Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_1367/2023 vom 5. November 2025

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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (BGer 6B_1367/2023 vom 5. November 2025) detailliert zusammen:

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichts 6B_1367/2023

I. Parteien und Streitgegenstand

Der Beschwerdeführer A.__ reichte beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen gegen das Urteil des Kantonsgerichts Waadt vom 31. Oktober 2023 ein. Er wurde wegen sexueller Handlungen mit Kindern (Art. 187 Ziff. 1 StGB a.F.) verurteilt. Hauptstreitpunkt war die gegen ihn verhängte lebenslange Ausübung eines Berufs- und eines organisierten ausserberuflichen Tätigkeitsverbots, das regelmässige Kontakte mit Minderjährigen mit sich bringt. Subsidiär beantragte er die Reduzierung dieses Verbots auf zwei Jahre und die Zusprechung einer Entschädigung für seine Verteidigungskosten im kantonalen Berufungsverfahren.

II. Sachverhalt (Kurzfassung der relevanten Feststellungen der Vorinstanz)

A.__, geboren 1983, gelernter Automechaniker und derzeit als Servicetechniker tätig, verheiratet und Vater eines im September 2022 geborenen Kindes, wurde in erster Instanz und durch das Kantonsgericht wegen sexueller Handlungen mit Kindern verurteilt. Sein Schweizer Strafregister weist keine Einträge auf.

Die festgestellten Fakten sind wie folgt: Am Sonntag, den 22. September 2019, zwischen 14:00 und 16:00 Uhr, in einem öffentlichen Schwimmbad, zog A._ im Wasser seine Badehose herunter, während die 2008 geborene B._ mit einer Taucherbrille auf ihn zuschwamm. A._ hielt seinen erigierten Penis und schüttelte ihn oder streichelte ihn zumindest, während er das Mädchen ansah. Diese Handlungen wiederholte er dreimal. Anschliessend duschte A._ ohne Badehose und liess den Vorhang absichtlich offen, um sich vollständig nackt vor B.__, die vorbeiging, zu exponieren, wobei er eine beginnende Erektion hatte.

Das erstinstanzliche Gericht verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 50 Franken und einer Busse von 800 Franken. Zudem wurde ihm die lebenslange Ausübung jeglicher Berufs- und organisierter ausserberuflicher Tätigkeiten, die regelmässige Kontakte mit Minderjährigen beinhalten, untersagt. Das Kantonsgericht bestätigte dieses Urteil nach einer ersten Rückweisung des Bundesgerichts wegen unvollständiger Prüfung eines Berufungsantrags.

III. Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüfte die Beschwerde in zwei Hauptpunkten: das Tätigkeitsverbot (Ziffer 1) und die Entschädigung für Verteidigungskosten (Ziffer 3).

1. Das lebenslange Tätigkeitsverbot (Art. 67 Abs. 3 lit. b und Abs. 4bis StGB)

Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung von Art. 67 Abs. 4bis StGB, wonach das Gericht in Fällen von sehr geringer Schwere ausnahmsweise auf ein Tätigkeitsverbot verzichten kann, wenn es nicht notwendig erscheint, um den Täter von weiteren gleichartigen Taten abzuhalten.

1.1. Rechtliche Grundlagen und Auslegung

  • Regelmässiges Verbot: Gemäss Art. 67 Abs. 3 lit. b StGB ist einem Täter, der wegen sexueller Handlungen mit Kindern (Art. 187 StGB) verurteilt wurde, die Ausübung jeglicher Berufs- und organisierter ausserberuflicher Tätigkeiten, die regelmässige Kontakte mit Minderjährigen mit sich bringen, lebenslang zu verbieten. Dieses Verbot kann nicht aufgehoben werden (Art. 67c Abs. 6bis StGB).
  • Ausnahmeklausel (Art. 67 Abs. 4bis StGB): Diese Bestimmung erlaubt in Fällen von sehr geringer Schwere den Verzicht auf das Tätigkeitsverbot, wenn es nicht notwendig erscheint, den Täter von weiteren gleichartigen Taten abzuhalten. Das Bundesgericht betont, dass diese Klausel restriktiv anzuwenden ist, da das lebenslange Verbot die Regel sein soll (Verweis auf ATF 149 IV 161 E. 2.5.1 und BGer-Urteile 6B_194/2024 und 6B_852/2022).
    • a) Definition "Fälle von sehr geringer Schwere": Dieser Rechtsbegriff ist unbestimmt und erfordert eine Würdigung aller objektiven und subjektiven Umstände nach strengen Kriterien. Es handelt sich um Bagatellfälle, z.B. bei abstrakt geringer Strafandrohung und einer konkreten Verurteilung zu wenigen Tagessätzen auf Bewährung, oder wenn das Verschulden als besonders leicht eingestuft und eine milde Strafe verhängt wird (Verweis auf ATF 149 IV 161 E. 2.5.4).
    • b) Definition "Nicht notwendig": Dies ist der Fall, wenn eine positive Rückfallprognose gestellt werden kann und keine Anzeichen für ein Rückfallrisiko bestehen. Dies erfordert eine umfassende Würdigung aller wissenschaftlich relevanten Umstände, einschliesslich der Taten, Vorgeschichte, des Charakters des Täters und seiner Besserungsaussichten, gegebenenfalls mit Expertenhilfe (Verweis auf ATF 149 IV 161 E. 2.5.5).
  • Kumulative Bedingungen: Beide Bedingungen (sehr geringe Schwere und mangelnde Notwendigkeit) müssen kumulativ erfüllt sein, damit das Gericht auf das Verbot verzichten kann (Verweis auf BGer-Urteil 6B_551/2023, zur Publikation vorgesehen, E. 3.2.2).

1.2. Anwendung durch die Vorinstanz und Bestätigung durch das Bundesgericht

Die Vorinstanz hat die Anwendung der Ausnahmeklausel verneint, was das Bundesgericht bestätigte.

  • Zur "sehr geringen Schwere": Die Vorinstanz stellte fest, dass die Taten nicht von geringer Schwere waren:
    • Der Beschwerdeführer handelte nicht einmalig und schnell, sondern mehrfach und über eine gewisse Dauer.
    • Die Handlungen waren vorsätzlich (Blickkontakte, Suche nach sexueller Erregung, Reiz der "Übertretung des Verbots").
    • A.__ suchte bewusst den Bereich der "Kinderzone" des Schwimmbeckens auf.
    • Es bestand ein erhebliches Altersgefälle (36 Jahre gegenüber 11 Jahren).
    • Obwohl die verhängte Strafe (90 Tagessätze) relativ milde war, reichten die objektiven und subjektiven Umstände nicht aus, um von einem Fall "sehr geringer Schwere" zu sprechen. Das Bundesgericht verwies darauf, dass die hier vorliegenden Handlungen (mehrfach, vorsätzliche sexuelle Erregung, gezieltes Aufsuchen der Nähe eines Kindes, Altersgefälle) sich deutlich von Bagatellfällen wie "Jugendlieben" oder Taten von knapp volljährigen Tätern unterscheiden.
  • Zur "Notwendigkeit" der Massnahme: Die Vorinstanz sah die Notwendigkeit des Verbots, da kein positiver Rückfallprognose gestellt werden konnte:
    • Obwohl A.__ in der Berufungsverhandlung eine gewisse Einsicht zeigte, hatte er die Taten in erster Instanz minimiert.
    • Er gab an, seit Monaten Exhibitionismus in Schwimmbädern vor Frauen und Jugendlichen über 16 Jahren praktiziert zu haben (erstmals vor einer Minderjährigen).
    • Seine Angaben zu pornographischen Suchbegriffen ("jeune femme" oder "teen", "junge, magere Frauen mit kleinen Brüsten") wurden als nicht beruhigend gewertet.
    • Obwohl er freiwillig eine Psychotherapie begonnen hatte, brach er diese aus unklaren Gründen ab. Seine Behauptung, geheilt zu sein und keine pädophilen Neigungen zu haben, stand im Widerspruch zu den von ihm zugegebenen Fakten (Häufigkeit der exhibitionistischen Handlungen, Suche nach sexueller Erregung, Masturbation).
    • Die Vorinstanz zweifelte an seiner Aufrichtigkeit und seinem Engagement in der Therapie. Das Bundesgericht bestätigte, dass angesichts des Kontexts der Taten und der weiteren sexuellen Tendenzen des Beschwerdeführers eine positive Rückfallprognose nicht möglich war.

Da bereits die erste Bedingung der "sehr geringen Schwere" nicht erfüllt war und auch die zweite Bedingung der mangelnden Notwendigkeit verneint wurde, lehnte das Bundesgericht die Anwendung der Ausnahmeklausel von Art. 67 Abs. 4bis StGB ab.

2. Verhältnismässigkeit der Massnahme (Art. 27 BV, Art. 8 EMRK)

Subsidiär machte der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 27 BV (Wirtschaftsfreiheit), Art. 36 BV (Verhältnismässigkeit) und Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) geltend. Er forderte eine Reduktion der Verbotsdauer auf zwei Jahre.

2.1. Rechtliche Grundlagen und Auslegung

  • Art. 8 EMRK: Beschränkungen des Zugangs zu Berufen können in das "Privatleben" im Sinne von Art. 8 EMRK eingreifen, wenn sie sich auf die soziale Identität eines Individuums auswirken.
  • Spannungsverhältnis zur EMRK: Das Bundesgericht anerkannte das mögliche Spannungsverhältnis zwischen der Umsetzung von Art. 123c BV (Kinderschutzinitiative) und Art. 8 EMRK, insbesondere wegen der lebenslangen Dauer und der fehlenden Überprüfungsmöglichkeit (Verweis auf ATF 149 IV 160 E. 2.5.2 und BGer-Urteile 6B_551/2023, 6B_194/2024, 6B_852/2022).
  • Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers: Das Bundesgericht betonte den erheblichen Beurteilungsspielraum, den der schweizerische Gesetzgeber bei der Festlegung von Massnahmen zur Verhinderung von Rückfällen in sexuelle Übergriffe gegen Minderjährige hat. Dies aufgrund des direktdemokratischen Prozesses (Volksinitiative), des wichtigen öffentlichen Interesses am Kindesschutz und internationaler Verpflichtungen (Verweis auf BGer-Urteil 6B_551/2023, E. 4.3.3.2).
  • Vorweggenommene Verhältnismässigkeitsprüfung: Der Gesetzgeber hat die Frage der Verhältnismässigkeit der Massnahme im Rahmen der Gesetzesentwicklung bereits entschieden und dem Richter nur einen eingeschränkten Beurteilungsspielraum durch die Ausnahmeklausel zugestanden (Verweis auf BGer-Urteil 6B_551/2023, E. 4.3.3.3).
  • Auswirkungen der Massnahme: Die Intensität des Eingriffs in Art. 8 EMRK hängt von den Umständen ab, wie Dauer und Umfang des Verbots, ausgeübte oder geplante Tätigkeiten, familiäre Situation, Alter und Gesundheitszustand. Der Einfluss ist geringer, wenn der Verurteilte in seinem Hauptberuf keine regelmässigen Kontakte zu Minderjährigen hat.

2.2. Anwendung auf den vorliegenden Fall

  • Berufliche Situation: Der Beschwerdeführer ist gelernter Automechaniker und arbeitet als Servicetechniker. Diese Berufe sowie seine frühere Tätigkeit im Baugewerbe oder als Chauffeur beinhalten gemäss den Feststellungen der Vorinstanz keine regelmässigen und direkten Kontakte mit Minderjährigen.
  • Skilehrer-Tätigkeit: Seine frühere Tätigkeit als Skilehrer wurde als "reine Freizeittätigkeit" ("activité passion") eingestuft. Selbst diese könnte so gestaltet werden, dass keine Kontakte zu Minderjährigen bestehen (z.B. nur Unterricht für Erwachsene).
  • Geringe Auswirkungen: Angesichts seiner Ausbildung, seiner Haupttätigkeit und seines Alters hat die Einschränkung durch das Tätigkeitsverbot nur geringe Auswirkungen auf sein Berufs- und Privatleben. Er erzielt ein hohes monatliches Bruttogehalt von 5'713 CHF in seinem Hauptberuf. Der potenzielle Einkommensverlust aus einer nebenberuflichen Freizeittätigkeit rechtfertigt keine Intervention.
  • Dauer "auf Lebenszeit": Abstrakte Überlegungen zur lebenslangen Dauer der Massnahme genügen nicht, um sie im vorliegenden Fall und zum jetzigen Zeitpunkt als unverhältnismässig zu erachten, da die konkreten Auswirkungen auf die Freiheit des Beschwerdeführers gering sind. Das Bundesgericht liess die Frage offen, ob unter bestimmten, zukünftig nachweislich positiven Entwicklungen eine Überprüfung der Fortsetzung der Massnahme angebracht sein könnte.

Zusammenfassend verwarf das Bundesgericht die Rügen des Beschwerdeführers bezüglich der Unverhältnismässigkeit des lebenslangen Tätigkeitsverbots.

3. Entschädigung für Verteidigungskosten (Art. 429 StPO)

Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung von Art. 429 StPO bezüglich der Entschädigung seiner Verteidigungskosten in zweiter Instanz.

  • Kosten vor dem ersten Bundesgerichtsentscheid: Diese Forderung scheiterte, da der Beschwerdeführer im Hauptpunkt (Tätigkeitsverbot) unterlag.
  • Kosten nach dem ersten Bundesgerichtsentscheid: Das Bundesgericht stellte fest, dass die Vorinstanz die Frage der Entschädigung für diesen Teil des Verfahrens nicht entschieden hatte, obwohl die Kosten dem Staat auferlegt worden waren und eine detaillierte Kostenaufstellung vorlag. Dies stellt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) dar, da die Vorinstanz ihre Begründungspflicht nicht erfüllt hat.

Das Bundesgericht gab der Beschwerde in diesem Punkt teilweise statt und wies die Sache zur Neubeurteilung der Entschädigungsfrage an die Vorinstanz zurück.

IV. Fazit und Kostenregelung

Das Bundesgericht hiess die Beschwerde teilweise gut. Die Sache wurde an die kantonale Instanz zur Neubeurteilung der Entschädigung der Verteidigungskosten für den nach dem ersten Bundesgerichtsentscheid (6B_852/2022) geführten Teil des Berufungsverfahrens zurückgewiesen. Im Übrigen wurde die Beschwerde abgewiesen.

Der Beschwerdeführer, der in der Hauptsache unterlag, hat einen Teil der Gerichtskosten zu tragen (2'000 CHF). Da er in einem Nebenpunkt obsiegte, hat er Anspruch auf eine reduzierte Parteientschädigung von 1'000 CHF, die vom Kanton Waadt zu zahlen ist.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  1. Lebenslanges Tätigkeitsverbot bestätigt: Das Bundesgericht bestätigte das lebenslange Berufs- und Tätigkeitsverbot mit Minderjährigen. Es lehnte die Anwendung der Ausnahmeklausel (Art. 67 Abs. 4bis StGB) ab, da die Taten aufgrund ihrer Wiederholung, Vorsätzlichkeit, des erheblichen Altersgefälles und der weiteren Umstände nicht als "sehr geringe Schwere" eingestuft werden konnten und zudem eine positive Rückfallprognose fehlte (mangelnde Einsicht, frühere exhibitionistische Tendenzen, Abbruch der Therapie).
  2. Verhältnismässigkeit gewährleistet: Die lebenslange Massnahme wurde trotz Art. 8 EMRK als verhältnismässig erachtet. Das Bundesgericht verwies auf den weiten Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers im Kindesschutz und stellte fest, dass die konkreten Auswirkungen auf das Berufs- und Privatleben des Beschwerdeführers (Ausbildung und Tätigkeiten ohne regelmässigen Kinderkontakt, gutes Einkommen) als gering einzuschätzen sind. Die Frage einer zukünftigen Überprüfungsmöglichkeit bei positiver Entwicklung wurde offen gelassen.
  3. Entschädigung zur Neubeurteilung: Die Beschwerde wurde teilweise gutgeheissen und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen, da diese es unterlassen hatte, über die Entschädigung der Verteidigungskosten für den nach der ersten Bundesgerichtsremission geführten Verfahrensteil zu entscheiden, was eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör darstellt.