Zusammenfassung von BGer-Urteil 5A_858/2024 vom 4. November 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts (5A_858/2024 vom 4. November 2025)

Parteien: * Beschwerdeführer: A._ (Vater) * Beschwerdegegnerin: B._ (Mutter) * Weitere Verfahrensbeteiligte: Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Basel-Stadt (KESB Basel-Stadt), Kindes- und Erwachsenenschutzgericht Genf (Tribunal de protection de l'adulte et de l'enfant Genf)

Gegenstand: Nichtanerkennung eines ausländischen Urteils, Obhut und weitere Kindesbelange

I. Sachverhaltsübersicht

Die unverheirateten Eltern A._ (Vater) und B._ (Mutter) üben die gemeinsame elterliche Sorge über ihren Sohn C._ (geb. 2021) aus. Die KESB Basel-Stadt stellte das Kind mit Entscheid vom 7. September 2022 vorsorglich und am 10. Februar 2023 definitiv unter die Obhut der Mutter. Gleichzeitig erlaubte sie der Mutter, den Aufenthaltsort des Kindes nach U._ (Frankreich) zu verlegen und wies die Anträge des Vaters auf alternierende oder alleinige Obhut ab. Das Bundesgericht bestätigte diesen Entscheid letztinstanzlich am 7. November 2023 (Urteil 5A_536/2023). Der persönliche Verkehr wurde von der KESB Basel-Stadt am 2. März 2023 detailliert geregelt.

Nachdem die Mutter mit dem Kind nach Frankreich umgezogen war, beantragte sie am 30. Mai 2023 beim Tribunal Judiciaire de Paris die Zuweisung der alleinigen elterlichen Sorge. Der Vater beantragte seinerseits die alleinige Obhut. Mit Urteil vom 13. März 2024 setzte das französische Gericht den Wohnsitz des Kindes ("résidence principale") beim Vater in V.__ (Schweiz) fest, regelte den persönlichen Verkehr der Mutter und verpflichtete sie zu Unterhaltszahlungen. Der Vater brachte das Kind daraufhin am 23. März 2024 in die Schweiz, übergab es aber am 31. März 2024 der Mutter für die Ausübung ihres Besuchsrechts in Frankreich, woraufhin sich das Kind ununterbrochen bei der Mutter aufhielt.

Die Mutter informierte die KESB Basel-Stadt am 25. März 2024 über das französische Urteil und beantragte die Vollstreckung der schweizerischen Entscheide, verbunden mit der Ankündigung, mit dem Kind Wohnsitz in V.__ (Schweiz) zu nehmen. Die KESB Basel-Stadt verfügte daraufhin superprovisorisch und am 7. Mai 2024 definitiv, dass das Urteil des Tribunal Judiciaire de Paris nicht anerkannt werde und ihre eigenen rechtskräftigen Entscheide vom 10. Februar und 2. März 2023 weiterhin gültig seien.

In der Zwischenzeit hatte die Mutter am 17. April 2024 eine Wohnsitzbestätigung für W.__ (Schweiz) im Kanton Genf erhalten. Sie stellte beim Tribunal de protection de l'adulte et de l'enfant in Genf (Erwachsenen- und Kindesschutzgericht) einen Antrag auf Einstellung des Besuchsrechts des Vaters. Gestützt auf einen Bericht des Kindesschutzdienstes erliess das Genfer Gericht am 22. Juli 2024 superprovisorische Massnahmen, darunter eine Beistandschaft, die Regelung des persönlichen Verkehrs und ein Ausreiseverbot für das Kind.

II. Vorinstanzliche Beurteilung

Der Vater erhob Beschwerde gegen den Entscheid der KESB Basel-Stadt vom 7. Mai 2024 beim Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt. Er beantragte die Aufhebung des KESB-Entscheids und die Feststellung der örtlichen Unzuständigkeit der KESB Basel-Stadt, eventualiter die Anerkennung des französischen Urteils.

Das Appellationsgericht trat mit Urteil vom 4. November 2024 auf die Beschwerde des Vaters nicht ein. Es begründete dies im Wesentlichen damit, dass dem Vater ein schutzwürdiges Interesse an der Anfechtung fehle, da die Genfer Behörden ihre Zuständigkeit zur Regelung der Kindesbelange anerkannt und bereits Massnahmen getroffen hätten. Der Nichtanerkennungsentscheid der KESB Basel-Stadt habe daher keine praktische Bedeutung mehr für den Vater. Zudem sei die KESB Basel-Stadt zum Zeitpunkt ihres Entscheids örtlich zuständig gewesen, da das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in V.__ (Schweiz) begründet habe.

III. Begründung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht trat aufgrund eines sogenannten doppelrelevanten Sachverhalts auf die Beschwerde ein. Die Frage des schutzwürdigen Interesses des Beschwerdeführers, welche von der Vorinstanz als Eintretensvoraussetzung verneint wurde, beurteilte es im Rahmen der materiellen Prüfung der Beschwerde.

Das Bundesgericht wies die Beschwerde des Vaters mit folgender detaillierter Begründung ab:

  1. Fehlendes aktuelles und praktisches Rechtsschutzinteresse an der Anfechtung der KESB-Entscheide:

    • Das Bundesgericht stellte fest, dass die superprovisorischen Massnahmen des Genfer Erwachsenen- und Kindesschutzgerichts vom 22. Juli 2024 (gemäss Sachverhalt A.e) an die Stelle der ursprünglichen Entscheide der KESB Basel-Stadt vom 10. Februar und 2. März 2023 getreten sind. Diese Genfer Massnahmen haben die Wirkungen der Basler Entscheide für die Dauer des Verfahrens beseitigt.
    • Der Umstand, dass es sich lediglich um superprovisorische Massnahmen handelt, ist für die Beurteilung des Rechtsschutzinteresses ohne Belang. Solche Massnahmen werden für die Dauer des Verfahrens getroffen (Art. 314 Abs. 1 i.V.m. Art. 445 Abs. 1 ZGB), und es wird nach Anhörung der Parteien ein neuer Entscheid im vorsorglichen Massnahmeverfahren und schliesslich ein Hauptsacheentscheid ergehen.
    • Da somit absehbar ein neuer, den aktuellen Verhältnissen Rechnung tragender Entscheid ergehen wird, der die KESB-Entscheide ersetzen wird, fehlt dem Vater ein aktuelles und praktisches Interesse an der Aufhebung des ursprünglichen KESB-Entscheids.
  2. Fehlendes aktuelles und praktisches Rechtsschutzinteresse an der Anerkennung des französischen Urteils:

    • Der Vater argumentierte, die Nichtanerkennung des französischen Urteils durch die KESB Basel-Stadt könne in materielle Rechtskraft erwachsen und ihn daran hindern, sich vor anderen Behörden auf dieses Urteil zu berufen.
    • Das Bundesgericht verwarf dieses Argument. Es betonte, dass selbst bei einer Anerkennung eines ausländischen Urteils, welches den persönlichen Verkehr oder den Wohnsitz eines Kindes regelt, die zuständige schweizerische Behörde am Wohnsitz- bzw. Aufenthaltsort des Kindes (Art. 315 ZGB) aufgrund einer Veränderung der Verhältnisse jederzeit einen neuen Entscheid treffen kann (Art. 298d, Art. 313 ZGB).
    • Solche veränderten Verhältnisse lagen hier unstreitig vor: Das Kind lebt mit seiner Mutter in W.__ (Schweiz) und besucht dort den Kindergarten.
    • Das Bundesgericht berücksichtigte den Umstand, dass das Genfer Erwachsenen- und Kindesschutzgericht nicht nur ein Verfahren eröffnet, sondern bereits einen ersten Entscheid getroffen hat, der den persönlichen Verkehr in Abweichung zum französischen Urteil regelt. Dieser Umstand wurde als ergänzungsbedürftige Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz gemäss Art. 105 Abs. 2 BGG berücksichtigt, da er für die Beurteilung der Prozessvoraussetzungen relevant ist.
    • Auch hier gilt: Da ein neuer Entscheid ergehen wird, der den aktuellen Verhältnissen Rechnung trägt und an die Stelle des französischen Urteils treten wird (bzw. treten könnte, wenn es anerkannt worden wäre), fehlt dem Vater ein aktuelles und praktisches Interesse, die Anerkennung des französischen Urteils weiterzuverfolgen.
    • Eine bloss entfernte prozessuale Möglichkeit, dass das Genfer Gericht im Hauptsacheentscheid auf jegliche Massnahme verzichten würde (wodurch das französische Urteil wieder relevant werden könnte), genügt nicht, um ein Rechtsschutzinteresse zu begründen.
  3. Zuständigkeit der KESB Basel-Stadt:

    • Die Frage der örtlichen Zuständigkeit der KESB Basel-Stadt, die vom Vater ebenfalls gerügt wurde, wurde nicht vertieft behandelt. Da das Bundesgericht das fehlende Rechtsschutzinteresse des Vaters bejahte, erübrigte sich eine materielle Prüfung dieser Frage. Die Vorinstanz hatte die Zuständigkeit der KESB Basel-Stadt im Zeitpunkt ihres Entscheids ohnehin bejaht.

IV. Fazit des Bundesgerichts

Das Bundesgericht befand, dass der Entscheid der Vorinstanz, mangels Rechtsschutzinteresse nicht auf das Rechtsmittel einzutreten, nicht bundesrechtswidrig sei. Die Beschwerde wurde daher abgewiesen. Die Gerichtskosten wurden dem Beschwerdeführer auferlegt, und er wurde zur Zahlung einer Parteientschädigung an die Beschwerdegegnerin verpflichtet.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht wies die Beschwerde des Vaters ab, weil ihm ein aktuelles und praktisches Rechtsschutzinteresse an der Anfechtung der KESB-Entscheide und der Anerkennung des französischen Urteils fehlte. Dies begründete das Gericht damit, dass die vom Genfer Erwachsenen- und Kindesschutzgericht erlassenen superprovisorischen Kindesschutzmassnahmen die früheren Entscheide der KESB Basel-Stadt ersetzt haben. Zudem könnten die Genfer Behörden, unabhängig von der Anerkennung des französischen Urteils, aufgrund veränderter Verhältnisse (neuer Wohnsitz des Kindes in Genf) stets neue Kindesschutzmassnahmen anordnen. Da absehbar ein neuer Hauptsacheentscheid ergehen wird, sind die früheren Streitpunkte des Vaters gegenstandslos geworden, wodurch sein praktisches Interesse an einer Aufhebung der angefochtenen Entscheide entfiel.