Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_982/2024 vom 29. Oktober 2025

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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichts 6B_982/2024 vom 29. Oktober 2025

1. Einleitung und Verfahrensstand

Das Bundesgericht hatte über eine Beschwerde in Strafsachen von A.__ (Beschwerdeführer) gegen einen Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen zu befinden. Das Kantonsgericht hatte den Beschwerdeführer der Entführung (Art. 183 Ziff. 1 Abs. 2 StGB), der qualifizierten einfachen Körperverletzung, der geringfügigen Sachbeschädigung und eines Vergehens gegen das Waffengesetz schuldig gesprochen. Es verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, einer Geldstrafe, einer Busse, ordnete eine ambulante Massnahme an und verwies ihn für sieben Jahre des Landes (Landesverweisung) mit Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS).

Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Entführung sowie der Landesverweisung und seinen Freispruch von der Anklage der Entführung.

2. Rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht

Das Bundesgericht befasste sich im Wesentlichen mit zwei zentralen Rügen des Beschwerdeführers: der Verletzung von Art. 183 Ziff. 1 Abs. 2 StGB (Entführung) und der Verletzung von Art. 66a Abs. 2 StGB (Landesverweisung) i.V.m. Art. 8 EMRK und Art. 9, 14 BV.

2.1. Zum Schuldspruch der Entführung (Art. 183 Ziff. 1 Abs. 2 StGB)

a) Argumentation des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer rügte, der objektive Tatbestand der Entführung sei nicht erfüllt. Er habe seine Machtposition über die Beschwerdegegnerin 2 (seine ehemalige Ehefrau) bereits kurz nach dem Einsteigen in ihr Fahrzeug erlangt und nicht erst als Folge des Verbringens an einen anderen Ort, wie es gemäss konstanter Rechtsprechung für den Tatbestand der Entführung vorausgesetzt werde. Zudem gehe aus dem Sachverhalt nicht hervor, dass er mit der erzwungenen Verbringung eine Machtposition habe erlangen wollen, womit auch der subjektive Tatbestand nicht erfüllt sei.

b) Rechtliche Grundlagen und Vorinstanzliche Feststellungen: Das Bundesgericht erinnert an die Definition der Entführung. Das geschützte Rechtsgut sei die körperliche Fortbewegungsfreiheit (BGE 141 IV 10 E. 4.3). Der Tatbestand der Entführung gemäss Art. 183 Ziff. 1 Abs. 2 StGB setze zwei Elemente voraus: das Verbringen des Opfers an einen anderen Ort und – als Folge davon – eine gewisse Machtposition des Täters über das Opfer (BGE 141 IV 10 E. 4.3 und 4.5.2; 118 IV 61 E. 2.b). Dies müsse durch Gewalt, List oder Drohung erfolgen und ein Kausalzusammenhang zwischen dem Tatmittel und der Entführung bestehen. Der Täter müsse zudem vorsätzlich handeln, d.h. wissen oder in Kauf nehmen, dass er eine Person gegen ihren Willen mit diesen Mitteln an einen anderen Ort verbringt. Erforderlich sei eine Ortsveränderung für eine gewisse Dauer, bei der das Opfer nicht die Möglichkeit habe, unabhängig vom Willen des Täters an seinen gewohnten Aufenthaltsort zurückzukehren (BGE 141 IV 10 E. 4.5.2). Eine Autofahrt gegen den Willen des Opfers könne je nach Umständen Entführung oder Freiheitsberaubung darstellen (BGE 141 IV 10 E. 4.4.1).

Die Vorinstanz stellte fest, dass der Beschwerdeführer am 29. September 2021 in das geparkte Fahrzeug seiner Ex-Ehefrau B._ eingestiegen sei und sie aufgefordert habe, ihn zu fahren. Als sie sich weigerte und zu fliehen versuchte, habe er sie unter physischer Gewalt ins Fahrzeug zurückgezogen. Bereits zu diesem Zeitpunkt sei ihre Fortbewegungsfreiheit aufgehoben gewesen. Zur weiteren Durchsetzung seines Willens habe er sie verbal und mit einem Messer (an Hals und Bauch) mit dem Tod bedroht und ihr in die Hand gestochen. Kausal zu dieser Gewalt und Drohung habe B._ das Fahrzeug in Bewegung gesetzt und sei entgegen ihrem Willen in Richtung X.__ gefahren. Die Vorinstanz bejahte den Einsatz eines tatbestandsmässigen Mittels (Drohung und Gewalt) und eine dauerhafte Machtposition des Beschwerdeführers über das Opfer von dessen Einsteigen bis zu ihrer Flucht. Die Flucht sei ihr nur unter einem Vorwand (medizinische Versorgung) gelungen. Die Vorinstanz bejahte direkten Vorsatz.

c) Würdigung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht wies den Einwand des Beschwerdeführers zurück. Es hielt fest, dass mit den im Gesetz genannten Tatmitteln zwar zunächst die Machtposition begründet werde, entscheidend für die Tatbestandserfüllung der Entführung sei jedoch, dass sich als Folge des Verbringens an einen anderen Ort eine Machtposition des Täters über sein Opfer ergebe. Dies sei vorliegend der Fall gewesen, wie die vorinstanzlichen Erwägungen zur situativen Macht des Beschwerdeführers zeigten. Angesichts der festgestellten Tatsachen sei auch der Schluss auf die vorsätzliche Tatbegehung begründet. Eine Rechtsverletzung wurde verneint.

2.2. Zur Landesverweisung (Art. 66a StGB, Art. 8 EMRK)

a) Argumentation des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung von Art. 66a Abs. 2 StGB (Härtefallklausel), Art. 8 EMRK sowie Art. 9 und 14 BV. Er beanstandete die Landesverweisung und machte geltend, die Vorinstanz habe den Sachverhalt willkürlich festgestellt.

b) Rechtliche Grundlagen und Vorinstanzliche Feststellungen: Das Bundesgericht verwies auf Art. 66a Abs. 1 lit. g StGB, der für Ausländer, die wegen Entführung verurteilt wurden, eine obligatorische Landesverweisung von 5 bis 15 Jahren vorsieht. Von dieser kann gemäss Art. 66a Abs. 2 StGB nur ausnahmsweise abgesehen werden, wenn (1.) sie einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und (2.) die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung die privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen (kumulative Voraussetzungen der Härtefallklausel). Das Bundesgericht hat die Kriterien hierfür in ständiger Rechtsprechung dargelegt (BGE 146 IV 105 E. 3.4; 144 IV 332 E. 3.3). Auch die Bedeutung von Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) im Kontext der Landesverweisung wurde mehrfach behandelt (BGE 146 IV 105 E. 4.2; 147 I 268 E. 1.2.3). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG); eine Korrektur ist nur bei Willkür (Art. 97 Abs. 1 BGG) möglich. Neue Tatsachen ("echte Noven") sind vor Bundesgericht grundsätzlich unbeachtlich (Art. 99 Abs. 1 BGG).

Die Vorinstanz hatte festgehalten, dass der Beschwerdeführer, obwohl er seit 16 Jahren in der Schweiz lebe, in sozialer, gesellschaftlicher, sprachlicher und wirtschaftlicher Hinsicht mangelhaft integriert sei. Insbesondere seine IV-Anträge wurden abgewiesen, und sein Beziehungsnetz sei abseits seiner Ex-Ehefrau und Kinder gänzlich fehlend. Hinsichtlich der familiären Situation stellte die Vorinstanz fest, dass der Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren weder Geburtstag noch Alter seiner beiden Söhne (geboren 2010 und 2013) nennen konnte und seine Antworten im Berufungsverfahren rudimentär und emotionslos gewesen seien. Eine affektive Beziehung zu den Söhnen sei zu verneinen. Die beschränkten Kontakte (telefonisch/elektronisch) könnten auch bei Landesverweisung weitergeführt werden. Da die Kinder bei der Mutter lebten, würde die Landesverweisung keine Veränderung hinsichtlich ihres Wohnortes oder ihrer "Kernperson" bewirken. Die Vorinstanz verneinte daher einen schweren persönlichen Härtefall.

Eventualiter prüfte die Vorinstanz die Interessenabwägung. Sie stellte ein erhebliches Verschulden, ein Tatvorgehen mit krassem mangelndem Respekt gegenüber hochrangigen Rechtsgütern (Leib und Leben), einen ausgeprägten Dominanzfokus gegenüber der Beschwerdegegnerin 2, fehlende Übernahme von Verantwortung und Reue fest. Hinzu komme eine beträchtliche Rückfallgefahr und eine entsprechend schlechte Legalprognose, womit eine gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom Beschwerdeführer ausgehe. Das öffentliche Interesse an der Wegweisung überwiege.

c) Würdigung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht bestätigte die Würdigung der Vorinstanz vollumfänglich. Es wies die Einwände des Beschwerdeführers zurück: * Die Berücksichtigung von Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 zur Einstellung des Beschwerdeführers, auch wenn er vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen wurde, sei nicht willkürlich gewesen. * Die mangelhafte Integration sei auch unter Berücksichtigung der diagnostizierten Persönlichkeitsstörung und Depressionssymptomatik nicht zu beanstanden, da der Beschwerdeführer trotz langer Aufenthaltsdauer kein gefestigtes Beziehungsnetz ausserhalb seiner Kernfamilie aufgebaut und die sprachliche Integration unzureichend geblieben sei. * Das Argument des Beschwerdeführers, es sei nach dem vorinstanzlichen Entscheid zu einem erneuten Zusammenleben mit der Beschwerdegegnerin 2 und den Kindern gekommen, wurde als echtes Novum (Art. 99 Abs. 1 BGG) zurückgewiesen und somit nicht beachtet. * Die vorinstanzliche Feststellung, dass keine affektive Beziehung zu den Kindern bestehe, sei nicht widerlegt worden; die Unfähigkeit, Alter und Geburtsdatum der Kinder zu nennen, und die emotionslosen Antworten blieben bestehen. Die pauschale Verweisung auf die Diagnose ändere nichts daran. Die Drohung des Beschwerdeführers, die Familie und sich selbst umzubringen, habe die Vorinstanz ohne Willkür berücksichtigen können, da sie dessen Selbstfixierung zeige. * Da die Kinder nicht beim Beschwerdeführer lebten und er nicht für deren finanziellen Unterhalt aufkommen könne, sei die Aufrechterhaltung der beschränkten Kontakte (telefonisch/elektronisch) auch bei Landesverweisung möglich. Eine "nahe, echte und tatsächlich gelebte familiäre Beziehung" im Sinne der Rechtsprechung sei nicht ersichtlich. * Unter Einbezug der mangelhaften Integration und der intakten Integrationschancen im Heimatland wurde die Verneinung eines Härtefalls durch die Vorinstanz als zutreffend erachtet.

Auch die eventualiter vorgenommene Interessenabwägung durch die Vorinstanz wurde als ermessenskonform bestätigt. Das Tatvorgehen zeuge von krassem Respektmangel vor hochrangigen Rechtsgütern und einem krassen Dominanzfokus. Aufgrund fehlender Einsicht, Reue und des forensisch-psychiatrischen Gutachtens bestehe eine beträchtliche Rückfallgefahr. Die daraus resultierende Gefahr für die öffentliche Sicherheit überwiege das private Interesse des Beschwerdeführers.

3. Ergebnis und Kosten

Die Beschwerde wurde vollumfänglich abgewiesen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wurde abgewiesen, da die Beschwerde von vornherein aussichtslos war. Die Gerichtskosten wurden dem Beschwerdeführer auferlegt, jedoch aufgrund seiner finanziellen Lage herabgesetzt.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte den Schuldspruch wegen Entführung, da die Tatbestandsmerkmale des Verbringens an einen anderen Ort mit der Folge einer Machtposition des Täters über das Opfer sowie der Vorsatz erfüllt waren. Die Rüge, die Machtposition sei bereits zuvor entstanden und nicht eine Folge des Verbringens, wurde zurückgewiesen. Bezüglich der Landesverweisung bestätigte das Gericht die vorinstanzliche Verneinung eines schweren persönlichen Härtefalls. Dies wurde primär mit der mangelhaften Integration des Beschwerdeführers in die Schweiz (sozial, gesellschaftlich, sprachlich, wirtschaftlich), seiner schwachen affektiven Beziehung zu seinen Kindern und seinem intakten Beziehungsnetz im Heimatland begründet. Die Vorbringen des Beschwerdeführers, insbesondere bezüglich einer angeblich wiederhergestellten familiären Kohabitation, wurden als unzulässige neue Tatsachen (echte Noven) zurückgewiesen. Selbst bei Annahme eines Härtefalls hätte das öffentliche Interesse an der Wegweisung aufgrund der hohen Rückfallgefahr und der Gefahr für die öffentliche Sicherheit überwogen. Die Landesverweisung steht somit im Einklang mit Bundes- und Konventionsrecht.