen Gewalttaten (Schläge) erlitten zu haben, sondern dass es um sexuelle Nötigung ging. Auch die Behauptung, ihr Realitätssinn sei durch den Drogenkonsum beeinträchtigt gewesen, wurde aufgrund der eigenen Aussagen des Beschwerdeführers, sie sei "assez normale" bzw. "vraiment normale" erschienen, verworfen.
Zum Verhalten der Beschwerdegegnerin nach den Taten: Der Beschwerdeführer kritisierte das Verhalten der Beschwerdegegnerin nach den sexuellen Übergriffen, insbesondere ihr Verbleiben in seiner Wohnung, das Duschen und positive Nachrichten an Freunde oder an ihn selbst. Das Bundesgericht schliesst sich der Vorinstanz an, wonach es nicht ungewöhnlich sei, dass ein Opfer nach einer Vergewaltigung beim Täter verbleibt, insbesondere unter Alkoholeinfluss, Müdigkeit und ohne sofortige Heimkehrmöglichkeit. Das Duschen sei im Zusammenhang mit dem Gefühl der "Unreinheit" nach einem solchen Erlebnis plausibel. Hinsichtlich des weiteren Verbleibs nach dem zweiten Übergriff am Morgen (gegen 9:30 Uhr), das Einschlafen bis gegen 12:30 Uhr, die "gute Nacht"-Nachricht an eine Freundin und die Nachricht an den Beschwerdeführer, sie habe die Nacht "kiffé", verweist das Bundesgericht auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Diese belegen, dass Opfer traumatischer Erlebnisse wie einer Vergewaltigung oft einen Schock- oder Lähmungszustand erleben, der sie zunächst daran hindert, sich jemandem anzuvertrauen. Scham- und Schuldgefühle können dazu führen, dass sexuelle Übergriffe erst Jahre später gemeldet oder durch Dritte bekannt gemacht werden (ATF 147 IV 409 E. 5.4.1; BGE 6B_1149/2014 E. 5.9.2). Das kantonale Gericht ging von einem solchen dissoziativen Zustand aus, in dem das Opfer versucht habe, sich selbst davon zu überzeugen, dass nichts Ungewöhnliches passiert sei. Diese Analyse wurde vom Beschwerdeführer nicht substanziiert in Frage gestellt. Das Bundesgericht bestätigt, dass es nicht willkürlich war, das Verhalten des Opfers in diesem Kontext zu würdigen.
2. Materielle Rechtsanwendung (Art. 190, 191 aStGB)
Da der Beschwerdeführer keine spezifischen rechtlichen Rügen bezüglich der Erfüllung der Tatbestandsmerkmale der Vergewaltigung und der versuchten sexuellen Handlungen an einer widerstandsunfähigen Person vorbrachte, sondern lediglich auf die bereits abgewiesenen Sachverhaltsrügen verwies, geht das Bundesgericht auf diese Rügen nicht weiter ein (Art. 42 Abs. 2 LTF). Die Verurteilung in Bezug auf die Delikte wird somit bestätigt.
3. Teilweiser Strafvollzug (Art. 43 Abs. 1 StGB)
Subsidiär rügte der Beschwerdeführer die Verweigerung des teilweisen Strafvollzugs für die 36-monatige Freiheitsstrafe.
Rechtliche Grundlagen: Das Bundesgericht erläutert, dass Art. 43 Abs. 1 StGB (teilweiser Strafvollzug bei Freiheitsstrafen von 1 bis 3 Jahren) autonom zur Anwendung kommt, wenn die Strafe zwischen zwei und drei Jahren liegt (ATF 144 IV 277 E. 3.1.1). Die subjektiven Voraussetzungen des Art. 42 Abs. 1 StGB (Prognose der Nicht-Rückfälligkeit) gelten auch für den teilweisen Strafvollzug. Eine ungünstige Prognose schliesst den teilweisen Strafvollzug aus. Bei der Prognose hat der Richter ein weites Ermessen, das vom Bundesgericht nur bei Missbrauch oder Überschreitung überprüft wird (ATF 145 IV 137 E. 2.2). Das Fehlen von Einsicht in das Unrecht kann eine ungünstige Prognose rechtfertigen (BGE 6B_820/2022 E. 2.1). Die Warnwirkung eines teilweisen Vollzugs bei Ersttätern ist ebenfalls ein relevanter Faktor (ATF 144 IV 277 E. 3.1.1).
Kantonale Begründung und Kritik des Bundesgerichts: Die Vorinstanz hatte die Prognose als ungünstig eingestuft, basierend auf der früheren Verurteilung des Beschwerdeführers und der "totalen fehlenden Einsicht" in die Schwere und die Konsequenzen seiner Taten. Das Bundesgericht rügt diese Begründung als Ermessensmissbrauch:
Aufgrund dieses Ermessensmissbrauchs erachtet das Bundesgericht die Rüge des Beschwerdeführers bezüglich des teilweisen Strafvollzugs als begründet. Es hebt das kantonale Urteil in diesem Punkt auf und weist die Sache zur Neubestimmung der Prognose und der Frage des teilweisen Strafvollzugs an die Vorinstanz zurück.
III. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte
Das Bundesgericht bestätigt die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Vergewaltigung und versuchter sexueller Handlungen an einer widerstandsunfähigen Person. Die Rügen bezüglich willkürlicher Sachverhaltsfeststellung und Verletzung der Unschuldsvermutung werden abgewiesen. Das Bundesgericht stützt die kantonalen Feststellungen zur Unglaubwürdigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers sowie zur Glaubwürdigkeit der Beschwerdegegnerin. Insbesondere wird das Verhalten des Opfers nach der Tat (Verbleib am Tatort, Nachrichten) im Kontext eines möglichen dissoziativen Zustands als glaubhaft anerkannt.
Jedoch gibt das Bundesgericht dem Beschwerdeführer in Bezug auf die Verweigerung des teilweisen Strafvollzugs Recht. Die kantonale Instanz hat ihr Ermessen missbraucht, indem sie irrelevante frühere Verkehrsdelikte für eine ungünstige Prognose heranzog und die positiven persönlichen Umstände des Beschwerdeführers sowie die Warnfunktion eines teilweisen Strafvollzugs unberücksichtigt liess. Die Sache wird zur Neubeurteilung der Prognose für den teilweisen Strafvollzug an die Vorinstanz zurückgewiesen.