Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_281/2025 vom 24. Oktober 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 1C_281/2025 vom 24. Oktober 2025

1. Einleitung und Verfahrensgegenstand

Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (BGer) mit der Referenz 1C_281/2025 vom 24. Oktober 2025 betrifft ein Ausstandsbegehren im Kontext des Projekts "Windpark Burg". Die Beschwerdeführenden A._ und B._, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Lukas Pfisterer, erhoben Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom 10. April 2025. Dieses hatte ihre Ausstandsgesuche gegen die im Amt befindlichen Mitglieder des Gemeinderats Kienberg (C._, D._ und E._) bei der Behandlung des Windparkprojekts "Windpark Burg" abgewiesen. Die Beschwerdegegner umfassen neben den genannten Gemeinderatsmitgliedern auch die Einwohnergemeinde Kienberg, den Regierungsrat des Kantons Solothurn sowie die F._ AG als Projektantin.

2. Sachverhaltliche Grundlagen

Die F._ AG plant die Errichtung eines Windparks mit fünf Windenergieanlagen (WEA) im Gebiet Burg, wobei vier WEA auf dem Gemeindegebiet Kienberg (SO) und eine WEA in der Gemeinde Oberhof (AG) vorgesehen sind. Der Gemeinderat Kienberg legte den Teilzonen-, Erschliessungs- und Gestaltungsplan "Windpark Burg" mit Baubewilligungsfunktion (Sondernutzungsplan) im Frühling 2021 öffentlich auf. Dagegen erhoben die Beschwerdeführenden Einsprache und beantragten u.a. den Ausstand des gesamten Gemeinderats Kienberg sowie weiterer Personen. Der Gemeinderat Kienberg wies die Ausstandsgesuche mit separaten Beschlüssen ab, wobei das jeweils betroffene Mitglied in den Ausstand trat. Gemeindevizepräsident G._, gleichzeitig Verwaltungsratsmitglied der F.__ AG, trat freiwillig in den Ausstand.

Gegen die Abweisung der Ausstandsgesuche reichten die Beschwerdeführenden Verwaltungsbeschwerde beim Bau- und Justizdepartement des Kantons Solothurn (BJD) ein, verbunden mit einem Gesuch um Einsicht in sämtliche Protokolle des Gemeinderats Kienberg und relevanter Kommissionen. Nach Akteneinsicht überwies das BJD die Sache an den Regierungsrat des Kantons Solothurn, welcher die Beschwerde am 23. April 2024 abwies. Das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn bestätigte diese Abweisung der Ausstandsgesuche am 10. April 2025, womit der Fall vor das Bundesgericht gelangte.

3. Rechtliche Hauptfragen und Begründung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht hatte im Wesentlichen folgende Fragen zu prüfen: * Die Einsprachebefugnis bzw. Legitimationsvoraussetzungen der Beschwerdeführenden. * Die Rüge der Verletzung des Akteneinsichtsrechts. * Die Zulässigkeit des Vorgehens des Gemeinderats bei der Beurteilung der Ausstandsgesuche ("reihum"-Prinzip). * Das Vorliegen materieller Ausstandsgründe im Sinne von Art. 29 Abs. 1 BV.

3.1. Doppelbegründung der Vorinstanzen und Einsprachebefugnis

Die Vorinstanzen stützten ihre Abweisung auf eine Doppelbegründung: Einerseits verneinten sie die Einsprachebefugnis der Beschwerdeführenden im Sondernutzungsplanverfahren, womit auch die Berechtigung zur Stellung von Ausstandsgesuchen entfiel. Andererseits prüften sie die Ausstandsgesuche auch materiell und verneinten das Vorliegen von Ausstandsgründen. Für eine Gutheissung der Beschwerde durch das Bundesgericht müssten sich die Rügen gegen beide Begründungsstränge als berechtigt erweisen.

Das Verwaltungsgericht verneinte die Einsprachebefugnis gemäss § 16 Abs. 1 des Solothurner Planungs- und Baugesetzes (PBG/SO) aufgrund der grossen Distanz von 1'620 m zwischen dem Wohnort der Beschwerdeführenden und der nächstgelegenen WEA. Es argumentierte, dass allein aus der Sichtverbindung keine Beeinträchtigung abgeleitet werden könne, Schattenwurf nicht gegeben sei und aufgrund der Distanz kein "deutlich wahrnehmbarer zusätzlicher Lärm" zu erwarten sei.

Die Beschwerdeführenden rügten eine Verletzung von Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG und Art. 111 Abs. 1 BGG, da die kantonale Legitimationsprüfung nicht enger als die bundesrechtliche gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG sein dürfe. Sie argumentierten, die blosse Distanz schliesse die Wahrnehmbarkeit von Lärm nicht aus und die Vorinstanzen hätten sich mit ihren Einwendungen gegen das Lärm- und Schallgutachten auseinandersetzen müssen. Dabei verwiesen sie auf bundesgerichtliche Praxis, wonach die Legitimation von Personen in 1 bis 1.5 km Abstand zu Windkraftanlagen wegen Lärm- oder visueller Immissionen bejaht werden könnte (Urteile 1C_657/2018 E. 2.2 zum Windpark Sainte-Croix, und 1C_575/2019 E. 2.2). Das Bundesgericht stellte fest, dass es zwar zweifelhaft sei, ob der Lärm der WEA am 1.6 km entfernten Wohnort "deutlich wahrnehmbar" sei, dies aber in bestimmten Konstellationen, insbesondere nachts, nicht ohne nähere Auseinandersetzung mit dem Schallgutachten ausgeschlossen werden könne (Verweis auf Urteil 1C_33/2011 E. 4.1 zum Lärm einer 1.2 km entfernten WEA). Es liess die Frage der Einsprachebefugnis jedoch offen, da es die Beschwerde in der Sache – betreffend die Abweisung der Ausstandsgesuche – als unbegründet erachtete (vgl. dazu unten E. 3.4).

3.2. Akteneinsichtsrecht

Die Beschwerdeführenden rügten eine Verletzung des Akteneinsichtsrechts (Art. 29 Abs. 2 BV), weil ihnen nicht sämtliche Protokolle des Gemeinderats und der zuständigen Kommissionen betreffend die F._ AG und das Windparkprojekt zugänglich gemacht worden seien. Das Bundesgericht unterschied hier zwischen dem Recht auf Akteneinsicht in verfahrensbezogene Akten und einem Editionsgesuch für zusätzliche Unterlagen. Es stellte fest, dass den Beschwerdeführenden Einsicht in alle Unterlagen des Sondernutzungsplanverfahrens gewährt wurde, womit das Akteneinsichtsrecht nicht verletzt war. Die darüber hinausgehenden Forderungen nach Protokollen zu Besprechungen und Vertragsverhandlungen mit der F._ AG stellten ein Editionsgesuch dar, dessen Abweisung zulässig sei, wenn die damit zu beweisenden Sachverhaltselemente für den Verfahrensausgang nicht erheblich sind. Da das Verwaltungsgericht die Mitwirkung an solchen Vorgängen nicht als Ausstandsgrund betrachtete (was das BGer bestätigte), und die politische Unterstützung sowie vertragliche Beteiligung der Gemeinde unbestritten waren, durfte das Editionsgesuch abgewiesen werden.

3.3. Prozedere der Ausstandsentscheidung ("reihum")

Die Beschwerdeführenden beanstandeten, dass der Gemeinderat nicht "reihum" über die einzelnen Ausstandsgesuche hätte entscheiden dürfen, da alle Mitglieder vom gleichen Ausstandsgrund betroffen gewesen seien. Sie forderten die Übergabe der Sache an die kantonale Aufsichtsbehörde. Das Bundesgericht prüfte diese Rüge nicht vertieft, da der Regierungsrat und das Verwaltungsgericht als höhere Instanzen, gegen die keine Ausstandsgründe geltend gemacht wurden, bereits materiell über die Ausstandsbegehren entschieden und diese abgewiesen hatten. Eine Rückweisung wegen eines allfälligen Verfahrensmangels erster Instanz würde einen "prozessualen Leerlauf" bedeuten und das Verfahren unnötig verzögern. In solchen Fällen kann eine Heilung des Verfahrensmangels angenommen werden (Urteil 1P.257/1999 E. 4a; BGE 112 V 206 E. 2b).

3.4. Materielle Ausstandsgründe (Art. 29 Abs. 1 BV)

Dies war der zentrale Punkt der bundesgerichtlichen Prüfung. Die Beschwerdeführenden machten eine zu grosse Nähe zwischen dem Gemeinderat Kienberg bzw. dessen Mitgliedern und der F._ AG geltend. Sie führten an, die F._ AG sei im Gemeindehaus Kienberg domiziliert, habe einen Planungsvertrag mit der Gemeinde, welcher die Gemeinde zur Projektunterstützung verpflichte, und die Gemeinde habe ein erhebliches finanzielles Interesse am Windpark (jährliche Entschädigungen, 5% Gratis-Beteiligung, Strombezug zum Gestehungspreis). Die Zahlung der Anwaltsrechnungen der Gemeinde durch die F.__ AG wurde ebenfalls ins Feld geführt.

Das Bundesgericht bekräftigte die Grundsätze des Unbefangenheitsgebots gemäss Art. 29 Abs. 1 BV, wies jedoch darauf hin, dass die strengen Anforderungen an die Unbefangenheit von Gerichten (Art. 30 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK) nicht unbesehen auf das Verwaltungsverfahren übertragen werden können (BGE 140 I 326 E. 5.2). "Amtliche Mehrfachbefassungen", die im öffentlichen Interesse liegen und "systembedingt" sind, begründen grundsätzlich keine unzulässige Vorbefassung.

In der konkreten Anwendung lehnte das Bundesgericht Ausstandsgründe ab: * Es liege kein persönliches oder materielles Interesse der einzelnen Gemeinderatsmitglieder vor. Der Gemeinderat verfolge vielmehr ein öffentliches Interesse an der Förderung erneuerbarer Energien und der Beteiligung an der F._ AG. * Die Rolle des Gemeinderats als Planungsbehörde, die die Nutzungsplanung vorzubereiten und voranzutreiben hat, ist eine gesetzlich vorgesehene amtliche Funktion und kann per se keine Ausstandspflicht begründen. * Die Domizilierung der F._ AG im Gemeindehaus oder der Planungsvertrag mit der Gemeinde begründen keine Ausstandsgründe für die einzelnen Gemeinderatsmitglieder. Vertragspartnerin ist die Gemeinde Kienberg als öffentlich-rechtliche Körperschaft, nicht die individuellen Mitglieder. * Die Beteiligung der Gemeinde an einem Unternehmen zur Förderung erneuerbarer Energien ist gemäss § 158 Abs. 1 GG/SO gesetzlich erlaubt. * Das Bundesgericht verwies auf sein Parallelurteil 1C_110/2025 vom 10. Juli 2025 betreffend die Gemeinde Oberhof, wo die vertragliche Unterstützung des Windparks unter dem ausdrücklichen Vorbehalt zwingender öffentlich-rechtlicher Vorschriften stand. Ein solcher Vorbehalt gilt auch für den Vertrag der Gemeinde Kienberg. Die Mitwirkung an Vertragsverhandlungen der Gemeinde begründet kein Misstrauen in die Unvoreingenommenheit einzelner Gemeinderatsmitglieder im späteren bau- und planungsrechtlichen Verfahren. * Das Bundesgericht betonte, dass die Gemeinde als Nutzungsplan- und Baubewilligungsbehörde fungiert, selbst wenn es sich um ein öffentliches Bauvorhaben der Gemeinde oder einer Gesellschaft handelt, an der die Gemeinde beteiligt ist (vgl. z.B. 1C_278/2010; 1C_198/2010; 1C_407/2020 zum Windpark Mollendruz). Eine solche Beteiligung begründet keine Ausstandspflicht der einzelnen Gemeinderatsmitglieder, sofern sie in amtlicher Funktion handeln und kein persönliches Interesse haben. * Der Rechtsweg steht den Beschwerdeführenden offen (Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG), und die Nutzungsplanung bedarf ohnehin einer kantonalen Genehmigung (Art. 26 Abs. 1 RPG), was eine weitere Überprüfung sicherstellt.

4. Schlussfolgerung des Bundesgerichts

Aufgrund der detaillierten Prüfung der materiellen Ausstandsgründe kam das Bundesgericht zum Schluss, dass keine Verletzung von Art. 29 Abs. 1 BV vorliegt. Die Beschwerde wurde daher abgewiesen. Die Gerichtskosten wurden den Beschwerdeführenden auferlegt. Der F.__ AG wurde eine Parteientschädigung zugesprochen, da sie als anwaltlich vertretene Partei mit schutzwürdigem Interesse am Verfahrensausgang aktiv teilgenommen hatte.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Materielle Ausstandsgründe verneint: Das Bundesgericht verneinte das Vorliegen von Ausstandsgründen gegen die Gemeinderatsmitglieder von Kienberg. Die politische Unterstützung eines Windparkprojekts durch eine Gemeinde, ihre vertragliche Beteiligung an der Projektgesellschaft und die Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben als Planungsbehörde begründen keine Befangenheit der einzelnen Gemeinderatsmitglieder im Sinne von Art. 29 Abs. 1 BV, solange diese in amtlicher Funktion und ohne persönliches Interesse handeln.
  • Keine Verletzung des Akteneinsichtsrechts: Das Akteneinsichtsrecht bezog sich auf die verfahrensrelevanten Akten, die gewährt wurden. Ein weitergehendes Editionsgesuch für zusätzliche interne Protokolle zur Haltung des Gemeinderats durfte abgewiesen werden, da die Relevanz für tatsächliche Ausstandsgründe fehlte.
  • Heilung des Verfahrensmangels: Ein allfälliger Verfahrensmangel bei der "reihum"-Entscheidung des Gemeinderats über die Ausstandsgesuche wurde als geheilt betrachtet, da die höheren Instanzen (Regierungsrat und Verwaltungsgericht) die materiellen Ausstandsfragen bereits umfassend geprüft und negativ beschieden hatten. Eine Rückweisung wäre ein "prozessualer Leerlauf" gewesen.
  • Einsprachebefugnis offen gelassen: Die Frage der Einsprachebefugnis der Beschwerdeführenden aufgrund der Distanz zu den WEA wurde im Ergebnis offengelassen, da die materiellen Ausstandsgründe ohnehin als unbegründet erachtet wurden.