Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_294/2025 vom 4. November 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Urteil des Bundesgerichts 2C_294/2025 vom 4. November 2025

Parteien: * Beschwerdeführer: A.__, Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo * Beschwerdegegner: Service de la population du canton de Vaud

Gegenstand: Aufenthaltsbewilligung in Aussicht auf Eheschliessung und Wegweisung

Vorinstanz: Cour de droit administratif et public du Tribunal cantonal du canton de Vaud (Urteil vom 30. April 2025)

I. Sachverhalt (massgebliche Fakten):

Der 1987 geborene Beschwerdeführer A.__, Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo, kam 1994 im Alter von sieben Jahren in die Schweiz und erhielt eine Niederlassungsbewilligung.

  • Familienverhältnisse:

    • 2008 heiratete er B.__, eine Schweizerin (geb. 1987). Sie hatten zwei gemeinsame Kinder (C. geb. 2007, D. geb. 2010).
    • Die Ehe wurde 2014 geschieden; das Sorgerecht und die Obhut wurden der Mutter zugesprochen, dem Vater ein Besuchsrecht eingeräumt, das 2017 eingeschränkt wurde.
    • Zwischen 2015 und einem unbekannten Datum unterhielt der Beschwerdeführer eine Beziehung mit E.__, einer Schweizerin (geb. 1994), mit der er zwei von ihm anerkannte Kinder hat (F. geb. 2015, G. geb. 2017). Diese Kinder leben in einem Heim.
    • Im Jahr 2023 nahm der Beschwerdeführer das Zusammenleben mit seiner ehemaligen Ehefrau B.__ wieder auf. Aus dieser wiederaufgenommenen Beziehung ging ein drittes gemeinsames Kind hervor (H. geb. 2021).
    • Es wird erwähnt, dass der Beschwerdeführer ein sechstes Kind mit E.__ haben soll, das er nicht anerkennen konnte und für das er ebenfalls nicht die Obhut hat.
  • Strafrechtliche Vorgeschichte und Widerruf der Niederlassungsbewilligung:

    • Zwischen Mai 2008 und Juli 2018 wurde A.__ zehnmal verurteilt, unter anderem:
      • Am 30. April 2013 zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten und einer Busse von 200 CHF wegen Raufhandels, Hausfriedensbruchs, Diebstahls und Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz.
      • Am 25. August 2016 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen und einer Busse von 400 CHF unter anderem wegen qualifizierter einfacher Körperverletzung, Nötigung, Hausfriedensbruchs, sexueller Handlungen mit Kindern, Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, Hinderung einer Amtshandlung, qualifizierter Trunkenheit am Steuer, Fahrens trotz Führerausweisentzug und Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz.
    • Am 13. November 2018 widerrief der Kanton Waadt die Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers und ordnete dessen Wegweisung aus der Schweiz an. Diese Entscheidung wurde vom Kantonsgericht (13. September 2021) und vom Bundesgericht (Urteil 2C_805/2021 vom 31. Mai 2022) bestätigt.
    • Der Beschwerdeführer kam der Aufforderung, die Schweiz unverzüglich zu verlassen, nicht nach.
    • Nach dem Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung wurde A.__ erneut straffällig:
      • Am 26. September 2023 verurteilte ihn das Bundesstrafgericht zu einer Freiheitsstrafe von 40 Tagen, einer Geldstrafe von fünf Tagessätzen und einer Busse von 100 CHF u.a. wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, Hinderung einer Amtshandlung und Verletzung des Epidemiengesetzes.
      • Am 19. Dezember 2024 verurteilte ihn das Strafgericht zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten wegen sexueller Handlungen mit einer urteilsunfähigen oder widerstandsunfähigen Person sowie illegalen Aufenthalts. Diese Strafe wurde bedingt vollzogen, wobei die Ausweisung des Beschwerdeführers nicht angeordnet wurde.
  • Aktuelles Gesuch und Verfahren:

    • Am 17. März 2024 beantragte der Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigung zur erneuten Eheschliessung mit B.__, mit der er seit 2023 wieder im gemeinsamen Haushalt lebt.
    • Der kantonale Dienst lehnte den Antrag am 2. Mai 2024 ab und ordnete die Wegweisung an. Der Rekurs dagegen wurde am 11. Juli 2024 abgewiesen.
    • Das Kantonsgericht wies die Beschwerde des Beschwerdeführers am 30. April 2025 ab.

II. Erwägungen des Bundesgerichts:

Das Bundesgericht prüft die Beschwerde im Rahmen eines Sachverhalts, der durch das angefochtene Urteil der Vorinstanz festgestellt wurde. Neu vorgebrachte Fakten oder Beweismittel werden nicht berücksichtigt (Art. 99 Abs. 1 BGG).

1. Zulässigkeit der Beschwerde: * Die Beschwerde ist als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig, soweit der Beschwerdeführer ein potenzielles Aufenthaltsrecht aufgrund von Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) und Art. 12 EMRK (Recht auf Eheschliessung) geltend macht. * Hingegen ist sie hinsichtlich der Wegweisung als solche unzulässig (Art. 83 lit. c Ziff. 4 AIG), doch werden die diesbezüglichen Rügen im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung berücksichtigt. * Die Rügen des Beschwerdeführers bezüglich der Diskriminierung (Art. 8 Abs. 2 BV und Art. 14 EMRK) im Zusammenhang mit der früheren Widerrufsentscheidung seiner Niederlassungsbewilligung sind unzulässig, da der Streitgegenstand vor Bundesgericht auf das aktuelle Gesuch um eine Aufenthaltsbewilligung in Aussicht auf Eheschliessung beschränkt ist.

2. Sachverhaltsfeststellung (Willkürrügen): * Das Bundesgericht weist die Willkürrügen des Beschwerdeführers bezüglich der Sachverhaltsfeststellung zurück. Die Vorinstanz habe nicht willkürlich festgestellt, dass der Beschwerdeführer die Schweiz bereits 2018 hätte verlassen müssen (korrekt war die Fristsetzung nach dem Bundesgerichtsurteil von 2022). Empfehlungsschreiben und Zeugenaussagen seien nicht massgeblich für den Ausgang des Verfahrens. Neue Tatsachen, die nach dem Urteil der Vorinstanz entstanden sind, sind unzulässig.

3. Recht auf eine Aufenthaltsbewilligung in Aussicht auf Eheschliessung (Kons. 4):

  • Rechtsgrundlagen:

    • Art. 12 EMRK und Art. 14 BV garantieren das Recht auf Eheschliessung und Familiengründung.
    • Nach der Rechtsprechung muss die Ausländerbehörde eine Aufenthaltsbewilligung in Aussicht auf Eheschliessung erteilen, wenn keine Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Inanspruchnahme der Familienzusammenführung bestehen und klar ist, dass der Ausländer nach der Heirat die Voraussetzungen für eine Zulassung in der Schweiz erfüllen würde (analog Art. 17 Abs. 2 AIG; BGE 139 I 37 E. 3.5.2).
    • Ist hingegen von vornherein klar, dass der Ausländer auch nach der Eheschliessung nicht in der Schweiz zugelassen werden kann, so kann die Behörde die provisorische Aufenthaltsbewilligung verweigern. Es gibt keinen Grund, ihm einen längeren Aufenthalt in der Schweiz zum Heiraten zu ermöglichen, wenn er ohnehin nicht dauerhaft mit seiner Familie hier leben kann (BGE 139 I 37 E. 3.5.2; 138 I 41 E. 4; 137 I 351 E. 3.7).
    • Art. 8 EMRK geht in Bezug auf das Recht auf Aufenthalt zur Eheschliessung nicht über Art. 12 EMRK hinaus.
  • Anwendung auf den Fall:

    • Die Heiratsabsichten des Beschwerdeführers werden nicht bestritten, sodass keine Scheinehe vorliegt. Die zentrale Frage ist daher, ob der Beschwerdeführer nach der Eheschliessung mit seiner ehemaligen Ehefrau, einer Schweizerin, in der Schweiz zugelassen werden könnte.
    • Art. 42 Abs. 1 AIG (Anspruch des Ehegatten eines Schweizer Bürgers): Grundsätzlich hätte der Beschwerdeführer als Ehegatte einer Schweizerin und Vater gemeinsamer Schweizer Kinder, mit denen er im gemeinsamen Haushalt lebt, einen Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung.
    • Widerrufsgründe (Art. 51 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 63 AIG): Dieser Anspruch erlischt jedoch, wenn Widerrufsgründe gemäss Art. 63 AIG vorliegen.
      • Art. 63 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 62 Abs. 1 lit. b AIG (langjährige Freiheitsstrafe): Eine langjährige Freiheitsstrafe im Sinne dieser Bestimmung ist eine Freiheitsstrafe von über einem Jahr aus einem einzigen Strafurteil. Der Beschwerdeführer wurde am 25. August 2016 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Dieser Widerrufsgrund ist erfüllt und ihm weiterhin entgegenhaltbar, da er seiner Wegweisungspflicht nie nachgekommen ist.
      • Art. 63 Abs. 1 lit. b AIG (schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung): Dieser Grund ist erfüllt, wenn der Ausländer die öffentliche Sicherheit und Ordnung in schwerwiegender Weise beeinträchtigt oder gefährdet oder die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz bedroht. Dies kann durch die Verletzung besonders wichtiger Rechtsgüter (z.B. körperliche, psychische oder sexuelle Integrität) oder durch die Wiederholung von Verstössen, die trotz Verwarnungen und Verurteilungen die Unfähigkeit oder den Unwillen zur Einhaltung der Rechtsordnung zeigen, erfüllt sein.
        • Der Beschwerdeführer hat zwischen 2008 und 2018 zehn Verurteilungen erlitten. Auch nach dem Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung im Jahr 2021 wurde er 2023 zu 40 Tagen und 2024 zu 18 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt (letztere wegen sexueller Handlungen mit einer urteilsunfähigen Person und illegalem Aufenthalt). Diese Serie von Straftaten, einschliesslich schwerwiegender Delikte und der fortgesetzten Missachtung der Rechtsordnung, erfüllt diesen Widerrufsgrund eindeutig.
        • Der Umstand, dass das Strafgericht bei der Verurteilung vom 19. Dezember 2024 auf die Anordnung einer Ausweisung verzichtet hat, ist im vorliegenden Kontext der Prüfung eines neuen Aufenthaltsrechts nicht relevant (Abgrenzung zu Art. 63 Abs. 3 AIG).
    • Fazit: Da beide Widerrufsgründe erfüllt sind, ist es nicht von vornherein klar, dass der Beschwerdeführer nach der Eheschliessung einen Aufenthaltstitel erhalten könnte.

4. Verhältnismässigkeitsprüfung (Kons. 4.7):

  • Das Bundesgericht nimmt eine umfassende Interessenabwägung vor (Art. 5 Abs. 2 BV, Art. 96 AIG, Art. 8 Abs. 2 EMRK, Art. 3 und 9 KRK).
  • Öffentliches Interesse an der Wegweisung: Dieses ist aufgrund der mehrfachen Verurteilungen des Beschwerdeführers seit 2008, seiner beharrlichen Weigerung, die Schweiz nach dem Bundesgerichtsurteil von 2022 zu verlassen, und den zwei weiteren Verurteilungen (darunter eine zu 18 Monaten Freiheitsstrafe) als sehr hoch einzustufen. Die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe zum Glauben gefunden und eine Ausbildung für eine kirchliche Laufbahn begonnen, reicht nicht aus, um dies zu widerlegen.
  • Private Interessen des Beschwerdeführers und seiner Familie:
    • Seine Lebensgefährtin und zukünftige Ehefrau musste angesichts seiner Vorgeschichte und der bereits erfolgten Widerrufung der Niederlassungsbewilligung damit rechnen, dass ein weiteres Familienleben in der Schweiz nicht möglich sein würde.
    • Die beiden älteren gemeinsamen Kinder (15 und 18 Jahre) sind dabei, eine gewisse Unabhängigkeit zu erlangen. Sie lebten zwischen 2014 und 2023 auch getrennt vom Vater unter der Obhut der Mutter.
    • Für die jüngste Tochter (4 Jahre) könnte eine Trennung vom Vater zwar schwierig sein, dieses Element allein genügt jedoch in der Gesamtabwägung nicht, um die anderen Interessen zu überwiegen.
    • Die Kinder aus der Beziehung mit E._ leben nicht beim Beschwerdeführer, sondern in einem Heim. Er hat auch nicht die Obhut über ein weiteres mit E._ gezeugtes Kind.
    • Fazit: Die privaten Interessen im Zusammenhang mit dem Familienleben in der Schweiz sind grossenteils zu relativieren und können das öffentliche Interesse an der Wegweisung des Beschwerdeführers nicht überwiegen.
  • Hindernisse bei der Rückkehr ins Herkunftsland (Demokratische Republik Kongo):
    • Der Beschwerdeführer verweist auf die besorgniserregende Lage in der DR Kongo (Krieg, Vertreibung, Folter, summarische Hinrichtungen). Er legt jedoch keine persönlichen, konkreten Risiken für sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit im Falle einer Rückkehr dar, sondern beschränkt sich auf allgemeine Ausführungen.
    • Gesundheitliche Probleme (Notoperation 2022 in der Schweiz) sind nicht relevant, da er aktuell keine Gesundheitsprobleme hat, die eine Behandlung in der Schweiz zwingend erforderlich machen würden.
  • Gesamtabwägung: Ein ablehnender Entscheid einer Aufenthaltsbewilligung für Familienzusammenführung, gestützt auf Art. 63 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 62 Abs. 1 lit. b und Art. 63 Abs. 1 lit. b AIG, erweist sich als verhältnismässig. Es ist daher nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer nach einer erneuten Eheschliessung einen Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung hätte.

5. Keine Erteilung einer Toleranzbewilligung (Kons. 4.8): * Da der Beschwerdeführer nicht dargelegt hat, dass die Hochzeitsvorbereitungen nicht vom Ausland aus fortgesetzt werden könnten oder dass das Paar keine andere rechtliche Möglichkeit hätte, in einem anderen Land als der Schweiz zu heiraten, ist keine Toleranzbewilligung zur Gewährleistung des Kerns des Eheschliessungsrechts erforderlich.

III. Ergebnis:

Das Bundesgericht weist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, soweit sie zulässig ist, ab. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  1. Kein Anspruch auf Aufenthaltsbewilligung in Aussicht auf Eheschliessung: Obwohl der Beschwerdeführer plant, seine Schweizer Ex-Frau wieder zu heiraten, mit der er im gemeinsamen Haushalt lebt und drei Schweizer Kinder hat, verneint das Bundesgericht einen Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung in Aussicht auf Eheschliessung.
  2. Erfüllung schwerwiegender Widerrufsgründe: Entscheidend ist, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner langen und wiederholten strafrechtlichen Verurteilungen (einschliesslich einer zweijährigen Freiheitsstrafe und einer weiteren 18-monatigen Freiheitsstrafe nach dem Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung) die Widerrufsgründe von Art. 63 Abs. 1 lit. a und b AIG erfüllt. Diese führen dazu, dass ein potenzieller Anspruch als Ehepartnerin einer Schweizerin erlischt.
  3. Starkes öffentliches Interesse an der Wegweisung: Das öffentliche Interesse an der Wegweisung des Beschwerdeführers ist aufgrund seiner schweren und wiederholten Straftaten sowie seiner Weigerung, der bereits 2022 angeordneten Ausreiseaufforderung nachzukommen, als sehr hoch eingestuft.
  4. Relativierte private Interessen und Verhältnismässigkeit: Die privaten Interessen des Beschwerdeführers und seiner Familie werden im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung als nicht ausreichend angesehen, um das überragende öffentliche Interesse zu überwiegen. Die Partnerin musste die Risiken kennen, und die Kinder können eine gewisse Unabhängigkeit entwickeln oder haben keine Obhut beim Beschwerdeführer.
  5. Kein persönliches Risiko im Herkunftsland und keine Notwendigkeit für Toleranzbewilligung: Der Beschwerdeführer hat keine konkreten persönlichen Risiken im Falle einer Rückkehr in die DR Kongo dargelegt. Zudem ist es nicht ersichtlich, dass die Eheschliessung nicht vom Ausland aus vorbereitet oder in einem anderen Land durchgeführt werden könnte.