Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.
1. Gegenstand und Vorgeschichte
Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts betrifft eine Beschwerde gegen einen Entscheid des Kantonsgerichts Waadt (Cour constitutionnelle), welches eine kantonale Volksinitiative mit dem Titel "Pour une taxe progressive sur les dépenses publicitaires indécentes" (Für eine progressive Steuer auf unanständige Werbeausgaben) für nichtig erklärt hatte. Die Initiative sah die Einführung eines neuen Art. 66a in die Waadtländer Kantonsverfassung (Cst./VD) vor.
Der vorgeschlagene Art. 66a Cst./VD umfasste im Wesentlichen folgende Punkte: * Steuerpflicht: Jede juristische oder natürliche Person, die Werbeausgaben tätigt, die sich ganz oder teilweise an die Waadtländer Bevölkerung richten, sollte einer jährlichen progressiven Steuer unterliegen. * Definition der Werbeausgaben: Der Begriff wurde breit gefasst und umfasste alle Ausgaben von der Konzeption bis zur Verbreitung von Werbeinhalten, unabhängig vom Trägermedium (physisch oder virtuell). Dies schloss Plakatwerbung, Werbung in Presse, Radio, Fernsehen, Kino, Internet (insbesondere soziale Netzwerke, Pop-ups, Influencer-Vergütungen), in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Briefkästen, Sportwerbung, Produktpromotion-Stände und Sponsoring ein. * Ausnahmen: Ausgenommen waren Werbung für lokale Kultur- und Sportveranstaltungen, amtliche Mitteilungen von Behörden sowie Wahl- oder Abstimmungskampagnen. * Steuertarif: Der progressive Tarif sah 0% für Ausgaben bis CHF 10'000, 25% für Ausgaben zwischen CHF 10'000 und CHF 100'000, 50% für Ausgaben zwischen CHF 100'000 und CHF 1'000'000 und 100% für den darüber hinausgehenden Betrag vor. * Pro-rata-Regelung: Bei Ausgaben für ein breiteres Publikum (Schweiz oder Romandie) sollte eine anteilsmässige Berechnung nach der Waadtländer Bevölkerung erfolgen. * Sanktionen und Vollzug: Das Gesetz sollte Sanktionen bei Verschleierung von Werbeausgaben und die Vollzugsmodalitäten regeln. * Zweckbindung: Die Steuereinnahmen sollten sozialen Zwecken, insbesondere der beruflichen Neuorientierung im Zusammenhang mit dem ökologischen Wandel, der Bekämpfung des Klimawandels und des Verlusts der Biodiversität, zugewiesen werden. * Rechenschaftspflicht: Der Kanton Waadt sollte jährlich einen Bericht über die mit diesen Mitteln finanzierten Aktivitäten erstellen.
Der Waadtländer Staatsrat hatte die Initiative zunächst validiert, da sie die Anforderungen an die Einheit von Rang, Form und Materie erfüllte, nicht mit der Wirtschaftsfreiheit unvereinbar schien und ihre Umsetzbarkeit nicht a priori ausgeschlossen war (unter Berufung auf das Prinzip in dubio pro populo). Das Kantonsgericht Waadt hob diesen Entscheid jedoch auf und erklärte die Initiative für nichtig. Es begründete dies mit einem unverhältnismässigen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit und der unmöglichen Umsetzung, insbesondere bezüglich ausländischer Werbetreibender und digitaler Werbung.
2. Rügen der Beschwerdeführenden und bundesgerichtliche Vorprüfung
Die Beschwerdeführenden, bestehend aus dem Initiativkomitee, mehreren Mitgliedern und einer assoziierten Organisation, beantragten die Aufhebung des kantonalen Urteils und die Bestätigung der Validierung der Initiative oder subsidiär eine teilweise Invalidierung.
2.1. Zulässigkeit und Parteifähigkeit (Art. 82 lit. c, 89 Abs. 3 BGG) Das Bundesgericht bestätigte die Beschwerdeberechtigung der Mitglieder des Initiativkomitees, da sie über das Stimmrecht im Kanton Waadt verfügen (Art. 89 Abs. 3 BGG). Die Frage der Parteifähigkeit des Initiativkomitees selbst (mangels Rechtspersönlichkeit) und der assoziierten Organisation wurde offengelassen, da das Rechtsmittel der Einzelpersonen ohnehin zulässig war.
2.2. Sachverhaltsfeststellung und rechtliches Gehör (Art. 105 Abs. 1, 97 Abs. 1, 29 Abs. 2 BV) Die Beschwerdeführenden rügten, das Kantonsgericht habe den Sachverhalt willkürlich festgestellt und ihr Recht auf rechtliches Gehör verletzt. Sie beanstandeten insbesondere, dass das Kantonsgericht die Eignung der Werbesteuer zur Reduktion von Treibhausgasemissionen in Abrede gestellt habe, ohne relevante Beweismittel (IPCC-Bericht, Waadtländer Klima-Plan, wissenschaftliche Artikel) zu berücksichtigen oder sie dazu anzuhören.
Das Bundesgericht wies diese Rügen zurück. Es stellte fest, dass das Kantonsgericht die Argumente der Beschwerdeführenden detailliert dargelegt und gewürdigt hatte. Die Beanstandung, dass die Initiative die angestrebten Ziele nicht erreichen könne, betreffe die Rechtsfrage der Verhältnismässigkeit (Eignung der Massnahme), nicht eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung. Die von den Beschwerdeführenden eingereichten Dokumente lieferten keine spezifischen Belege dafür, dass eine kantonale Werbesteuer tatsächlich eine Verhaltensänderung der Konsumenten im Kanton Waadt bewirken und zu einer messbaren Reduktion der Treibhausgasemissionen führen würde. Ein unzulässiger Beweislastwechsel oder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs lagen ebenfalls nicht vor, da die Frage der Eignung bereits im kantonalen Verfahren relevant war und die Parteien sich dazu äussern konnten. Das Bundesgericht hielt zudem fest, dass der von den Beschwerdeführenden zitierte frühere Entscheid (1C_427/2020 vom 25. März 2021) inhaltlich nicht einschlägig sei, da er eine andere Initiative mit anderen Zielen betreffe.
3. Materielle Gültigkeit der Initiative – Rechtliche Argumentation
3.1. Grundsätze zur Prüfung von Volksinitiativen (Art. 113 Abs. 1 LEDP, Art. 34, 36 Abs. 2 und 3 BV) Das Bundesgericht erinnerte an die Grundsätze zur Prüfung der materiellen Gültigkeit von Volksinitiativen. Der Initiativtext ist primär nach seinem Wortlaut auszulegen, wobei auch die Motivation der Initianten und das vernünftige Verständnis der Unterzeichnenden zu berücksichtigen sind. Der Grundsatz in dubio pro populo verlangt, Initiativen möglichst zu validieren und Invalidierungen restriktiv zu handhaben. Dies leitet sich auch aus dem Verhältnismässigkeitsprinzip (Art. 34 und 36 Abs. 2 und 3 BV) ab. Bei einer formulierten Initiative ist der Beurteilungsspielraum der Behörden jedoch grösser als bei einer nur allgemein gehaltenen Initiative.
3.2. Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 und 94 BV) Die Wirtschaftsfreiheit schützt die private, lukrative Wirtschaftstätigkeit (Art. 27 Abs. 2 BV), wozu explizit auch das Recht gehört, Werbung zu betreiben. Steuern stellen nicht per se eine Beschränkung der Wirtschaftsfreiheit dar. Erst wenn es sich um spezifische, prohibitive "Sondergewerbesteuern" handelt, die eine bestimmte Wirtschaftstätigkeit so stark belasten, dass die Ausübung des Berufs unmöglich oder übermässig schwierig wird und kein angemessener Gewinn mehr erzielt werden kann, liegt ein Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit vor. Art. 94 BV schützt zudem die Wirtschaftsfreiheit in ihrer systemischen Dimension als fundamentaler Grundsatz der schweizerischen Marktwirtschaft.
Das Bundesgericht qualifizierte die vorgeschlagene Steuer aufgrund ihrer Tarife (50% ab CHF 100'000, 100% ab CHF 1'000'000) als einen erheblichen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit. Obwohl sie grundsätzlich alle Wirtschaftsakzente betreffe, ziele sie speziell auf den Werbemarkt ab (Werbetreibende, Werbefachleute, Agenturen). Eine Besteuerung von 100% für Ausgaben über einer Million Franken würde zu einer massiven Erhöhung des Werbebudgets führen und somit eine Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit der Akteure im Werbemarkt darstellen, welche einer Verhältnismässigkeitsprüfung unterzogen werden muss.
3.3. Verhältnismässigkeitsprüfung (Art. 36 Abs. 3 BV) Eine Beschränkung eines Grundrechts muss die Kriterien der Eignung, der Erforderlichkeit und der Zumutbarkeit im engeren Sinne erfüllen.
Zwecke der Initiative: Die Initiative verfolgte das Ziel, die Gesundheit, Lebensbedingungen und das Wohlbefinden der Bevölkerung zu verbessern, indem sie die Exposition gegenüber Werbung reduziert, sowie die Treibhausgasemissionen zu vermindern und den Klimawandel sowie Umweltzerstörungen einzudämmen.
Eignung der Massnahme (Aptitude): Das Bundesgericht beurteilte die Eignung der vorgeschlagenen Steuer als nicht gegeben:
Fazit zur Verhältnismässigkeit: Angesichts dieser Mängel erachtete das Bundesgericht die Massnahme als ungeeignet, die angestrebten Ziele zu erreichen. Sie verletzte damit das Verhältnismässigkeitsprinzip in allen seinen drei Aspekten (Eignung, Erforderlichkeit, Zumutbarkeit im engeren Sinne).
3.4. Teilinvalidierung Die von den Beschwerdeführenden beantragte Teilinvalidierung, beschränkt auf grenzüberschreitende Fernsehwerbung und Internetwerbung (Art. 66a Abs. 2 lit. b und c Cst./VD), wurde vom Bundesgericht abgelehnt. Die Mängel der Initiative betrafen die gesamte Massnahme und deren mangelnde Verhältnismässigkeit im Allgemeinen, nicht nur spezifische Werbeformen.
4. Entscheid des Bundesgerichts
Das Bundesgericht wies die Beschwerde in dem Umfang, in dem sie zulässig war, ab. Es bestätigte damit die Nichtigkeit der Volksinitiative "Pour une taxe progressive sur les dépenses publicitaires indécentes". Die Gerichtskosten wurden den Beschwerdeführenden auferlegt, jedoch unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses auf CHF 500 reduziert. Den obsiegenden Intimierten wurde eine Parteientschädigung von CHF 4'000 zugesprochen.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:Die kantonale Volksinitiative im Kanton Waadt zur Einführung einer progressiven Steuer auf Werbeausgaben wurde vom Bundesgericht als unverhältnismässig und damit ungültig erklärt. Die Hauptgründe waren: 1. Mangelnde Eignung: Die Massnahme wurde als ungeeignet beurteilt, die angestrebten Klimaschutz- und Gesundheitsziele auf kantonaler Ebene zu erreichen. Es fehlte an Belegen für eine konkrete Wirkung auf das Konsumverhalten und die Emissionen. 2. Umsetzbarkeitsprobleme: Insbesondere die Besteuerung von ausländischen Werbetreibenden und digitaler Werbung (Internet, soziale Medien, ausländische Kanäle) stellte erhebliche und ungelöste Probleme bei der Bemessung und Erhebung der Steuer dar. 3. Fehlende Spezifität: Die Steuer unterschied nicht nach Produkten, Kundschaft oder Konsumarten und zielte nicht spezifisch auf die klimaschädlichsten Konsummodi oder die effizientesten Werbeformen ab. Der stark progressive Tarif allein garantierte keine Verhältnismässigkeit. 4. Eingriff in Wirtschaftsfreiheit: Die hohen Steuersätze (bis 100%) wurden als signifikanter Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit der Werbebranche qualifiziert, der die strengen Anforderungen des Verhältnismässigkeitsprinzips (Art. 36 Abs. 3 BV) nicht erfüllte.