Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_520/2025 vom 11. November 2025

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Gericht: Bundesgericht, I. Strafrechtliche Abteilung Datum des Urteils: 11. November 2025 Fallnummer: 6B_520/2025

1. Einführung und vorinstanzliche Verfahren

Das Bundesgericht hatte über die Beschwerde von A.__ zu befinden, der vom Strafgericht des Saanebezirks (FR) am 17. Juni 2024 des Vergewaltigung (viol), der versuchten sexuellen Nötigung (tentative de contrainte sexuelle), der versuchten Nötigung (tentative de contrainte) sowie des Abhörens und Aufzeichnens von Gesprächen unter anderen Personen (écoute et enregistrement de conversations entre d'autres personnes) schuldig gesprochen worden war. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von 36 Monaten verurteilt, davon 12 Monate unbedingt und 24 Monate bedingt bei einer Probezeit von zwei Jahren, verbunden mit einer psychotherapeutischen Behandlung zur Emotionsregulation. Zivilforderungen wurden ebenfalls gutgeheissen.

Der Strafappellationshof des Freiburger Kantonsgerichts bestätigte dieses Urteil am 4. April 2025 vollumfänglich.

2. Sachverhalt (Feststellungen der Vorinstanz)

Die vorinstanzlichen Gerichte legten folgende Sachverhalte zugrunde: * Vergewaltigung: Zwischen August 2009 und Januar 2017 drang A._ zweimal mittels körperlicher Gewalt (indem er sich auf sie legte und ihre Arme festhielt) vaginal in B._ ein, obwohl diese sich weigerte. Im Juni 2020 erzwang er ein weiteres Mal einen nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehr. * Versuchte sexuelle Nötigung: Zwischen August 2009 und September 2019 versuchte A._ mehrmals, B._ anal zu penetrieren, wobei er körperliche Gewalt und einen "Überraschungseffekt" anwandte, dies jedoch nicht vollendete. * Nötigung / Drohungen: Zwischen Juni 2014 und Juni 2020 drohte A._ seiner Ex-Frau mehrmals, ihr das Leben zur Hölle zu machen oder ein Scheidungsverfahren einzuleiten, um sie zum Gehorsam zu zwingen. Dies hatte nur teilweise Erfolg. * Versuchte Nötigung (Handy): Am 5. Juli 2020 versuchte A._ erfolglos, B._ über zwei Stunden lang unter Anwendung physischer Gewalt zur Herausgabe ihres Mobiltelefons zu zwingen. * Abhören und Aufzeichnen von Gesprächen: Zwischen dem 4. und 15. Juli 2020 nahm A._ ohne deren Zustimmung Telefonate seiner Ex-Frau mittels eines in einer Bibliothek versteckten iPads auf und hörte sie ab.

3. Rügen des Beschwerdeführers vor Bundesgericht

A.__ rügte eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung, eine Verletzung der Unschuldsvermutung und des rechtlichen Gehörs. Er beantragte im Wesentlichen einen Freispruch von allen Vorwürfen, die Rückgabe des beschlagnahmten iPads und die Abweisung der Zivilforderungen. Er machte geltend, die Vorinstanz habe der Version der Geschädigten willkürlich Glauben geschenkt und seine eigenen Erklärungen sowie entlastende Zeugenaussagen zu Unrecht ausser Acht gelassen.

4. Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüfte die Rügen des Beschwerdeführers im Detail und fasste seine Erwägungen wie folgt zusammen:

4.1. Prüfungsmasstab des Bundesgerichts

Das Bundesgericht ist keine Appellationsinstanz und an die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz gebunden (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, diese wurden in Verletzung des Rechts oder in offensichtlich unrichtiger Weise – d.h. willkürlich im Sinne von Art. 9 BV – festgestellt (Art. 97 Abs. 1 und 105 Abs. 2 BGG). Eine Entscheidung ist willkürlich, wenn sie offensichtlich unhaltbar ist, nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis (BGE 150 IV 360 E. 3.2.1). Die Unschuldsvermutung (Art. 10 StPO, 32 Abs. 1 BV, 14 Abs. 2 UNO-Pakt II und 6 Abs. 2 EMRK) betrifft sowohl die Beweislast als auch die Beweiswürdigung. Als Beweiswürdigungsregel bedeutet sie, dass der Richter von der Existenz eines dem Angeklagten ungünstigen Sachverhalts nicht überzeugt sein darf, wenn objektiv ernsthafte und nicht nur abstrakte oder theoretische Zweifel bestehen. In diesem Zusammenhang hat das Prinzip in dubio pro reo keine weitergehende Bedeutung als das Willkürverbot (BGE 143 IV 500 E. 1.1).

4.2. Beweiswürdigung und Glaubwürdigkeit der Geschädigten

Das Bundesgericht betonte, dass die Beweiswürdigung als Ganzes zu prüfen ist. Es liegt keine Willkür vor, wenn der festgestellte Sachverhalt nachvollziehbar aus der Zusammenführung verschiedener Elemente oder Indizien abgeleitet werden konnte (vgl. Urteile 6B_589/2024, 6B_737/2024, 6B_625/2024). Die Aussagen des Opfers sind ein Beweismittel, das der Richter im Rahmen der gesamten Beweismittel frei würdigen muss (vgl. Urteile 6B_589/2024, 6B_465/2024). Fälle von "Aussage gegen Aussage" führen nicht zwingend zu einem Freispruch (BGE 137 IV 122 E. 3.3).

Das Bundesgericht verwies auf seine gefestigte Rechtsprechung und wissenschaftliche Erkenntnisse: * Späte Anzeigeerstattung: Es ist gerichtsnotorisch, dass Opfer von Sexualdelikten aus Angst und Scham manchmal auf eine Anzeige verzichten. Es ist nicht selten, dass sie sich nach einem traumatischen Erlebnis wie einer Vergewaltigung in einem Zustand des Schocks oder der Starre befinden, was zu Verdrängung und Verleugnung des Erlebten führen kann. Viele äussern sich erst nach Monaten oder Jahren (BGE 147 IV 409 E. 5.4.1). Eine allgemeine Glaubwürdigkeit der Aussagen kann nicht allein wegen einer späten Anzeige verneint werden. * Erinnerungsverzerrungen: Traumatische Ereignisse werden anders verarbeitet als Alltagsereignisse. Gedächtnisstörungen und -lücken können auftreten, insbesondere aufgrund der Tendenz zur Verdrängung. Andererseits behalten einige Opfer eine Vielzahl von Details des traumatischen Ereignisses in Erinnerung. Der Detailreichtum, insbesondere bei sekundären Aspekten, ist ein häufiges Merkmal der Realität, das bei der Analyse der Aussagen zu berücksichtigen ist (BGE 147 IV 409 E. 5.4.2).

4.3. Überprüfung der kantonalen Beweiswürdigung im konkreten Fall

Die Vorinstanz hat die Erklärungen der Geschädigten als klar, präzis, konstant, massvoll, überzeugend und glaubhaft erachtet, während die Bestreitungen des Beschwerdeführers nicht überzeugt hätten. Insbesondere wurden psychische und somatische Manifestationen, die eine Psychologin als direkt mit häuslicher Gewalt in Verbindung stehend attestierte, als weitere Stützung der Anschuldigungen herangezogen.

Das Bundesgericht wies die Einwände des Beschwerdeführers gegen die Glaubwürdigkeit der Geschädigten wie folgt zurück:

  • Schrittweise Präzisierung der Aussagen: Die Behauptung, die Geschädigte habe ihren Bericht im Laufe des Verfahrens schrittweise und an die Beweislage angepasst, um ihm mehr Gewicht zu verleihen, wurde verworfen. Die Vorinstanz stellte fest, dass die Geschädigte konstant geblieben sei und ihre Antworten lediglich schrittweise präzisiert und erweitert habe, da sie intime Bereiche nicht von sich aus ansprechen wollte. Dies ist angesichts des traumatischen Charakters sexueller Übergriffe und der Tendenz zur Verdrängung nicht ungewöhnlich und untergräbt die Glaubwürdigkeit nicht (vgl. E. 1.4). Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Argumente bezüglich angeblich "überraschender" Analverletzungen oder religiöser Verbote überzeugten das Gericht nicht.
  • Nicht-Erwähnung von Sodomieversuchen in der Appellation: Die Behauptung, die Geschädigte habe diese Versuche vor dem Kantonsgericht "vergessen", wurde widerlegt. Sie bestätigte lediglich ihre früheren Aussagen und wurde nicht spezifisch dazu befragt. Die Behauptung, sie habe versucht, die Anklage zu "verschärfen", wurde ebenfalls zurückgewiesen, da sie selbst anerkannte, dass die Kontaktaufnahme der Familie des Beschwerdeführers nach dem erstinstanzlichen Urteil erfolgte, und sie die Einhaltung des Annäherungsverbots durch den Beschwerdeführer bestätigte.
  • Vage und unpräzise Angaben: Die Kritik, die Geschädigte sei bei den ersten beiden Vergewaltigungen zu vage und unpräzise gewesen, wurde als unbegründet erachtet. Die Vorinstanz hat anerkannt, dass sie keine präzisen Daten liefern konnte, dies aber mit der Zeitdauer (acht Jahre) und der Sensibilität des Themas erklärt. Dennoch konnte sie die Taten in Bezug auf ein präzises Ereignis (Geburt eines Kindes) und einen genauen Ort (ehemalige Wohnung) verorten. Bei wiederholten Delikten im familiären Kontext kann kein detailliertes Inventar jedes Einzelfalls verlangt werden (vgl. Urteil 6B_1059/2023 E. 3.3).
  • Motive der Falschbeschuldigung: Die vom Beschwerdeführer unterstellten Motive der Geschädigten (Entzug des Kontaktrechts zu den Kindern, Sicherung des Aufenthaltsstatus) wurden zurückgewiesen. Die Geschädigte hatte im Strafverfahren nie körperliche Gewalt gegen die Kinder erwähnt, was gegen das Motiv des Kinderentzugs spricht. Bezüglich des Aufenthaltsstatus hatte die Geschädigte zum Zeitpunkt der Anzeige (Juli 2020) keinen Grund zur Befürchtung, ihre Bewilligung (die erst im Februar 2025 ablief) würde nicht verlängert. Zudem hatten ausländische Familienangehörige bis Ende 2024 gemäss altem AuG (Art. 50 Abs. 1 aLEI) selbst als Opfer häuslicher Gewalt keinen Rechtsanspruch auf Regularisierung ihres Aufenthalts. Daher bestand kein Anreiz für eine Falschbeschuldigung.
  • Berücksichtigung der Religion: Die Rüge, die Vorinstanz habe aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen und Vorurteile gehandelt, wurde abgewiesen. Die Vorinstanz bezog sich auf die vom Beschwerdeführer geäusserten Ansichten über die Rolle der Frau, die von seiner Kultur und seinen religiösen Prinzipien beeinflusst waren, und stützte sich dabei auf Aussagen der Geschädigten und eines Zeugen, die nicht hinreichend bestritten wurden (z.B. Weigerung des Kopftuchs, Kleidungsvorschriften, Drohungen und Beleidigungen wie "Ich mache mit dir, was ich will"). Dies waren Tatsachenfeststellungen, keine Vorurteile.

4.4. Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und Zeugenaussagen

  • Mangelnde Konsistenz der Bestreitungen / Amnesie: Das Bundesgericht stellte fest, dass der Beschwerdeführer konkrete Fakten nur kurz bestritt und sich grösstenteils auf Gedächtnisverlust berief. Das Schweigerecht und das Recht auf Nichtselbstbelastung ("nemo tenetur se ipsum accusare", Art. 113 StPO) hindern die Behörde nicht daran, das Schweigen oder die mangelnde Auskunftsfreude einer Person in Situationen zu berücksichtigen, die eindeutig eine Erklärung erfordern (vgl. Urteil 6B_579/2025 E. 2.4). Angesichts der Schwere der Anschuldigungen und der Konstellation "Aussage gegen Aussage" konnte von ihm eine detailliertere Darstellung erwartet werden.
  • Abgelehnte Zeugenaussagen: Die Vorinstanz hat die Zeugenaussagen des befreundeten Ehepaars nicht übergangen, sondern als nicht ausschlaggebend bewertet, da diese Zeugen nichts Spezielles beobachtet hatten. Die Darstellung der Geschädigten als "autoritär" durch einen Freund des Beschwerdeführers wurde als wenig glaubhaft im Kontext der übrigen Aktenlage beurteilt. Die Zurückhaltung der Geschädigten bezüglich sexueller Gewalt gegenüber Freunden wurde als verständlich erachtet. Auch die Aussagen der Nachbarn, die beim Streit am 5. Juli 2020 anwesend waren, wurden von der Vorinstanz berücksichtigt und als "aufschlussreich für das in der Wohnung herrschende Klima des Terrors" gewertet. Der Beschwerdeführer selektierte einzelne Details aus den Zeugenaussagen (z.B. "Opfer weinte nicht"), ignorierte jedoch den Kontext (Zeuge bemerkte Schock und Angst der Geschädigten, Zögern, die Polizei zu rufen). Die Vorinstanzen haben diese Zeugenaussagen somit angemessen gewürdigt.

4.5. Weitere Rügen

  • Strafmass: Der Beschwerdeführer rügte ein übermässiges Strafmass und forderte eine vollumfängliche bedingte Strafe. Das Bundesgericht befand diese Kritik als unzureichend begründet und zeigte keinen Ermessensmissbrauch der Vorinstanz bei der Strafzumessung auf.
  • Zivilforderungen, Entschädigungen, Rückgabe iPad: Diese Begehren wurden als gegenstandslos abgewiesen, da sie auf der Prämisse eines Freispruchs basierten, der nicht erfolgte, und im Übrigen nicht begründet wurden.

5. Ergebnis

Die Beschwerde wurde, soweit sie überhaupt zulässig war, abgewiesen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wurde mangels Erfolgsaussichten abgelehnt. Die Gerichtskosten wurden dem Beschwerdeführer auferlegt. Den Intimés wurde keine Parteientschädigung zugesprochen, da sie nicht zur Stellungnahme eingeladen wurden.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte die Verurteilung von A.__ wegen Vergewaltigung, versuchter sexueller Nötigung, Nötigung und illegaler Gesprächsaufnahmen. Im Kern wies das Gericht die Rügen der willkürlichen Sachverhaltsfeststellung und der Verletzung der Unschuldsvermutung zurück, indem es die Beweiswürdigung der Vorinstanz schützte. Besondere Bedeutung mass das Bundesgericht der Glaubwürdigkeit der Geschädigten und dem Umgang mit Zeugenaussagen in Sexualstrafsachen bei. Es betonte, dass späte Anzeigeerstattung oder schrittweise präzisierte Aussagen angesichts der traumatischen Natur von Sexualdelikten nicht ungewöhnlich sind und die Glaubwürdigkeit nicht per se untergraben. Ebenso können Gedächtnisstörungen bei traumatischen Ereignissen auftreten. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Motive für eine Falschbeschuldigung (Kinderstreit, Aufenthaltsrecht) wurden als unbegründet zurückgewiesen. Auch seine eigenen Bestreitungen und die Berufung auf Amnesie wurden im Rahmen der freien Beweiswürdigung als unglaubhaft bewertet, zumal das Schweigerecht nicht die Berücksichtigung von Schweigen bei erwarteter Erklärung hindert. Die strafmassbezogenen Rügen sowie jene betreffend Zivilforderungen wurden als ungenügend begründet und somit abgewiesen.