Zusammenfassung von BGer-Urteil 8C_221/2025 vom 10. November 2025

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Gerne, hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils 8C_221/2025 des Schweizerischen Bundesgerichts vom 10. November 2025:

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils 8C_221/2025 des Schweizerischen Bundesgerichts

1. Einleitung und Streitgegenstand

Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts betrifft einen Rekurs in öffentlich-rechtlicher Angelegenheit gegen einen Entscheid des Kantonsgerichts Waadt vom 13. März 2025. Streitgegenstand ist der Anspruch des Beschwerdeführers A.__ auf eine Integritätsentschädigung (IE) nach Art. 24 und 25 des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (UVG) in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Verordnung über die Unfallversicherung (UVV) für eine Verletzung am linken Knie. Eine IE von 10% für die Folgen eines früheren Arbeitsunfalls aus dem Jahr 2005 (Lendenwirbelfraktur) ist unbestritten; strittig ist die zusätzliche IE für einen Unfall am 6. Oktober 2015, bei dem der Beschwerdeführer von einer Stehleiter fiel und sich das linke Knie an einem Möbelstück stiess.

2. Sachverhalt und Prozessgeschichte

  • Unfall 2005: A.__ erleidet eine L1-Wirbelkörperfraktur, die von der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (CNA) übernommen wird und zu einer Integritätsentschädigung von 10% führt.
  • Unfall 2015: Am 6. Oktober 2015 stürzt A.__ und stösst sich das linke Knie an einem Möbelstück. Eine MRI-Untersuchung vom 10. Februar 2016 zeigt u.a. eine Meniskopathie Grad II (ohne Riss der hinteren Innenmeniskushörner) und Grad I (Aussenmeniskus).
  • Operation 2016: Am 13. Juni 2016 unterzieht sich der Beschwerdeführer einer selektiven antero-externen Meniskektomie sowie einer Chondroplastik am linken Knie, durchgeführt von Dr. B.__. Die CNA übernimmt die Kosten für diese Abklärungsmassnahme.
  • CNA-Entscheide:
    • 14. Mai 2020: Die CNA spricht eine IE von 15% zu (10% für die Lendenwirbelsäule, 5% für das linke Knie).
    • 19. August 2020: Dr. B.__ erstellt einen medizinischen Bericht, der eine IE von 15% für die Kniebeschwerden befürwortet.
    • 6. Januar 2021: Eine CNA-interne Gutachterin, Dr. D.__, kommt zum Schluss, dass die Knieverletzung lediglich eine Kontusion auf degenerativer Basis darstelle und keine IE rechtfertige.
    • 12. Februar 2021: Gestützt auf die Beurteilung von Dr. D.__ reformiert die CNA ihren ursprünglichen Entscheid und spricht nur noch eine IE von 10% für die Folgen des Unfalls von 2005 zu, lehnt jedoch eine IE für das Knie ab.
  • Kantonale Instanz:
    • 27. Februar 2023: Das Kantonsgericht Waadt weist den Rekurs des Beschwerdeführers gegen den CNA-Entscheid vom 12. Februar 2021 ab.
    • 19. März 2024 (Bundesgericht): Das Bundesgericht hebt den kantonalen Entscheid auf und weist die Sache zur Einholung eines gerichtlichen Medizinalgutachtens sowie zur Entscheidung über die Kosten des Berichts von Dr. B.__ an die Vorinstanz zurück (Urteil 8C_208/2023).
    • 20. September 2024: Der gerichtliche Gutachter, Dr. E.__ (Spezialist für Orthopädische Chirurgie), kommt zum Schluss, dass der Unfall von 2015 keine dauerhafte und erhebliche Integritätsbeeinträchtigung des Knies verursacht habe.
    • 21. Januar 2025: Der Beschwerdeführer reicht ein privates Gutachten von Prof. F.__ (ebenfalls Spezialist für Orthopädische Chirurgie) ein, das eine IE von 15% für das Knie befürwortet und die Erstattung seiner Kosten beantragt.
    • 13. März 2025: Das Kantonsgericht weist den Rekurs erneut ab, bestätigt den CNA-Entscheid vom 12. Februar 2021 und lehnt die Erstattung der Kosten für die Berichte von Dr. B._ und Prof. F._ ab.
  • Bundesgericht (vorliegendes Urteil): Der Beschwerdeführer legt erneut Beschwerde beim Bundesgericht ein, beantragt eine IE von 15%, hilfsweise die Aufhebung des Urteils und die Rückweisung zur Einholung eines weiteren Gutachtens, sowie die Erstattung der Kosten für die Berichte von Dr. B._ (CHF 250.-) und Prof. F._ (CHF 400.-).

3. Rechtliche Grundlagen und Argumente der Parteien

3.1. Massgebende Rechtsgrundlagen: Das Bundesgericht erinnert an die Voraussetzungen für die Integritätsentschädigung (Art. 24, 25 UVG; Art. 36 Abs. 1 UVV) und an die Rechtsprechung zur Würdigung medizinischer Berichte (Art. 61 lit. c ATSG; BGE 134 V 231, E. 5.1; 125 V 351, E. 3a). Insbesondere betont es den hohen Beweiswert eines gerichtlichen Medizinalgutachtens, von dessen Schlussfolgerungen der Richter grundsätzlich nicht ohne zwingende Gründe abweicht (BGE 143 V 269, E. 6.2.3.2). Solche Gründe können Widersprüche im Gutachten, ein überzeugendes Obergutachten oder ernsthafte Zweifel begründende gegenteilige Meinungen anderer Spezialisten sein (BGE 135 V 465, E. 4.4).

3.2. Argumente des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer rügt eine ungenaue Sachverhaltsfeststellung und eine Verletzung von Art. 24 und 25 UVG, Art. 36 UVV und Art. 61 lit. c ATSG. Er bestreitet den Beweiswert des Gerichtsgutachtens von Dr. E._, da dieser den Unfallhergang fehlerhaft beschrieben habe, was seine gesamte Beurteilung verfälscht hätte. Er beruft sich auf die Beschreibung von Prof. F._, wonach der Unfall wesentlich heftiger gewesen sei und durch das Körpergewicht des Beschwerdeführers (105 kg bei 167 cm) noch verstärkt wurde, was einen direkten Schlag des Knies gegen eine Metalltischkante zur Folge gehabt und zu Knorpelschäden geführt hätte. Die Behauptung der Vorinstanz, eine fehlerhafte Unfallbeschreibung habe keinen Einfluss auf die Gutachtenqualität, sei widerlegt. Der Beschwerdeführer argumentiert weiter, dass das Privatgutachten von Prof. F.__, der als sehr erfahren und objektiv gilt, die jurisprudenziellen Anforderungen an den Beweiswert erfülle und die Argumente des Gerichtsgutachtens entkräfte. Er verlangt daher eine IE von 15% oder zumindest die Einholung eines neuen Gerichtsgutachtens.

3.3. Argumente der Vorinstanz: Das Kantonsgericht hatte dem Gutachten von Dr. E._ vollen Beweiswert beigemessen. Es stellte fest, dass der Beschwerdeführer einen direkten Schlag (Kontusion) des linken Knies auf einem vorbestehenden degenerativen Zustand erlitten hatte. Drei Monate nach der Operation im Juni 2016 sei der Status quo sine erreicht gewesen. Da der Unfall keine dauerhafte und erhebliche physische Integritätsbeeinträchtigung verursacht habe, sei eine IE für das Knie abzulehnen. Das Privatgutachten von Prof. F._ sei nicht beweiskräftig, da es durch die Anweisungen des Beschwerdeführers ("Können Sie dem Gutachten von Dr. E.__ entgegentreten, der unserer Erfahrung nach auf der Gehaltsliste der Suva steht [...]") beeinflusst gewesen sei und lediglich eine abweichende Einschätzung der medizinischen Sachlage darstelle.

4. Erwägungen des Bundesgerichts

4.1. Zum Beweiswert des gerichtlichen Gutachtens von Dr. E.__: Das Bundesgericht erachtet die Beurteilung von Dr. E._ als nicht zu beanstanden. Es stellt fest, dass der Experte die medizinischen Probleme umfassend analysiert und seine Schlussfolgerungen auf einer überzeugenden Auswertung aller medizinischen Akten und durchgeführten Untersuchungen basieren. Seine Erkenntnisse werden zudem durch die Analyse von Dr. D._ (CNA) gestützt.

4.1.1. Unfallhergang und Kausalität: Das Bundesgericht weist die Kritik des Beschwerdeführers an der Beschreibung des Unfallhergangs durch Dr. E._ zurück. Die Beschreibung des gerichtlichen Gutachters, der Beschwerdeführer habe sich das linke Knie an einem Tisch gestossen, als er von einer Stehleiter herabstieg, stimmt mit dem Bericht des Notfalldienstes des Spitals G._ vom Unfalltag überein. Die vom Beschwerdeführer und Prof. F._ betonte "Heftigkeit des Aufpralls" sei im Wesentlichen eine eigene Interpretation des Unfallmechanismus. Das Bundesgericht hält fest, dass Dr. E._ den direkten Aufprall als Kontusion des Knies angenommen und dann die Auswirkungen dieses Schlags anhand der gesamten medizinischen Unterlagen beurteilt hat, was als überzeugend erachtet wird.

4.1.2. Medizinische Schlussfolgerungen: Dr. E._ hatte detailliert ausgeführt, dass der Unfall eine Kontusion des Knies verursacht habe, die zu einer vorübergehenden Dekompensation eines vorbestehenden degenerativen Zustands führte. Er fand keine Anzeichen für grössere Knorpel- oder osteochondrale Läsionen (wie sie bei einem heftigen Trauma zu erwarten wären) in den radiologischen Untersuchungen oder bei der Arthroskopie. Die Meniskusläsion sei minimal gewesen, eher eine Glättung des Meniskusrandes als eine Resektion einer post-traumatischen Radialruptur. Die externe Arthrose habe sich im hinteren Teil des Kompartiments entwickelt, was eher auf eine degenerative Ursache hindeute, als auf die Folge der Meniskusresektion. Das vordere Kreuzband sei während der Arthroskopie als intakt beschrieben worden. Dr. E._ wies auch auf die Inkonsistenz im Bericht von Dr. B.__ hin, der zunächst den vorbestehenden degenerativen Zustand beschrieb, dann aber eine IE befürwortete, was implizit eine post-traumatische Arthrose annahm, die seinen eigenen Aussagen widerspricht. Die über die dreimonatige Erholungsphase nach der Operation hinausgehenden Schmerzen wurden vom Gutachter auf den degenerativen Zustand des Knies, lumbale Radikulopathien und eine linksseitige Coxarthrose zurückgeführt.

4.1.3. Vergleich mit dem Privatgutachten von Prof. F.__: Das Bundesgericht kritisiert, dass Prof. F._ seiner eigenen Interpretation der Unfallschwere eine entscheidende Bedeutung beimisst und die präzise Analyse der radiologischen Befunde und des operativen Eingriffs durch Dr. E._ weitgehend ausser Acht lässt. Dr. E._ hatte die radiologischen Bilder persönlich untersucht, während Prof. F._ lediglich die Beschreibung des Radiologen im MRI-Bericht von 2016 wiedergab, ohne eine persönliche Sichtung der Aufnahmen zu erwähnen. Zudem widerspricht Prof. F._'s Annahme einer möglichen Verletzung des vorderen Kreuzbandes dem Befund des Operateurs Dr. B._, der es bei der Arthroskopie als intakt beschrieb.

4.1.4. Fazit zur Integritätsentschädigung: Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass die Meinung von Prof. F._ im Wesentlichen eine abweichende Beurteilung eines medizinisch klar festgestellten Sachverhalts darstellt. Der Beschwerdeführer vermag die Feststellungen der Vorinstanz, die sich auf das Gutachten von Dr. E._ stützen, nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Eine Anordnung weiterer Abklärungen (neues Gutachten) ist daher nicht angezeigt. Der Anspruch auf eine IE für das linke Knie wird abgewiesen.

4.2. Zur Kostenerstattung (Art. 45 ATSG): 4.2.1. Gutachten von Prof. F.__: Die Vorinstanz hat die Übernahme der Kosten für dieses Gutachten zu Recht abgelehnt. Dieses Dokument war für die Lösung des Rechtsstreits nicht notwendig, da es den Beweiswert des gerichtlichen Gutachtens von Dr. E._ nicht in Frage stellen konnte. 4.2.2. Bericht von Dr. B.__ (19. August 2020): Hier stimmt das Bundesgericht dem Beschwerdeführer teilweise zu. Unter Berücksichtigung des Rückweisungsurteils vom 19. März 2024 hatte dieser Bericht zu zusätzlichen Abklärungen geführt, namentlich zur Anordnung des gerichtlichen Gutachtens. Der Bericht von Dr. B._ war somit für die Beurteilung des Falles unabdingbar im Sinne von Art. 45 Abs. 1 ATSG. Die Kosten von CHF 250.- sind daher von der CNA zu erstatten.

4.3. Gerichtskosten und unentgeltliche Rechtspflege: Da der Beschwerdeführer in der Hauptsache unterliegt (bis auf CHF 250.-), werden ihm die Gerichtskosten von CHF 800.- auferlegt. Die beantragte unentgeltliche Rechtspflege wird jedoch bewilligt, da die Voraussetzungen erfüllt sind. Der Beschwerdeführer wird darauf hingewiesen, dass er die Kosten zurückerstatten muss, sollte sich seine finanzielle Situation später verbessern (Art. 64 Abs. 4 LTF). Dem amtlichen Rechtsvertreter werden Anwaltshonorare von CHF 3'000.- zugesprochen.

5. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

Das Bundesgericht bestätigt im Wesentlichen die Ablehnung einer Integritätsentschädigung für die Knieverletzung des Beschwerdeführers. Das gerichtliche Gutachten von Dr. E._, welches die Kniebeschwerden als überwiegend degenerativ und nicht unfallkausal im Sinne einer dauerhaften und erheblichen Beeinträchtigung einstufte, wird als beweiskräftig erachtet. Das private Gutachten von Prof. F._ konnte die Schlüssigkeit des gerichtlichen Gutachtens nicht entkräften. Die Kosten für den Bericht des behandelnden Arztes Dr. B._ (CHF 250.-) werden jedoch der CNA auferlegt, da dieser Bericht Anlass zu weiteren notwendigen Abklärungen gab. Die Kosten für das weitere private Gutachten von Prof. F._ werden nicht erstattet.