Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_957/2025 vom 7. November 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Detaillierte Zusammenfassung des Bundesgerichtsurteils 7B_957/2025 vom 7. November 2025

1. Einleitung und Parteien Das Urteil betrifft eine Beschwerde von A.__ (nachfolgend: Beschwerdeführer) gegen einen Entscheid der Strafrechtlichen Beschwerdekammer des Kantonsgerichts Waadt vom 6. August 2025. Gegenstand des Verfahrens ist ein Ablehnungsgesuch (Récusation) gegen Staatsanwältin Marjorie Moret (nachfolgend: Beschwerdegegnerin), welche die Verfahren gegen den Beschwerdeführer und die nun zur Ablehnung stehende Verfahrens PE22.000099-MMR führte. Die Beschwerdekammer hatte das Ablehnungsgesuch abgewiesen.

2. Sachverhalt und Verfahrensgeschichte

Die komplexen vorinstanzlichen Verfahren lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Verfahren Pxxx1._ und Pxxx2._ (Verfahren gegen A.__):

    • Am 2. Januar 2022 reichte der Beschwerdeführer eine Anzeige gegen B.__ (nachfolgend: Beschuldigte) wegen übler Nachrede, Drohung und Irreführung der Rechtspflege ein. Ergänzend erfolgte am 5. Januar 2022 eine Anzeige wegen Verleumdung.
    • Gleichzeitig war die Beschwerdegegnerin bereits mit einem Strafverfahren (Pxxx1._) befasst, das auf einer früheren Anzeige von B._ gegen den Beschwerdeführer beruhte.
    • Die Staatsanwältin Moret eröffnete am 5. Januar 2022 ein separates Verfahren (PE22.000099-MMR) aufgrund der Anzeige des Beschwerdeführers gegen B.__.
    • Am 9. Dezember 2022 wurde das Verfahren Pxxx1._ mit einem weiteren Verfahren (Pxxx2._), das ebenfalls B.__ gegen den Beschwerdeführer angestrengt hatte, zusammengelegt.
    • Im Rahmen des zusammengelegten Verfahrens Pxxx2._ wurde der Beschwerdeführer am 8. Dezember 2023 vom Polizeigericht des Bezirks Lausanne wegen Sachbeschädigung, übler Nachrede, Beschimpfung, Verletzung des Geheim- oder Privatbereichs mittels Aufnahmegeräten, missbräuchlicher Verwendung einer Fernmeldeanlage, Nötigung und Hausfriedensbruch zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und es wurden ihm Verhaltensregeln auferlegt (psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung, Kontaktverbot zu B._).
    • Dieses Urteil wurde am 27. Mai 2024 vom Kantonsgericht Waadt im Berufungsverfahren bestätigt (Strafe auf sechs Monate reduziert) und die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen dieses Urteil wurde am 4. April 2025 vom Bundesgericht (6B_744/2024) als unzulässig erklärt. Die Verurteilung des Beschwerdeführers wurde somit rechtskräftig.
  • Verfahren PE22.000099-MMR (Verfahren A._ gegen B._):

    • Am 20. Juni 2025 teilte die Staatsanwältin Moret den Parteien mit, dass sie in diesem Verfahren eine Einstellung (ordonnance de classement) plane. Der Beschwerdeführer hatte in diesem Verfahren B._ vorgeworfen, ihn im Rahmen ihrer ursprünglichen Anzeige (die zu Pxxx1._ führte) fälschlicherweise beschuldigt zu haben, was die Straftatbestände der üblen Nachrede, Verleumdung und Irreführung der Rechtspflege erfülle.
  • Ablehnungsgesuch und Beschwerde:

    • Am 21. Juli 2025 beantragte der Beschwerdeführer die Ablehnung der Staatsanwältin Moret.
    • Die Strafrechtliche Beschwerdekammer des Kantonsgerichts Waadt wies dieses Gesuch am 6. August 2025 ab.
    • Der Beschwerdeführer erhob daraufhin Beschwerde an das Bundesgericht, mit dem Antrag, die Ablehnung der Staatsanwältin Moret gemäss Art. 56 lit. f StPO festzustellen und das Verfahren an eine unabhängige Strafverfolgungsbehörde zurückzuweisen.

3. Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts

3.1. Eintretensfrage Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde ein, da es sich um einen Zwischenentscheid einer kantonalen Einzelinstanz in einer Strafsache handelte, der gemäss Art. 78 ff. und 92 BGG einer sofortigen Beschwerde unterliegt und der Beschwerdeführer ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hatte.

3.2. Grundlagen der Ablehnung (Art. 56 lit. f StPO) Das Bundesgericht erinnerte an die Grundsätze der Ablehnung von Personen, die eine Funktion in einer Strafbehörde ausüben: * Generalklausel (Art. 56 lit. f StPO): Diese Bestimmung erfasst alle nicht explizit genannten Ablehnungsgründe, die den Anschein der Befangenheit erwecken können (z.B. enge Freundschaft oder Feindschaft). * Verfassungsmässige und EMRK-Grundlagen: Art. 56 lit. f StPO konkretisiert die Garantie eines unabhängigen und unparteiischen Gerichts gemäss Art. 30 BV und Art. 6 EMRK sowie das Recht auf ein faires Verfahren gemäss Art. 29 Abs. 1 BV. * Objektiver Anschein genügt: Für eine Ablehnung muss keine tatsächliche Befangenheit nachgewiesen werden; es genügt, wenn objektive Umstände den Anschein der Befangenheit erwecken und eine parteiische Tätigkeit befürchten lassen. Rein subjektive Eindrücke einer Partei sind nicht massgebend. Die subjektive Unparteilichkeit wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet. * Hohe Anforderungen an Verfahrensfehler: Später als fehlerhaft erwiesene Entscheide oder Verfahrenshandlungen begründen allein noch keinen objektiven Anschein der Befangenheit. Nur besonders schwere oder wiederholte Fehler, die eine grobe Verletzung der Amtspflichten darstellen, können einen Befangenheitsverdacht begründen. Das Ablehnungsverfahren dient nicht dazu, die Verfahrensführung oder Zwischenentscheide anzufechten; hierfür sind die ordentlichen Rechtsmittelinstanzen zuständig.

3.3. Beurteilung der Rügen des Beschwerdeführers

Das Bundesgericht prüfte die einzelnen Rügen des Beschwerdeführers und wies sie aus verschiedenen Gründen ab:

  • Rüge 1: Druck zur Annahme einer psychiatrischen Begutachtung und Einmischung in die Therapie:

    • Der Beschwerdeführer machte geltend, die Staatsanwältin habe Druck auf ihn ausgeübt, um seine Zustimmung zu einem psychiatrischen Gutachten zu erzwingen, und sich in seine psychiatrische Behandlung eingemischt.
    • Urteil des Bundesgerichts: Diese Rüge wurde als unzulässig erachtet. Die behaupteten Fakten ergeben sich nicht aus dem angefochtenen Entscheid, der für das Bundesgericht verbindlich ist (Art. 105 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer rügte auch keine willkürliche Sachverhaltsfeststellung (Art. 97 Abs. 1 BGG) und hatte diese Argumente offensichtlich nicht vor der kantonalen Instanz oder im Ablehnungsgesuch vorgebracht, was eine ungenügende Erschöpfung des Instanzenzuges (Art. 80 Abs. 1 BGG) darstellt.
  • Rüge 2: Verwechslung von Verfahren und Nichtbehandlung des Verfahrens PE22.000099-MMR als separates Dossier:

    • Der Beschwerdeführer behauptete, die kantonale Behörde habe verwechselt, dass das Verfahren PE22.000099-MMR nicht separat behandelt worden sei, sondern die Verfahren Pxxx1._ und Pxxx2._ sistiert habe.
    • Urteil des Bundesgerichts: Das Bundesgericht stellte fest, dass der Beschwerdeführer hier im Irrtum sei. Die Fakten zeigen, dass das Verfahren Pxxx1._ mit Pxxx2._ zusammengelegt wurde und das Verfahren PE22.000099-MMR tatsächlich in einem separaten Dossier geführt wurde, was der Beschwerdeführerin auch explizit mitgeteilt worden war.
  • Rüge 3: Parteilichkeit aufgrund der Verfahrensführung in Pxxx1._/Pxxx2._ und der geplanten Einstellung von PE22.000099-MMR:

    • Dies war die zentrale Rüge des Beschwerdeführers. Er behauptete, die Staatsanwältin habe der Anzeige von B.__ Glauben geschenkt, nicht aber seiner eigenen, und versuche, seine Anzeige ohne weitere Ermittlungen einzustellen. Er berief sich auf die Waffengleichheit, das rechtliche Gehör und den Grundsatz von Treu und Glauben.
    • Urteil des Bundesgerichts: Das Bundesgericht wies diese Rüge als unbegründet zurück und bestätigte die Argumentation der Vorinstanz:
      • Zusammenlegung der Verfahren: Die Zusammenlegung der Verfahren Pxxx1._ und Pxxx2._ war gerechtfertigt, da beide auf Anzeigen gegen denselben Beschuldigten (den Beschwerdeführer) beruhten.
      • Abwarten des Ausgangs: Es war ebenfalls gerechtfertigt, den Ausgang des Verfahrens Pxxx2._ abzuwarten, bevor über die Anzeige des Beschwerdeführers (PE22.000099-MMR) entschieden wurde. Die Anzeige des Beschwerdeführers in PE22.000099-MMR bezog sich auf falsche Anschuldigungen seitens B._ im Verfahren Pxxx1._. Die Frage, ob B._ falsche Anschuldigungen gemacht hatte, hing entscheidend davon ab, ob die vom Beschwerdeführer bestrittenen Handlungen, welche B.__ ihm vorwarf, tatsächlich begangen wurden.
      • Konsequenz der rechtskräftigen Verurteilung: Da der Beschwerdeführer im Verfahren Pxxx2._ (welches Pxxx1._ umfasste) rechtskräftig wegen der von B._ angezeigten Delikte verurteilt wurde, musste die Staatsanwältin Moret davon ausgehen, dass die Vorwürfe von B._ zutreffend waren. In dieser Konstellation hatte die Staatsanwältin keine andere Wahl, als festzustellen, dass die Anzeige des Beschwerdeführers, in der er die Anschuldigungen von B.__ bestritt, eingestellt werden musste. Es gab keinen Anlass für weitere Ermittlungen, da die Grundlage für die Behauptung der falschen Anschuldigung durch die rechtskräftige Verurteilung weggefallen war.
      • Keine schweren Fehler: Das Bundesgericht sah in der Verfahrensführung der Staatsanwältin keine besonders schweren oder wiederholten Fehler, die einen Befangenheitsverdacht begründen könnten.
      • Unzulässigkeit des Ablehnungsverfahrens: Zudem ist das Ablehnungsverfahren nicht dazu da, die Art und Weise, wie die Verfahren Pxxx1._ und Pxxx2._ geführt wurden, oder eine beabsichtigte Einstellungsverfügung anzufechten; dafür stehen dem Beschwerdeführer die ordentlichen Rechtsmittel zur Verfügung. Der Beschwerdeführer hatte im Verfahren Pxxx2.__ seine Rechte vollumfänglich wahrnehmen können.
  • Rüge 4: Ereignisse im November 2021 und Korrespondenz aus der Haft:

    • Der Beschwerdeführer berief sich auf eine "main courante" bei der Gendarmerie, eine hohe Anzahl von Anrufen der Staatsanwaltschaft, ein Schreiben vom 22. November 2022 an das Zwangsmassnahmengericht mit den Vermerken "dringend" und "Haft", sowie diverse unbeantwortete Schreiben aus seiner Haft.
    • Urteil des Bundesgerichts: Diese Rüge wurde als unzulässig erachtet, da sie von den von der kantonalen Behörde festgestellten Tatsachen abweicht und der Beschwerdeführer keine willkürliche Sachverhaltsfeststellung geltend machte.
  • Rüge 5: Behauptete Untätigkeit des Beschwerdeführers und Rüge der Verfahrensdauer:

    • Der Beschwerdeführer kritisierte, dass die kantonale Behörde festgestellt habe, er habe sich zwischen der Einreichung seiner Anzeige und dem 28. Mai 2025 nicht gemeldet. Dies betraf eine Rüge der Verletzung des Beschleunigungsgebots, welche die kantonale Instanz als unzulässig erachtet hatte.
    • Urteil des Bundesgerichts: Diese Rüge wurde als unzulässig erachtet, da der Beschwerdeführer aus seiner Behauptung keine konkrete Rechtsverletzung ableitete und seine Rüge nicht ausreichend begründete.
  • Rüge 6: Formelle Sistierung des Verfahrens PE22.000099-MMR:

    • Der Beschwerdeführer behauptete, die Staatsanwältin habe das Verfahren PE22.000099-MMR formell sistiert.
    • Urteil des Bundesgerichts: Das Bundesgericht stellte fest, dass die Akten dies nicht belegten; das Verfahren sei lediglich de facto sistiert worden.

4. Schlussfolgerung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht wies die Beschwerde in dem geringen Umfang ihrer Zulässigkeit ab. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wurde ebenfalls abgewiesen, da die Beschwerde von vornherein aussichtslos war. Die Gerichtskosten wurden dem Beschwerdeführer auferlegt, jedoch unter Berücksichtigung seiner finanziellen Verhältnisse auf 1'200 CHF festgelegt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Ablehnungsgesuch gegen Staatsanwältin wegen angeblicher Befangenheit: Der Beschwerdeführer beantragte die Ablehnung der Staatsanwältin Moret, die mehrere Verfahren, die ihn und B.__ betrafen, führte.
  • Interdependenz der Verfahren: Der Kern des Bundesgerichtsentscheids liegt in der klaren Anerkennung der Verknüpfung der Verfahren. Das Verfahren, in dem der Beschwerdeführer B._ der falschen Anschuldigung bezichtigte (PE22.000099-MMR), war direkt abhängig vom Ausgang der Verfahren, in denen der Beschwerdeführer selbst wegen der von B._ angezeigten Delikte angeklagt war (Pxxx1._/Pxxx2._).
  • Rechtskräftige Verurteilung als entscheidender Faktor: Da der Beschwerdeführer in den Verfahren Pxxx1._/Pxxx2._ rechtskräftig verurteilt wurde, standen die von B._ gegen ihn erhobenen Vorwürfe fest. Dies entzog der Behauptung des Beschwerdeführers, B._ habe ihn fälschlicherweise beschuldigt, die Grundlage.
  • Keine Befangenheit der Staatsanwältin: Die Staatsanwältin hatte angesichts der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers keine andere Wahl, als eine Einstellung des Verfahrens wegen falscher Anschuldigung zu prüfen. Die Vorgehensweise der Staatsanwältin (Zusammenlegung von Verfahren, Abwarten des Ausgangs des Hauptverfahrens) wurde als korrekt und nicht als Ausdruck von Befangenheit gewertet.
  • Hohe Hürden für Ablehnungsgesuche: Das Gericht betonte erneut, dass blosse Verfahrensfehler nicht zur Ablehnung führen; es bedarf besonders schwerer oder wiederholter Verstösse gegen die Amtspflichten, um den objektiven Anschein der Befangenheit zu begründen. Ablehnungsgesuche sind zudem nicht dazu da, die materielle Richtigkeit von Zwischenentscheiden oder die generelle Verfahrensführung anzufechten.
  • Teilweise Unzulässigkeit der Rügen: Ein Grossteil der Rügen des Beschwerdeführers wurde wegen mangelhafter Begründung, Bezugnahme auf neue Tatsachen oder ungenügender Ausschöpfung des Instanzenzuges als unzulässig erachtet.