Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 7B_794/2025 vom 12. November 2025
Parteien:
* Beschwerdeführer (A._ und B._): Privatkläger im Strafverfahren.
* Beschuldigter (C.__): Der Mitaktionär der D._ AG, gegen den sich die Strafanzeige richtete.
* Gegenseiten: Die Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden und C._.
Gegenstand: Beschwerde gegen einen Einstellungsbeschluss (Decreto di abbandono) der Zweiten Strafkammer des Bündner Appellationsgerichts vom 7. Juli 2025, welche den Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft vom 26. März 2025 bestätigt hatte.
Sachverhalt und Verfahrensgang
- Ursprüngliche Strafanzeige (Oktober 2020): A._ und B._ (Beschwerdeführer), als 50%-Aktionäre der D._ AG, erstatteten Anzeige wegen Entwendung einer beweglichen Sache (Art. 141 StGB), Sachbeschädigung (Art. 144 StGB), ungetreuer Geschäftsbesorgung (Art. 158 StGB), Nötigung (Art. 181 StGB) und Hausfriedensbruch (Art. 186 StGB) gegen Unbekannt. Sie behaupteten, die D._ AG habe ohne ihr Einverständnis eine Wohnung in ihrem Besitz räumen lassen, persönliche Gegenstände, einschliesslich eines Tresors, eingelagert und die Schlösser ausgetauscht. Sie erklärten sich als Privatkläger am Verfahren beteiligen zu wollen.
- Eröffnung der Untersuchung (Dezember 2022): Die Staatsanwaltschaft eröffnete eine Strafuntersuchung gegen C._, den Eigentümer der restlichen 50% der D._ AG, wegen der genannten Delikte.
- Erweiterung der Anzeige (Oktober 2023 / März 2024): Die Beschwerdeführer erweiterten die Anzeige um die Vorwürfe des wiederholten Hausfriedensbruchs (Art. 186 StGB), der Urkundenfälschung (Art. 251 StGB), des Betrugs (Art. 146 StGB) und des Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen (Art. 292 StGB). Diese Erweiterungen wurden von der Staatsanwaltschaft akzeptiert.
- Gerichtlicher Vergleich (Mai 2024): C._ und die Beschwerdeführer schlossen vor dem Kantonsgericht Graubünden einen gerichtlichen Vergleich ab. Dieser sah vor, dass die Beschwerdeführer ihre Aktien an C._ für CHF 6'000'000.00 verkaufen würden, unter der Bedingung der fristgerechten Zahlung bis zum 30. September 2024. Wichtige Punkte des Vergleichs:
- Bei Nichtzahlung wäre eine Konventionalstrafe von CHF 300'000.00 fällig.
- Die Parteien beantragten die Aussetzung aller anhängigen Verfahren.
- Verpflichtung zum Rückzug: Die Parteien verpflichteten sich, innerhalb von 5 Tagen nach Eigentumsübergang der Aktien alle zivilrechtlichen Verfahren zurückzuziehen. In den Strafverfahren verpflichteten sie sich, innerhalb derselben Frist die gestellten Strafanträge zurückzuziehen und ihr Desinteresse an Offizialdelikten zu erklären.
- Alle gegenseitigen Ansprüche im Zusammenhang mit der D.__ AG und der Liegenschaft galten mit der Ausführung des Vergleichs als erledigt.
- Teilweiser Rückzug und Widerspruch zum Einstellungsbegehren (Oktober 2024 / März 2025): Die Beschwerdeführer zogen die Strafanzeige und ihre Ergänzungen im Oktober 2024 zwar zurück, nahmen jedoch die Delikte der Entwendung, Sachbeschädigung und des Hausfriedensbruchs sowie weitere Delikte im Zusammenhang mit der Entwendung des Tresors davon aus und forderten die Fortsetzung des Verfahrens bezüglich dieser Punkte. C.__ wies den Nachweis der fristgerechten Zahlung vor. Die Staatsanwaltschaft kündigte daraufhin die vollständige Einstellung des Verfahrens an. Die Beschwerdeführer widersprachen dem mit der Begründung, die Gültigkeit des Vergleichs sei von der Rückgabe der entwendeten Gegenstände, einschliesslich des Tresors, abhängig.
- Einstellungsbeschluss (März 2025): Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen C.__ wegen aller Delikte ein.
- Kantonaler Entscheid (Juli 2025): Das Bündner Appellationsgericht wies die Beschwerde der Beschwerdeführer gegen den Einstellungsbeschluss ab.
Begründung des Bundesgerichts
Das Bundesgericht konzentrierte sich in seinem Entscheid primär auf die Frage der Beschwerdelegitimation der Beschwerdeführer als Privatkläger.
1. Ablehnung des Antrags auf elektronische Zustellung (Erwägung 1):
Dieser Antrag der Beschwerdeführer wurde aus formellen Gründen abgewiesen, da die Anforderungen der Bundesgerichtspraxis an die Angabe einer E-Mail-Adresse für elektronische Zustellungen nicht erfüllt waren. Dieser Punkt ist für die materiellen Rechtsfragen nebensächlich.
2. Legitimation der Privatkläger (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG) (Erwägungen 2.1 – 2.6):
Dies war der zentrale Punkt der bundesgerichtlichen Prüfung.
- Grundsätze der Privatklägerlegitimation: Gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG ist zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt, wer als Privatkläger am Vorverfahren teilgenommen hat und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat. Ein solches Interesse liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid das Urteil über Zivilforderungen (Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche gemäss Art. 41 ff. OR) beeinflussen kann (BGE 148 IV 256 E. 3.1; 146 IV 76 E. 3.1; 141 IV 1 E. 1.1).
- Strenge Anforderungen bei Einstellungsbeschlüssen: Das Bundesgericht legt strenge Massstäbe an die Begründung der Legitimation an, wenn ein Privatkläger einen Einstellungsbeschluss anficht. Es ist nicht ausreichend, nur pauschal zu behaupten, vom Delikt betroffen zu sein. Der Privatkläger muss vielmehr konkret darlegen, welche Zivilforderungen er geltend macht, inwiefern und in welchem Umfang der Einstellungsbeschluss diese beeinflusst, und den erlittenen Schaden möglichst beziffern (BGE 141 IV 1 E. 1.1).
- Bei mehreren zur Diskussion stehenden Delikten muss der Schaden für jedes einzelne Delikt substanziiert werden.
- Werden mehrere Privatkläger gemeinsam vorstellig, muss jeder Einzelne seinen persönlichen Schaden darlegen (BGE 6B_901/2020 E. 3.2).
- Ausnahme "direkte und eindeutige Ableitbarkeit": Eine Ausnahme von dieser strengen Substantiierungspflicht besteht nur, wenn der Einfluss des angefochtenen Entscheids auf die Zivilforderungen direkt und eindeutig aus den Akten ableitbar ist, etwa bei schweren Körper-, psychischen oder sexuellen Integritätsverletzungen, die offensichtlich einen Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung rechtfertigen (BGE 141 IV 1 E. 1.1).
- Anwendung auf den vorliegenden Fall: Die Beschwerdeführer hatten lediglich pauschal dargelegt, ein Interesse an der Fortsetzung des Strafverfahrens "im Hinblick auf ihre Zivilforderungen" betreffend den Wert des entwendeten Tresors zu haben. Sie versäumten es,
- konkrete Zivilforderungen zu nennen (z.B. einen Eigentumsherausgabeanspruch nach Art. 641 Abs. 2 ZGB).
- den angeblich erlittenen Schaden zu beziffern.
- den persönlichen Schaden jedes einzelnen Beschwerdeführers darzulegen, da sie gemeinsam Beschwerde führten.
- Die Behauptung, der Einfluss auf ihre Zivilforderungen sei "direkt und eindeutig" aus den Akten ableitbar, wies das Bundesgericht zurück. Angesichts der Vielzahl der ursprünglich angezeigten Delikte und der komplexen Konstellation sei dies nicht der Fall.
- Konsequenz: Wegen der unzureichenden Substantiierung ihrer Zivilforderungen wurde den Beschwerdeführern die Sachlegitimation (Legitimation im materiellen Sinne) gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG verweigert. Dies führte dazu, dass alle sachbezogenen Rügen, wie Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung und der Auslegung des Vergleichsvertrages sowie die Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro duriore", als unzulässig erachtet wurden. Auch die Rügen betreffend den Rückzug der Strafanträge und die Erklärung des Desinteresses wurden als eng mit der materiellen Beurteilung verbunden und somit als unzulässig erachtet.
3. Rügen bezüglich Verfahrensgarantien (Erwägungen 3.1 – 3.3):
Unabhängig von der Sachlegitimation können Beschwerdeführer formelle Rechtsverweigerungen rügen.
- Rüge der Einzelrichterkompetenz (Art. 38 LOG GR): Die Beschwerdeführer machten geltend, die komplexen und kontroversen Fragen im Zusammenhang mit der Vertragsauslegung, der Einrede der Nichterfüllung, der Sachverhaltsfeststellung und der Schadenshöhe hätten eine kollegiale Beurteilung erfordert. Das Bundesgericht verwarf diese Rüge als im Wesentlichen sachbezogen und somit unzulässig. Zudem hätten die Beschwerdeführer nicht dargelegt, inwiefern die kantonale Norm willkürlich angewendet worden wäre, was für Rügen des kantonalen Rechts gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG erforderlich wäre.
- Rüge der mangelhaften Begründung: Die Beschwerdeführer monierten, die Vorinstanz habe die Gründe für die offensichtliche Unbegründetheit ihrer Beschwerde nicht ausreichend dargelegt. Das Bundesgericht befand, der kantonale Entscheid habe die Gründe für die Bestätigung des Einstellungsbeschlusses und die Beurteilung als (offensichtlich) unbegründet – und damit die Möglichkeit einer Einzelrichterentscheidung – ausreichend dargelegt. Die Begründung sei klar genug gewesen, um den Beschwerdeführern eine sachgerechte Anfechtung zu ermöglichen (BGE 151 IV 18 E. 4.4.4).
4. Fazit:
Die Beschwerde wurde, soweit zulässig, abgewiesen. Die Gerichtskosten wurden den Beschwerdeführern auferlegt.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
Das Bundesgericht wies die Beschwerde der Privatkläger gegen einen Einstellungsbeschluss ab. Die zentrale Begründung lag in der fehlenden Sachlegitimation der Beschwerdeführer. Gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG müssen Privatkläger, die einen Einstellungsbeschluss anfechten, konkret und substanziiert darlegen, welche spezifischen Zivilforderungen sie geltend machen, wie der Einstellungsentscheid diese beeinflusst, und den Schaden möglichst beziffern. Die pauschale Behauptung der Beschwerdeführer, ein Interesse an der Fortsetzung des Verfahrens im Zusammenhang mit dem Wert eines entwendeten Tresors zu haben, reichte dem Bundesgericht nicht aus, da keine konkreten Ansprüche genannt, der Schaden nicht beziffert und keine individuelle Substantiierung des Schadens für jeden Beschwerdeführer erfolgte. Da die Sachlegitimation fehlte, waren alle sachbezogenen Rügen unzulässig. Auch die gerügten Verfahrensmängel (Einzelrichterkompetenz, mangelhafte Begründung) wies das Bundesgericht als unbegründet oder unzulässig ab.