Zusammenfassung von BGer-Urteil 8C_720/2024 vom 10. November 2025

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Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 8C_720/2024 vom 10. November 2025

Parteien: * Beschwerdeführer: A.__ (Versicherter) * Beschwerdegegnerin: Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents (CNA, SUVA)

Gegenstand: Unfallversicherung (Kausalzusammenhang) – Leistungen bei Unfall und vorbestehender Erkrankung

I. Sachverhalt und Verfahrensgeschichte

Der 1966 geborene Beschwerdeführer, A.__, ein Plattenleger, war bei der SUVA gegen Unfall versichert. Am 17. November 2014 erlitt er einen Arbeitsunfall, bei dem er beim Transport einer Gipsplatte auf Schotter ausrutschte und sich das rechte Knie verdrehte und anschlug. Diagnostiziert wurde eine Fissur des Innenmeniskus. Die SUVA übernahm den Fall und die Kosten für eine Arthroskopie am 29. Januar 2015.

In der Folge kündigte die SUVA am 23. Mai 2016 die Einstellung der Leistungen per 31. Mai 2016 an, sprach mit Entscheid vom 9. November 2016 (bestätigt am 14. März 2017) eine Integritätsentschädigung von 10 % zu, lehnte jedoch eine Invalidenrente ab. Nach weiteren Stürzen im März und Mai 2017 aufgrund von Instabilität im rechten Knie und einer erneuten Arthroskopie am 1. Juni 2017 (von der SUVA als Rückfall übernommen), sowie einer Arthroskopie am linken Knie im September 2017, wurde der Fall mehrfach vor die kantonalen Gerichte gebracht.

Eine erste gerichtliche Annullierung und Rückweisung erfolgte am 20. Februar 2018, mit der Aufforderung an die SUVA, formell über die Fallstabilisierung per 31. Mai 2016 und die Einstellung der Taggelder zu entscheiden. Nach einer weiteren Sturz- und Operationsserie am rechten Knie im Jahr 2018 bestätigte die SUVA zunächst die Stabilisierung per 31. Mai 2016, sprach aber nach Einsprache teilweise Taggelder ab dem 22. März 2017 zu, da die Operation vom 1. Juni 2017 als Rückfall anerkannt wurde.

Am 23. April 2019 annullierte die Chambre des assurances sociales des Kantons Genf erneut den Einspracheentscheid der SUVA und wies die Sache zur Ergänzung der Abklärungen und zu neuem Entscheid zurück.

Zentrale medizinische Abklärung: Die SUVA beauftragte daraufhin Dr. B._, Spezialist für orthopädische Chirurgie, mit einem Gutachten, welches am 18. Dezember 2020 erstellt und durch zwei Ergänzungen (10. September 2021 und 28. März 2022) präzisiert wurde. Dr. B._ setzte sich dabei auch mit den Einwänden des behandelnden Chirurgen, Dr. C.__, auseinander. Im Oktober 2020 und Dezember 2021 folgten weitere Operationen am rechten Knie des Beschwerdeführers.

Gestützt auf das Gutachten von Dr. B.__ stellte die SUVA mit Entscheid vom 19. September 2022 (bestätigt am 7. April 2023) ihre Leistungen per 4. August 2015 ein. Sie verzichtete jedoch auf die Rückforderung der zu Unrecht ausbezahlten Leistungen für den Zeitraum vom 5. August 2015 bis zum 31. August 2018.

Das kantonale Gericht wies die Beschwerde des Versicherten gegen diesen Einspracheentscheid mit Urteil vom 5. November 2024 ab, soweit es darauf eintrat.

II. Rechtsbegehren vor Bundesgericht

Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung des kantonalen Urteils und die Feststellung, dass sein Gesundheitszustand nicht am 4. August 2015, sondern am 31. Dezember 2020 stabilisiert gewesen sei. Er verlangte die Übernahme der Behandlungskosten für den Unfall von 2014 und seine Rückfälle sowie die Ausrichtung von Taggeldern vom 4. August 2015 bis 31. Dezember 2020. Zudem forderte er die Übernahme der Zahnbehandlungskosten, die sich aus dem Sturz vom 16. März 2017 ergaben. Eventualiter beantragte er die Aufhebung des Urteils und die Rückweisung an die Vorinstanz zur Ergänzung der Abklärungen.

III. Erwägungen des Bundesgerichts

  1. Zulässigkeit des Rechtsbegehrens: Das Bundesgericht stellte fest, dass der Beschwerdeführer in der kantonalen Instanz seine Anträge auf die Zahlung von Taggeldern bis 31. Dezember 2020 und die Übernahme der Zahnbehandlungskosten beschränkt hatte. Gemäss Art. 99 Abs. 2 BGG sind neue Begehren vor Bundesgericht unzulässig. Die beantragten Feststellungen zur Fallstabilisierung und zum Kausalzusammenhang sind ebenfalls unzulässig, da Verurteilungsbegehren möglich und auch gestellt wurden. Hinsichtlich der Zahnbehandlungskosten rügte das Bundesgericht die Vorinstanz: Die SUVA hatte mit der Einstellung aller Leistungen über den 4. August 2015 hinaus – zumindest implizit – auch die Übernahme der Zahnbehandlungskosten aus dem Sturz vom 16. März 2017 abgelehnt. Damit war dieser Punkt in der kantonalen Instanz zulässig vorgebracht worden. Neuartige Beweismittel (z.B. eine nachträglich eingereichte Bestätigung der Selbständigkeit) wurden gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG als unzulässig erklärt.

  2. Rechtliche Grundlagen: Das Bundesgericht verwies auf die massgebenden Bestimmungen und Grundsätze der Rechtsprechung, insbesondere:

    • Art. 6 Abs. 1 und 2 UVG (Leistungsanspruch bei Unfall und unfallähnlichen Körperschäden, wobei die Fassung bis 31. Dezember 2016 anwendbar war).
    • Art. 19 Abs. 1 UVG (Stabilisierung des Gesundheitszustandes, ATF 134 V 109).
    • Kausalzusammenhang: Erfordernis eines natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem schädigenden Ereignis und der Gesundheitsschädigung (ATF 142 V 435).
    • Statu quo ante/sine: Bei vorbestehenden Krankheiten ist die Leistungspflicht der Unfallversicherung auf den Zeitpunkt beschränkt, an dem der Gesundheitszustand erreicht ist, der auch ohne den Unfall bestünde (sog. statu quo sine; ATF 146 V 51).
    • Beweiswert medizinischer Gutachten: Gutachten, die von der Verwaltung oder dem Richter in Auftrag gegeben werden, haben einen hohen Beweiswert, wenn sie schlüssig und widerspruchsfrei sind (ATF 135 V 465). Eine abweichende Meinung des behandelnden Arztes reicht allein nicht aus, um ein solches Gutachten zu widerlegen, es sei denn, der Arzt legt objektiv überprüfbare Elemente dar, die im Gutachten ignoriert wurden und dessen Schlussfolgerungen in Frage stellen (Referenz auf BGer-Urteil 8C_658/2024).
  3. Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV): Der Beschwerdeführer warf der Vorinstanz vor, das rechtliche Gehör verletzt und ihre Entscheidung unzureichend begründet zu haben, indem sie die vermeintlichen Widersprüche im Gutachten von Dr. B._ nicht erwähnt und die Argumente von Dr. C._ sowie die Resultate einer Biopsie ignoriert habe. Das Bundesgericht wies diese Rüge zurück. Es stellte fest, dass die Vorinstanz das Gutachten von Dr. B._ detailliert wiedergegeben und die Gründe dargelegt hatte, warum dieser zu dem Schluss gelangte, dass die Meniskusläsionen an beiden Knien auf eine rheumatische Erkrankung (Chondrokalzinose) zurückzuführen seien und dass der Unfall von 2014 lediglich eine vorbestehende Läsion verschlimmert habe, wobei der statu quo sine spätestens am 4. August 2015 erreicht worden sei. Die Vorinstanz habe das Gutachten als überzeugend und widerspruchsfrei erachtet und die Erklärungen des Experten zu den Divergenzen mit Dr. C._ als fundiert bewertet. Damit sei die Begründung ausreichend gewesen, da die Vorinstanz nicht verpflichtet sei, auf alle Argumente einzugehen, sondern nur auf die entscheidenden.

  4. Beweiswürdigung der Expertise von Dr. B.__: Der Beschwerdeführer bestritt den Beweiswert des Gutachtens von Dr. B.__ und führte verschiedene angebliche Widersprüche an:

    • Er sei weiterhin in der Lage, schwere Lasten zu tragen und arbeite seit vier Jahren vollzeit als Maler-Gipser ohne Probleme.
    • Die Prognose des Experten bezüglich der Knorpeltransplantation (kurzfristig enttäuschendes, später mittelfristig verschlechterndes Ergebnis) habe sich nicht bewahrheitet, da er vier Jahre nach der Operation noch immer beschwerdefrei sei und auch das linke Knie keine Probleme mache.
    • Es sei unwahrscheinlich, dass er zwischen 2014 und 2020 durchgehende Schübe von Chondrokalzinose gehabt habe und diese seit der Operation im Oktober 2020 keine Probleme mehr bereite. Zudem treffe diese Krankheit hauptsächlich über 80-Jährige.
    • Die Erklärung von Dr. C.__ (initiale therapeutische Abstinenz und intensive Rehabilitation auf instabilem Knie) sei die einzig überzeugende.
    • Der Experte habe eine "wichtige" Chondrokalzinose festgestellt, ohne diese quantifiziert zu haben.

    Das Bundesgericht entkräftete diese Argumente: * Stichtagsprinzip: Die Entwicklung des Gesundheitszustandes nach dem Einspracheentscheid vom 7. April 2023 ist irrelevant (ATF 144 V 210), und es fehlten im Dossier nachträgliche medizinische Dokumente, die die Behauptungen des Beschwerdeführers stützen würden. * Arbeitsfähigkeit: Die Einschätzung von Dr. B._, dass keine Tätigkeit mit dem Heben schwerer Lasten mehr möglich sei, basierte auf den eigenen Aussagen des Beschwerdeführers, wonach er primär kaufmännische und überwachende Tätigkeiten ausübe und keine Lasten trage. Der Beschwerdeführer konnte keine Beweise für eine vollständige Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit vorlegen. * Prognose der Knorpeltransplantation: Dr. B._ hatte lediglich ein Risiko einer kurzfristigen Verschlechterung erwähnt und später präzisiert, dass sich Probleme drei bis fünf Jahre nach der Operation manifestieren könnten. Zum Zeitpunkt des SUVA-Entscheids waren noch keine drei Jahre seit der Transplantation vergangen, weshalb die Einschätzung des Experten weiterhin gültig war. Die Analyse des Experten war konsistent. * Chondrokalzinose: Der Experte hatte die Chondrokalzinose auf den Initialbildern vom Unfalltag festgestellt und detailliert begründet, warum diese Diagnose im vorliegenden Fall zu stellen war, auch wenn sie bei jüngeren Personen seltener sei. Die Bezeichnung "important" sei kohärent mit seinen Beobachtungen. Auch Dr. C._ hatte Schmerzen am linken Knie bestätigt. * Beweiswert der Expertise vs. Meinung des behandelnden Arztes: Das Gutachten von Dr. B._ wurde als vollständig, sorgfältig begründet und detailliert beurteilt, da sich der Experte auch umfassend mit den Einwänden von Dr. C._ auseinandergesetzt hatte. Die Beurteilung des Experten wurde zudem durch andere medizinische Meinungen gestützt, die ebenfalls von einer degenerativen Ursache ausgingen. Die abweichende Meinung von Dr. C._ wurde als isoliert bewertet und enthielt keine objektiv überprüfbaren Elemente, die die Schlussfolgerungen des Gutachtens von Dr. B.__ in Frage stellen könnten.

IV. Fazit des Bundesgerichts

Das Bundesgericht gelangte zum Schluss, dass die Vorinstanz zu Recht auf das Gutachten von Dr. B.__ abgestellt und den Einspracheentscheid der SUVA vom 7. April 2023 bestätigt hatte. Der Beschwerdeführer konnte die vorinstanzliche Beweiswürdigung nicht erfolgreich in Frage stellen.

Die Beschwerde wurde im Rahmen ihrer Zulässigkeit abgewiesen. Die Gerichtskosten wurden dem Beschwerdeführer auferlegt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte die Einstellung der Leistungen der SUVA an den Beschwerdeführer per 4. August 2015. Es stellte fest, dass die Kniebeschwerden des Beschwerdeführers hauptsächlich auf eine vorbestehende rheumatische Erkrankung (Chondrokalzinose) zurückzuführen waren und der Arbeitsunfall von 2014 lediglich eine Aggravation einer bereits bestehenden Läsion darstellte. Der Zeitpunkt des statu quo sine (d.h. der Zustand, der auch ohne den Unfall eingetreten wäre) wurde als spätestens der 4. August 2015 erachtet. Das Bundesgericht erachtete das eingeholte gerichtliche Gutachten als schlüssig und widerspruchsfrei und wies die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs sowie die Argumente gegen den Beweiswert des Gutachtens zurück. Die Beschwerde wurde somit abgewiesen, wobei lediglich das Begehren betreffend die Zahnbehandlungskosten als zulässig erachtet wurde, inhaltlich aber ebenfalls scheiterte.