Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_1173/2023 vom 13. November 2025

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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 6B_1173/2023 vom 13. November 2025 detailliert zusammen:

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichts 6B_1173/2023 vom 13. November 2025

1. Einleitung und Sachverhalt

Das Bundesgericht hatte über die Beschwerde von A.__ zu befinden, welche vom Obergericht des Kantons Zürich wegen mehrfacher Nötigung gemäss Art. 181 StGB und Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen, gemäss Art. 239 Ziff. 1 Abs. 1 StGB verurteilt worden war. Die Beschwerdeführerin wurde mit einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 50.-- bestraft, wobei zwei Tagessätze durch Haft als geleistet galten.

Den Schuldsprüchen lagen folgende Sachverhalte zugrunde:

  • 20. Juni 2020, Quaibrücke Zürich: Die Beschwerdeführerin nahm an einer unbewilligten Klimademonstration der Gruppierung "Extinction Rebellion" auf der Quaibrücke in Zürich teil. Zahlreiche Demonstrierende standen und sassen auf den Fahrbahnen und blockierten den Individual- und Tramverkehr. Die Polizei sperrte die Brücke aus Sicherheitsgründen ab 12:00 Uhr und leitete den Verkehr um. Trotz polizeilicher Aufforderungen, die Fahrbahn zu verlassen, blieb die Beschwerdeführerin, teilweise auf einem Klappstuhl sitzend, bis mindestens 13:42 Uhr auf der Fahrbahn und musste schliesslich von Polizeibeamten weggeleitet werden. Der Tramverkehr konnte von ca. 12:00 Uhr bis 15:22 Uhr die Brücke nicht passieren, wobei fünf Tramlinien betroffen waren.
  • 4. Oktober 2021, Uraniastrasse Zürich: Die Beschwerdeführerin beteiligte sich an einer weiteren, ebenfalls unbewilligten Demonstration der "Extinction Rebellion" auf der Uraniastrasse in Zürich, die zwischen ca. 12:00 Uhr und 16:45 Uhr den Strassenverkehr blockierte. Auch hier musste die Polizei den motorisierten Verkehr grossräumig umleiten. Die Beschwerdeführerin, erneut auf einem Klappstuhl sitzend, blieb nach Ablauf der polizeilichen Frist bis ca. 15:14 Uhr und liess sich erst dann von der Polizei wegleiten.

Die Beschwerdeführerin war keine Organisatorin der Kundgebungen, schloss sich diesen jedoch an.

2. Formelle Rügen und Sachverhaltsfeststellung

2.1. Recht auf Schlusswort: Die Beschwerdeführerin rügte, ihr Recht auf ein Schlusswort gemäss Art. 347 Abs. 1 StPO sei unzulässigerweise eingeschränkt worden, da es aufgrund "politischer Meinungsäusserungen" abgebrochen worden sei. Das Bundesgericht verwarf diese Rüge. Es hielt fest, das Schlusswort sei kein weiteres Plädoyer. Zwar sei es grundsätzlich legitim, die Gründe für die Wahl des Demonstrationswegs darzulegen, doch habe sich der Abbruch auf die Länge und den appellatorischen Charakter der Ausführungen bezogen, welche über eine kurze Erklärung hinausgingen. Eine Aufhebung sei unter diesen Umständen nicht gerechtfertigt.

22. Willkürliche Sachverhaltsfeststellung (Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG): Die Beschwerdeführerin monierte, die Vorinstanz habe zu Unrecht angenommen, die Quaibrücken-Kundgebung sei nicht angekündigt worden, und die Auswirkungen auf den Verkehr seien nicht detailliert genug dargelegt. Insbesondere hätten polizeiliche Statistiken für die Quaibrücken-Kundgebung vom 20. Juni 2020 eine Beeinträchtigung des öffentlichen Verkehrs und des motorisierten Individualverkehrs verneint. Das Bundesgericht bestätigte die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen: * Ankündigung der Kundgebungen: Die Quaibrücken-Kundgebung war unbewilligt, auch wenn die Polizei online davon Kenntnis hatte und Vorkehrungen traf. Für die Uraniastrasse-Kundgebung gab es zwar Kontakt mit den Behörden und Vorkehrungen zur Umleitung, doch wurde sie letztlich ebenfalls nicht bewilligt. * Verkehrsbeeinträchtigung: Das Bundesgericht qualifizierte es als notorisch, dass die Sperrung zentraler Verkehrsachsen wie der Quaibrücke und der Uraniastrasse trotz Umleitung zu Verkehrsbehinderungen führt. Die vorinstanzliche Feststellung, es sei zu Staus und zum Erliegen des Verkehrs gekommen, sei nicht willkürlich. Die von der Beschwerdeführerin zitierte Statistik des Sicherheitsdepartements der Stadt Zürich sei für die Vorinstanz nicht verbindlich, da die Kriterien für die Verneinung einer Beeinträchtigung unklar blieben. Die Feststellungen genügten für die rechtliche Würdigung.

3. Rechtliche Würdigung der Tatbestände

3.1. Störung von Betrieben im Dienste der Allgemeinheit (Art. 239 Ziff. 1 Abs. 1 StGB): Das Bundesgericht bejahte den objektiven Tatbestand. * Tatbestandsmerkmale: Art. 239 StGB schützt das Interesse der Allgemeinheit an der ungestörten Erbringung von Dienstleistungen durch öffentliche Verkehrsanstalten (einschliesslich Strassenbahnen). Eine Störung muss eine gewisse Intensität und Dauer aufweisen. Das Bundesgericht verwies auf seine Rechtsprechung, wonach eine Störung von ca. 1.5 Stunden genügen kann (BGE 116 IV 44), während kurze Verspätungen (5-15 Minuten) nicht ausreichen (BGE 119 IV 301). Für öffentliche Verkehrsbetriebe genüge eine Umleitung einer Buslinie alleine nicht; es sei entscheidend, ob es trotz Umleitung zu Störungen wie Verspätungen, deren Ausmass und die Anzahl betroffener Fahrzeuge kam (vgl. Urteile 6B_14/2023, 6B_1460/2022). * Anwendung auf den Fall: Bei der Quaibrücken-Kundgebung vom 20. Juni 2020 wurde der Tramverkehr über eine zentrale Verkehrsachse der Stadt Zürich für mehrere Stunden unterbrochen, wovon fünf Tramlinien betroffen waren. Diese Intensität sei als erreicht zu erachten. Die Sperrung durch die Polizei aus Sicherheitsgründen war eine direkte Folge der unbewilligten Kundgebung und der auf die Fahrbahnen strömenden Personen, was die Sicherheit des Trambetriebs verunmöglichte. * Subjektiver Tatbestand: Das Bundesgericht bestätigte den Eventualvorsatz der Beschwerdeführerin. Die Vorinstanz habe willkürfrei festgestellt, die Beschwerdeführerin habe gewusst, dass die Demonstration den Trambetrieb behindern oder unterbrechen würde, und dies auch gewollt. Die Behauptung, man habe sich nur auf dem Trottoir aufhalten wollen, wurde als Schutzbehauptung gewertet.

3.2. Mehrfache Nötigung (Art. 181 StGB): Das Bundesgericht bestätigte auch den Schuldspruch wegen mehrfacher Nötigung. * Restriktive Auslegung der "anderen Beschränkung der Handlungsfreiheit": Das Bundesgericht bekräftigte die restriktive Auslegung der Tatbestandsvariante "andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit". Das Zwangsmittel muss das üblicherweise geduldete Mass an Beeinflussung überschreiten und in seiner Intensität der Gewalt oder der Androhung ernstlicher Nachteile ähneln ("gewaltähnlich" sein; BGE 141 IV 437). Jeder geringfügige Druck auf die Entscheidungsfreiheit genügt nicht. * Rechtswidrigkeit: Die Rechtswidrigkeit einer Nötigung, insbesondere bei politischen Aktionen, bedarf einer besonderen Begründung und muss die verfassungsrechtlichen Rechte berücksichtigen (BGE 134 IV 216). * Querverweise auf die Rechtsprechung: Das Bundesgericht zog diverse Präzedenzfälle heran: * Beispiele für bejahte Nötigung: Blockade des Bareggtunnels (BGE 134 IV 216), Blockade von Kernkraftwerkszufahrten (BGE 129 IV 6), Verriegelung von Bahnschranken (BGE 119 IV 301), Menschenteppich vor Militärausstellung (BGE 108 IV 165), Sperrung der Rheinbrücke (Urteil 6B_793/2008), Festkleben auf der Mont-Blanc-Brücke (Urteil 6B_112/2025). Diese Fälle zeichneten sich durch erhebliche, oftmals unvermeidbare Behinderungen aus. * Relativierung und Abgrenzung: Das Bundesgericht betonte eine Relativierung älterer Urteile (BGE 119 IV 301, 108 IV 165), wonach selbst geringfügige Umwege Nötigung begründen können. Neuere Rechtsprechung fordert eine höhere Eingriffsintensität. Insbesondere verwies es auf das Urteil 6B_138/2023 (Blockade eines Einkaufszentrum-Haupteingangs), wo eine Nötigung verneint wurde, weil alternative, wenn auch umständlichere, Zugänge zum Einkaufszentrum frei blieben. Ein blosser Umweg oder geringfügiger Zeitverlust im Stadtverkehr reiche für sich alleine nicht aus, um eine Nötigung zu begründen. Dies stehe im Einklang mit den Anforderungen an Art. 239 StGB. * Anwendung auf den Fall: * Eingriffsintensität: Für die Quaibrücken-Kundgebung vom 20. Juni 2020 wurde die erforderliche Intensität bejaht, da es zu Staus und zum Erliegen des Verkehrs auf einem stark belasteten Abschnitt kam. Für die Uraniastrasse-Kundgebung vom 4. Oktober 2021, die grossräumige und mehrstündige Umleitungen erforderte, sei es ebenfalls notorisch, dass dies zu nötigungsrelevanten Beeinträchtigungen führte. * Rechtswidrigkeit: Die Nötigung war rechtswidrig, da es sich um unbewilligte Kundgebungen handelte und das Nötigungsmittel unverhältnismässig war. Die Beschwerdeführerin und die anderen Teilnehmenden hätten alternative, weniger verkehrsbelastete Orte wählen können; eine vollständige Sperrung war für die Sensibilisierung der Bevölkerung nicht notwendig. Die Blockierung war nicht eine Nebenfolge, sondern das eigentliche Ziel der Aktionen. * Subjektiver Tatbestand: Der Eventualvorsatz wurde bejaht, da die Beschwerdeführerin die Behinderung des motorisierten Individualverkehrs beabsichtigte. Ihre Aussage, es sei ihr nur um Dialog und Aufrütteln gegangen, wurde als Schutzbehauptung verworfen. * Gleichbehandlung im Unrecht: Die Beschwerdeführerin konnte sich nicht auf eine mögliche abweichende Ahndung von Demonstrationen in anderen Fällen (bspw. nur Bussen wegen polizeilicher Vorschriften) berufen, da im Strafrecht kein Anspruch auf "Gleichbehandlung im Unrecht" besteht.

4. Grundrechte (Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit)

Das Bundesgericht prüfte die Vereinbarkeit der Schuldsprüche mit der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit (Art. 16 und 22 BV; Art. 10 und 11 EMRK). * Grundsatz: Diese Grundrechte sind nicht absolut und können eingeschränkt werden, wenn dies gesetzlich vorgesehen, durch ein öffentliches Interesse oder den Schutz von Rechten Dritter gerechtfertigt und verhältnismässig ist (Art. 36 BV, Art. 10 Abs. 2, 11 Abs. 2 EMRK). Politische Kundgebungen geniessen einen hohen Stellenwert für die demokratische Meinungsbildung. * Bewilligungspflicht und Toleranz: Kundgebungen auf öffentlichem Grund bedürfen grundsätzlich einer Bewilligung, die jedoch unter Berücksichtigung der Appellwirkung von politischen Kundgebungen nicht leichtfertig verweigert werden darf. Die Behörden müssen gegenüber unbewilligten, friedlichen Versammlungen eine gewisse Toleranz zeigen, auch wenn diese das tägliche Leben stören (EGMR-Rechtsprechung, z.B. Kudrevicius gegen Litauen). Die Grenzen dieser Toleranz hängen von Dauer, Ausmass der Störung, Risiken und den Gelegenheiten zur Meinungsäusserung ab. * Grenzen der Toleranz bei strafrechtlichen Sanktionen: Das Bundesgericht stellte klar, dass strafrechtliche Verurteilungen zulässig sind, wenn Aktivisten absichtlich das tägliche Leben und die rechtmässigen Aktivitäten anderer über das hinaus störten, was die normale Ausübung der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit mit sich bringt. Die bewusste Weigerung, sich an Vorgaben zu halten, und die Entscheidung, eine Kundgebung auf eine Weise zu strukturieren, die eine exzessive Störung bewirkt, geniessen nicht denselben privilegierten Grundrechtsschutz. Die Toleranz der Behörden während der Demonstration bezieht sich nicht auf mögliche strafrechtliche Verstösse. * Anwendung auf den Fall: * Legitime Interessen: Die Schuldsprüche verfolgten legitime Interessen (Verkehrssicherheit, öffentliche Ordnung, Schutz der Rechte Dritter). * Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit: Die Einschränkung war notwendig und verhältnismässig, da die Demonstrierenden bewusst die Aktionsform "Blockade" wählten, um "störende Massnahmen" zu ergreifen. Derartiges Verhalten verdient keinen grundrechtlichen Schutz. Die Kundgebungsteilnehmer hätten mildere Mittel wählen können (z.B. Fussgängerzonen, weniger verkehrsbelastete Strassenabschnitte). Eine vollständige Sperrung war nicht notwendig und führte zu unverhältmässigen Einschränkungen für Dritte. * Unbewilligte Kundgebungen: Die Organisatoren hatten die Möglichkeit, eine Bewilligung zu beantragen oder Rechtsmittel gegen eine Ablehnung zu ergreifen. * Dauer der Toleranz: Die Kundgebungen wurden von den Behörden für 40 bzw. 30 Minuten toleriert, was der Beschwerdeführerin eine ausreichende Möglichkeit gab, ihre Meinung zu äussern. * Höhe der Sanktion: Die verhängte bedingte Geldstrafe von 30 Tagessätzen war gering und verhältnismässig. Auch der damit einhergehende Strafregistereintrag begründete keinen Verstoss gegen die Grundrechte.

5. Genugtuungsbegehren

Die Beschwerdeführerin beantragte eine Genugtuung für zwei Tage unrechtmässige Haft und eine unrechtmässige Leibesvisitation. Das Bundesgericht wies dies ab. Die 28 Stunden Polizeigewahrsam waren gemäss Art. 217 Abs. 1 lit. a StPO zulässig und wurden strafmindernd angerechnet. Die Leibesvisitation erfolgte gemäss Art. 241 Abs. 4 StPO (zur Gewährleistung der Sicherheit in einer Gemeinschaftszelle) lediglich an der Körperoberfläche in zwei Etappen (oben/unten nackt) und war nicht als unzulässig oder erniedrigend im Sinne von Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 EMRK einzustufen.

6. Fazit

Die Beschwerde wurde abgewiesen, soweit darauf eingetreten wurde.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte die Verurteilung der Klimaaktivistin A.__ wegen mehrfacher Nötigung (Art. 181 StGB) und Störung von Betrieben im Dienste der Allgemeinheit (Art. 239 StGB) infolge ihrer Teilnahme an zwei unbewilligten Strassenblockaden in Zürich.

  1. Störung von Betrieben (Art. 239 StGB): Die mehrstündige Blockade der Quaibrücke, die den Tramverkehr von fünf Linien unterbrach und zu einer polizeilichen Sperrung aus Sicherheitsgründen führte, erfüllte die für eine Störung erforderliche Intensität und Dauer. Der Eventualvorsatz der Beschwerdeführerin wurde bejaht, da sie die Behinderung des Trambetriebs billigend in Kauf nahm.
  2. Nötigung (Art. 181 StGB): Das Gericht bekräftigte die restriktive Auslegung der "anderen Beschränkung der Handlungsfreiheit", die "gewaltähnlich" sein muss. Bloße Umwege oder geringfügige Zeitverluste im Stadtverkehr reichen nicht aus (wobei es hier ältere Präzedenzen relativierte). Die vorliegenden Blockaden, die zu Staus und grossräumigen, mehrstündigen Verkehrsbeeinträchtigungen führten, überschritten diese Schwelle. Die Nötigung war zudem rechtswidrig, da die Kundgebungen unbewilligt waren und die vollständige Blockade zentraler Achsen unverhältnismässig war, da mildere Mittel (z.B. andere Orte) zur Sensibilisierung zur Verfügung gestanden hätten. Die Blockade war das beabsichtigte Handlungsziel.
  3. Grundrechte (Art. 10 f. EMRK, Art. 16, 22 BV): Die Verurteilung verletzt nicht die Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit. Obwohl die Behörden eine gewisse Toleranz gegenüber unbewilligten, friedlichen Kundgebungen zeigen müssen, erstreckt sich diese Toleranz nicht auf absichtlich und exzessiv störende Handlungen, die über die normale Grundrechtsausübung hinausgehen und strafbare Tatbestände erfüllen. Die Beschwerdeführerin hatte zudem über 30 Minuten Zeit, ihre Meinung zu äussern, bevor die polizeilichen Massnahmen erfolgten. Die bedingte Geldstrafe und der Strafregistereintrag wurden als verhältnismässig eingestuft.
  4. Genugtuungsbegehren: Forderungen nach Genugtuung für Haft und Leibesvisitation wurden abgewiesen, da diese als rechtmässige polizeiliche Massnahmen (zwecks Feststellung der Personalien und Gewährleistung der Sicherheit in der Zelle) beurteilt wurden.