Zusammenfassung von BGer-Urteil 8C_311/2025 vom 4. November 2025

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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts (8C_311/2025) detailliert zusammen:

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 8C_311/2025 vom 4. November 2025

1. Parteien und Streitgegenstand

Die Beschwerdeführerin, A._, eine 1976 geborene Lehrerin, war seit dem 1. August 1996 bei B._ angestellt und über die Groupe Mutuel Assurances SA (GMA SA) gegen Berufs- und Nichtberufsunfälle versichert. Streitgegenstand des Verfahrens bildete die Frage, ob zwischen einem von A.__ im Juni 2014 erlittenen Verkehrsunfall und ihren fortbestehenden psychischen Beschwerden ein Kausalzusammenhang im Sinne des Unfallversicherungsgesetzes (UVG) besteht, und ob die GMA SA ihre Leistungen zu Recht per 31. Dezember 2014 eingestellt hat.

2. Sachverhalt und Verfahrensgeschichte

Im Juni 2014 war die Beschwerdeführerin Opfer eines schweren Verkehrsunfalls auf der Autobahn A1. Gemäss Polizeibericht kollidierte ein gestohlenes Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit (100-180 km/h) mit ihrem stehenden bzw. langsam fahrenden Wagen, wodurch dieser gegen ein vorangehendes Lieferfahrzeug geschleudert, hochgehoben, um 180 Grad gedreht wurde und A.__ aus ihrem Fahrzeug befreit werden musste. Anfänglich wurden Rippen- und Sternumprellungen sowie eine Kontusion diagnostiziert; Röntgen- und CT-Untersuchungen zeigten keine Frakturen oder posttraumatischen Läsionen.

Eine vollständige Arbeitsunfähigkeit dauerte bis zum 24. August 2014, gefolgt von einer schrittweisen Wiederaufnahme der Tätigkeit. Im September 2014 folgte eine weitere Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer perforierten Appendizitis. Ab Januar 2015, kurz nach dem Tod ihres Ehemanns bei einem Fahrradunfall, wurde die Beschwerdeführerin wegen psychischer Beschwerden (Posttraumatische Belastungsstörung - PTBS, dissoziative Symptome, somatoforme Störung) in psychiatrische Behandlung überwiesen. Eine neurologische Untersuchung im Januar 2015 diagnostizierte unter anderem ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma (SHT) und ein beschleunigungsbedingtes Schleudertrauma der Halswirbelsäule (BSHT), sowie kognitive Störungen multifaktorieller Genese.

Die GMA SA stellte ihre Leistungen ursprünglich per 31. Dezember 2014 ein, da sie über dieses Datum hinaus keine Kausalität mehr zwischen den Beschwerden und dem Unfall sah, namentlich mangels objektiver traumatischer Läsionen. Nach weiteren Expertisen und gerichtlichen Auseinandersetzungen, einschliesslich einer Rückweisung durch das Bundesgericht im Jahr 2019 (Urteil 8C_540/2018) zur Einholung eines unabhängigen psychiatrischen Gutachtens zur Klärung der natürlichen Kausalität der psychischen Störungen, bestätigte die GMA SA am 4. Oktober 2021 die Leistungseinstellung per 31. Dezember 2014 mit der Begründung, dass zu diesem Zeitpunkt der statu quo ante erreicht gewesen sei.

Das Waadtländer Kantonsgericht, dem die Angelegenheit erneut vorgelegt wurde, veranlasste ein gerichtliches psychiatrisches Gutachten (Doctoresses K._ und L._ vom 16. Oktober 2024). Dieses Gutachten bestätigte zwar einen natürlichen Kausalzusammenhang zwischen den ursprünglich aufgetretenen psychischen Beschwerden (PTBS mit dissoziativen Symptomen, somatoforme Störung) und dem Unfall von Juni 2014. Es stellte jedoch auch fest, dass die PTBS Anfang 2015 durch eine zweite PTBS infolge des Todes des Ehemanns kompliziert wurde, wobei eine symptomatische Trennung der beiden Ereignisse nicht möglich war. Zum Zeitpunkt des Gutachtens galten die PTBS als remittiert und die dissoziativen Symptome als klinisch nicht signifikant oder invalidisierend. Dennoch verneinte das Kantonsgericht, unter Anwendung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu psychischen Unfallfolgen, das Vorliegen eines adäquaten Kausalzusammenhangs und bestätigte die Leistungseinstellung durch die GMA SA per 31. Dezember 2014.

3. Rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht

Das Bundesgericht hatte zu prüfen, ob das Kantonsgericht Bundesrecht verletzt hat, indem es den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und den psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen der Beschwerdeführerin verneinte.

3.1. Sachverhaltsrüge (Erwägung 5) Die Beschwerdeführerin rügte eine unvollständige und unrichtige Sachverhaltsfeststellung, insbesondere hinsichtlich der Unfallschilderung und der Entwicklung ihres Gesundheitszustandes. Das Bundesgericht verwarf diese Rüge, da das kantonale Urteil die relevanten Unfallumstände und die wesentlichen Elemente der medizinischen Behandlung ausreichend festhalte.

3.2. Adäquater Kausalzusammenhang (Erwägung 6)

3.2.1. Qualifikation des Unfalls (Erwägung 6.1) Das Bundesgericht bekräftigte die Notwendigkeit einer objektiven Beurteilung der Unfallschwere, basierend auf den durch den Unfall erzeugten Kräften und nicht auf dem subjektiven Empfinden des Versicherten oder den resultierenden Folgen. Die Schwere der erlittenen Läsionen dient dabei als Indikator für die wirkenden Kräfte.

Die Vorinstanz qualifizierte den Unfall als mittelschwer im engeren Sinne. Obwohl der Aufprall gewaltsam war (Fahrzeug wurde weggeschleudert, drehte sich, Fahrerin musste befreit werden), wurde das Ausmass der wirkenden Kräfte aufgrund der fehlenden schweren Traumata als schwach bis mittel eingeschätzt. Die Argumente der Beschwerdeführerin, dass die Umstände der Polizeiverfolgung oder die hohe Geschwindigkeit des Verursachers den Unfall als schwer qualifizieren müssten, wurden verworfen. Die Umstände des Verursachers seien nicht direkt unfallrelevant, und die breite Geschwindigkeitsspanne (100-180 km/h) erlaube allein keine präzise Einschätzung der Kräfte. Die Vorinstanz habe zu Recht auf die Schwere der erlittenen Läsionen abgestellt. Das Bundesgericht bestätigte die Qualifikation des Unfalls als mittelschwer im engeren Sinne.

3.2.2. Anwendung der Kriterien für psychische Beschwerden (Erwägung 6.2) Bei einem mittelschweren Unfall im engeren Sinne ist für die Annahme eines adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfall und psychischen Beschwerden das kumulative Vorhandensein von drei der sieben von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien erforderlich, es sei denn, eines der Kriterien manifestiert sich in besonders ausgeprägter Weise. Das Kantonsgericht hatte keines der Kriterien als erfüllt betrachtet. Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass alle Kriterien ausser "Schwere oder besonderer Art der physischen Läsionen" und "Behandlungsfehler" erfüllt seien.

Das Bundesgericht prüfte die Kriterien im Einzelnen:

  • Dauer der medizinischen Behandlung (Erwägung 6.2.1): Hier zählen nicht nur die Dauer, sondern auch Art und Intensität der Behandlung sowie die Erwartung einer Besserung. Konservative Massnahmen (Medikamente, Osteopathie, Physiotherapie) reichen selbst über einen längeren Zeitraum nicht aus, wenn keine chirurgischen Eingriffe oder langwierigen Spitalaufenthalte notwendig waren (Verweis auf BGE 148 V 138). Obwohl die Behandlung über Jahre ging, wurde das Kriterium verneint.

  • Anhaltende physische Schmerzen (Erwägung 6.2.2): Erforderlich sind erhebliche, ununterbrochene Schmerzen vom Unfall bis zum Fallabschluss (Art. 19 Abs. 1 UVG), deren Intensität an Glaubwürdigkeit und Beeinträchtigung im Alltag gemessen wird (Verweis auf BGE 134 V 109). Das Gericht stellte fest, dass die geklagten zervikalen Schmerzen nicht von besonderer Intensität waren, keine spezifische Behandlung erforderten und die Arbeitsaufnahme nicht wesentlich behinderten. Andere von der Beschwerdeführerin genannte Beschwerden (Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, dissoziative Symptome) wurden nicht als physische Schmerzen gewertet, weshalb das Kriterium nicht erfüllt sei.

  • Auftreten von Heilungsschwierigkeiten oder schwerwiegenden Komplikationen (Erwägung 6.2.3): Es müssen besondere Gründe vorliegen, die die Heilung behinderten. Zahlreiche Medikamente und Therapien reichen nicht aus (Verweis auf Urteil 8C_400/2022). Die Beschwerdeführerin hatte nach dem Unfall nur leichte somatische Läsionen. Ihre Argumentation, dass verschiedene Behandlungen erfolglos blieben und zahlreiche Gutachten keine zuverlässige Diagnose ergaben, wurde nicht als Beleg für besondere Schwierigkeiten oder Komplikationen im Sinne dieses Kriteriums anerkannt. Zudem seien hier nur Schwierigkeiten und Komplikationen im Zusammenhang mit physischen Beschwerden zu berücksichtigen. Das Kriterium wurde verneint.

  • Ausmass und Dauer der Arbeitsunfähigkeit infolge der physischen Läsionen (Erwägung 6.2.4): Dieses Kriterium bezieht sich ausschliesslich auf physische Läsionen und ist nicht nur an der früheren Berufstätigkeit zu messen. Es wird in der Regel bei einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit von rund drei Jahren angenommen (Verweis auf Urteil 8C_236/2023). Ein früheres Gutachten (CEMed) attestierte der Beschwerdeführerin ab dem 1. Januar 2015 eine vollständige somatische Arbeitsfähigkeit. Die Beschwerdeführerin versuchte, dies unter Verweis auf das gerichtliche psychiatrische Gutachten anzufechten, das auf die IV-Akten zur Arbeitsunfähigkeit verwies. Das Bundesgericht hielt fest, dass das gerichtliche Gutachten die physischen Aspekte nicht abdeckte und somit die volle somatische Arbeitsfähigkeit ab 2015 massgebend bleibe. Das Kriterium wurde verneint.

  • Besonders dramatische Begleitumstände oder besondere Eindrücklichkeit des Unfallereignisses (Erwägung 6.2.5): Ob dieses Kriterium erfüllt ist, liess das Bundesgericht offen. Selbst wenn es angenommen würde, reiche dies allein nicht aus, um einen adäquaten Kausalzusammenhang zu bejahen, da die Beschwerdeführerin nicht geltend machte, dass dieses Kriterium in besonders ausgeprägter Weise manifest war. Mangels Erfüllung weiterer Kriterien (es würden mindestens drei benötigt) hätte dies keine Auswirkung auf den Entscheid.

3.3. Schlussfolgerung des Bundesgerichts (Erwägung 6.2.6) Basierend auf der Nicht-Erfüllung der relevanten Kriterien bestätigte das Bundesgericht die Ansicht der Vorinstanz, dass ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen den psychischen Störungen der Beschwerdeführerin und dem Unfallereignis zu Recht verneint wurde. Folglich hat die Beschwerdeführerin keinen Anspruch auf Leistungen im Zusammenhang mit diesen Störungen nach dem 31. Dezember 2014.

4. Entscheid

Das Bundesgericht wies die Beschwerde vollumfänglich ab und bestätigte das Urteil des Kantonsgerichts vom 15. April 2025. Die Gerichtskosten wurden der Beschwerdeführerin auferlegt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte die Einstellung der Leistungen der Unfallversicherung per 31. Dezember 2014. Obwohl die natürliche Kausalität zwischen dem Unfall und den psychischen Beschwerden (insbesondere einer anfänglichen PTBS) durch ein gerichtliches Gutachten bejaht wurde, verneinte das Gericht den adäquaten Kausalzusammenhang. Es qualifizierte den Unfall als mittelschwer im engeren Sinne und befand, dass keines der spezifischen, von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für die Annahme eines adäquaten Kausalzusammenhangs bei psychischen Unfallfolgen als erfüllt betrachtet werden konnte. Insbesondere die geringfügigen physischen Läsionen, die fehlenden langwierigen intensiven Behandlungen und die volle somatische Arbeitsfähigkeit ab 2015 führten zur Ablehnung der geltend gemachten Ansprüche. Die weiteren psychischen Beschwerden wurden zudem massgeblich durch ein nachfolgendes, unabhängiges Ereignis (Tod des Ehemanns) beeinflusst.