Das Bundesgericht hatte im Urteil 2C_19/2025 vom 4. November 2025 über die Verweigerung einer Einreise- und Aufenthaltsbewilligung im Rahmen des Familiennachzugs zu befinden. Der Beschwerdeführer A.A._, kosovarischer Staatsangehöriger, beantragte den Nachzug zu seiner Ehefrau B.A._, welche im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung (B-Ausweis) ist und mit ihren beiden Söhnen in einer 3.5-Zimmerwohnung im Kanton Freiburg lebt. Das Amt für Bevölkerung und Migration des Kantons Freiburg (Migrationsamt) lehnte das Gesuch ab, da es das Vorliegen einer Scheinehe annahm. Diesen Entscheid bestätigte das Kantonsgericht Freiburg.
1. Verfahrensgeschichte und Kognition des Bundesgerichts
- Sachverhalt (A. und B.): Die Ehefrau B.A._ (geb. 1988) lebt mit ihren Söhnen C.A._ (geb. 2006) und D.A._ (geb. 2014) in der Schweiz. Sie heiratete den Beschwerdeführer A.A._ (geb. 1983), den Vater ihres älteren Sohnes C.A._, am 18. Oktober 2022 im Kosovo. Am 8. November 2022 beantragte A.A._ den Familiennachzug. Nach anfänglichen Bedenken bezüglich finanzieller Mittel und Wohnraum, begründete das Migrationsamt die definitive Ablehnung am 10. Juni 2024 hauptsächlich mit dem Verdacht einer Scheinehe. Das Kantonsgericht Freiburg bestätigte diese Entscheidung am 27. November 2024.
- Zulässigkeit der Beschwerde (E. 1): Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist im Ausländerrecht nur zulässig, wenn ein Bewilligungsanspruch aus Bundes- oder Völkerrecht besteht (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG e contrario). Obwohl Art. 44 AIG (Familiennachzug zu Personen mit Aufenthaltsbewilligung) keinen Rechtsanspruch, sondern Ermessen vermittelt, wurde die Zulässigkeit hier bejaht. Dies, weil die Ehefrau des Beschwerdeführers über ein gefestigtes Aufenthaltsrecht verfügt (vgl. BGE 144 II 1 E. 6.1) und der Beschwerdeführer sich damit in vertretbarer Weise auf einen potenziellen Nachzugsanspruch gemäss Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) bzw. Art. 13 Abs. 1 BV (Schutz des Privat- und Familienlebens) berufen konnte (E. 1.1).
- Kognition und Rügepflicht (E. 2.1-2.2): Das Bundesgericht prüft Rechtsverletzungen grundsätzlich von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1 BGG), jedoch unter Berücksichtigung der Rügepflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG). Für Grundrechtsverletzungen gilt eine qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG). Dem Urteil wird der von der Vorinstanz festgestellte Sachverhalt zugrunde gelegt (Art. 105 Abs. 1 BGG); eine Korrektur ist nur bei offensichtlicher Unrichtigkeit (Willkür) oder Rechtsverletzung sowie Verfahrensentscheidungsrelevanz möglich (Art. 97 Abs. 1 BGG), ebenfalls unter qualifizierter Rügepflicht.
2. Novenrecht (E. 2.3)
- Das Bundesgericht wies auf die strenge Regelung für neue Tatsachen und Beweismittel (Noven) hin (Art. 99 Abs. 1 BGG). Echte Noven, d.h. Tatsachen und Beweismittel, die erst nach dem vorinstanzlichen Entscheid entstanden sind, sind vor Bundesgericht unzulässig. Unechte Noven, die bereits im kantonalen Verfahren hätten vorgelegt werden können, werden ebenfalls nicht berücksichtigt, es sei denn, der vorinstanzliche Entscheid selbst hätte dazu Anlass gegeben.
- Anwendung im Fall (E. 2.3.1-2.3.2): Der Beschwerdeführer hatte diverse Fotos, ein Flugticket und türkische Unterlagen (angeblich im Zusammenhang mit einer Fettabsaugung der Ehefrau) eingereicht. Diese wurden als unechte Noven abgewiesen, da sie bereits im kantonalen Verfahren hätten vorgelegt werden müssen. Auch die unaufgeforderte Eingabe vom 20. August 2025, welche die Schwangerschaft der Ehefrau mittels Ultraschallbildern belegen sollte, wurde als echtes Novum als unzulässig erachtet und nicht berücksichtigt.
3. Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) (E. 3)
- Rüge: Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör, da der Vorwurf der Scheinehe erstmals in der ablehnenden Verfügung des Migrationsamts erhoben worden sei, nachdem zuvor lediglich finanzielle Aspekte und die Wohnsituation thematisiert worden waren. Er und seine Ehefrau hätten sich zu diesem unerwarteten Vorwurf nicht vorgängig äussern können.
- Begründung des Bundesgerichts: Das Gericht liess offen, ob eine primäre Gehörsverletzung vorlag. Es verwies auf die so genannte Heilungslehre im Verfahrensrecht (BGE 147 IV 340 E. 4.11.3; 137 I 195 E. 2.3.2). Eine Gehörsverletzung kann als geheilt gelten, wenn die betroffene Person die Möglichkeit erhält, sich vor einer Rechtsmittelinstanz zu äussern, die sowohl den Sachverhalt als auch die Rechtslage frei überprüfen kann. Das Kantonsgericht als Rechtsmittelinstanz hätte diese Möglichkeit geboten, doch der Beschwerdeführer habe es unterlassen, entsprechende Belege zum Ehewillen einzureichen. Da der Beschwerdeführer diese Einschätzung des Kantonsgerichts nicht substantiiert bestritt, sah das Bundesgericht von einer Rückweisung der Sache an die Vorinstanz ab.
4. Hauptfrage: Scheinehe und Sachverhaltswürdigung (E. 4)
- Definition und Beweislast (E. 4.2-4.3): Eine Scheinehe liegt vor, wenn konkrete Hinweise dafür sprechen, dass die Ehegatten keine eigentliche Lebensgemeinschaft beabsichtigten, sondern die Beziehung nur aus aufenthaltsrechtlichen Überlegungen eingegangen sind (BGE 127 II 49 E. 5a). Die Feststellung solcher Indizien ist eine Sachverhaltsfrage, die nur auf offensichtliche Unrichtigkeit (Willkür) überprüft wird. Die Schlussfolgerung aus den Indizien ist hingegen eine Rechtsfrage. Grundsätzlich obliegt der Nachweis der Scheinehe den Migrationsbehörden. Diese Untersuchungsmaxime wird jedoch durch die Mitwirkungspflicht der betroffenen Personen (Art. 90 AIG) relativiert, insbesondere wenn bereits gewichtige Indizien für eine Scheinehe sprechen.
- Indizienlage gemäss Vorinstanz (E. 4.4): Die Vorinstanz stützte ihre Annahme einer Scheinehe auf folgende gewichtige Indizien:
- Keine Bewilligungsaussicht: Der Beschwerdeführer, ein kosovarischer Staatsangehöriger ohne besondere berufliche Qualifikationen, hätte ohne Heirat keine Aussicht auf eine ordentliche Aufenthaltsbewilligung.
- Strafrechtliche Vorgeschichte: Mehrfache unrechtmässige Einreise in die Schweiz und diverse strafrechtliche Verurteilungen (Verstösse gegen AIG, Strassenverkehrsdelikte, Ausweisfälschung, Gewalt und Drohung gegen Behörden, Hinderung einer Amtshandlung).
- Auffällige zeitliche Konstellation: Nach einer vormaligen Verbindung (2005/2006), aus der der gemeinsame Sohn C.A.__ hervorging, pflegte der Beschwerdeführer kaum Kontakt zu seinem Sohn. Nach fast sechs Jahren ohne Kontakt nahm er diesen sowie den Kontakt zu seiner heutigen Ehefrau erst im Herbst 2022 wieder auf, unmittelbar vor der Gesuchseinreichung.
- Kurze und überwiegend getrennte Beziehung: Die Ehegatten entschieden sich nach eigenen Aussagen nach nur dreimonatiger Beziehung und grossmehrheitlich getrenntem Aufenthalt telefonisch für eine Heirat.
- Wortkarge Befragung der Ehefrau: Anlässlich der Befragung vom 28. November 2022 zeigte sich die Ehefrau sehr wortkarg. Sie hatte ihren Ehemann seit der Heirat Mitte Oktober 2022 nicht mehr gesehen.
- Fehlende familiäre und traditionelle Feierlichkeiten: Verschiedene enge Familienangehörige (darunter die beiden Kinder und die Mutter der Ehefrau) waren bei der standesamtlichen Hochzeit abwesend, und es fand kein traditionelles Hochzeitsfest statt, was insbesondere im betroffenen Kulturkreis als erstaunlich gewertet wurde.
- Würdigung der Beschwerde (E. 4.5): Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gegenargumente, wie täglicher Kontakt, regelmässige Besuche und Belege in sozialen Medien, fanden keine Stütze in den Akten. Das Bundesgericht hielt fest, dass es die Mitwirkungspflicht (Art. 90 AIG) des Beschwerdeführers gewesen wäre, entsprechende Belege rechtzeitig im Verfahren einzubringen, was er versäumt hatte. Der Umstand, dass sich die Ehegatten seit zwanzig Jahren kennen und einen gemeinsamen Sohn haben, reichte nicht aus, um die vorinstanzliche Indizienwürdigung als willkürlich erscheinen zu lassen. Der Beschwerdeführer verblieb weitgehend bei appellatorischer Kritik oder stützte sich auf unzulässige Noven.
- Schlussfolgerung (E. 4.6-4.7): Das Bundesgericht bestätigte, dass keine willkürliche Sachverhaltsfeststellung vorlag. Gestützt auf die willkürfrei gewürdigten Indizien konnte die Vorinstanz rechtlich unbedenklich zum Schluss gelangen, dass eine Scheinehe vorliegt. Die Forderung, den Ehegatten eine Möglichkeit zu geben, eine ernsthafte Beziehung in der Schweiz unter Beweis zu stellen, wurde angesichts der klaren Indizienlage abgewiesen.
5. Recht auf Familienleben (Art. 8 EMRK / Art. 13 Abs. 1 BV) (E. 5)
- Grundsatz (E. 5.1): Das Recht auf Achtung des Familienlebens vermittelt grundsätzlich keinen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt in der Schweiz (BGE 149 I 72 E. 2.1.1). Der Schutzbereich wird nur berührt, wenn eine nahe, echte und tatsächlich gelebte familiäre Beziehung zu einer in der Schweiz gefestigt anwesenheitsberechtigten Person beeinträchtigt wird und es dieser nicht zumutbar wäre, das Familienleben andernorts zu pflegen. Zum geschützten Kreis gehört primär die Kernfamilie (Ehegatten mit minderjährigen Kindern). Andere familiäre Verhältnisse fallen nur bei einem über die üblichen emotionalen Bindungen hinausgehenden, besonderen Abhängigkeitsverhältnis unter den Schutzbereich.
- Anwendung im Fall (E. 5.2): Die Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner Ehefrau wurde als Scheinehe qualifiziert (vgl. E. 4) und eröffnete daher nicht den Schutzbereich des Rechts auf Familienleben. Die Beziehung zu seinem Sohn, der während des kantonalen Beschwerdeverfahrens volljährig wurde, führte ebenfalls nicht zu einem Anspruch, da weder ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis geltend gemacht noch ersichtlich war. Somit konnte der Beschwerdeführer aus Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 Abs. 1 BV keinen Aufenthaltsanspruch ableiten.
6. Unentgeltliche Rechtspflege (E. 6)
- Die Rüge des Beschwerdeführers bezüglich der Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege für das vorinstanzliche Verfahren wurde abgewiesen, da er nicht substantiiert dargelegt hatte, inwiefern die Vorinstanz kantonales Verfahrensrecht willkürlich angewendet oder Art. 29 Abs. 3 BV verletzt haben sollte.
7. Ergebnis und Kosten (E. 7)
- Die Beschwerde wurde im Haupt- und Eventualbegehren als unbegründet abgewiesen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wurde ebenfalls abgewiesen, da das Rechtsmittel von vornherein als aussichtslos beurteilt wurde (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Dem Beschwerdeführer wurden Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- auferlegt.
Zusammenfassende Essenz der wesentlichen Punkte:
Das Bundesgericht bestätigte die Verweigerung des Familiennachzugs für den kosovarischen Beschwerdeführer zu seiner Ehefrau in der Schweiz.
- Scheinehe: Die Ablehnung basierte massgeblich auf der willkürfreien Annahme einer Scheinehe durch die Vorinstanzen, gestützt auf gewichtige Indizien wie fehlende Bewilligungsaussichten ohne Heirat, strafrechtliche Vorgeschichte, auffällige Kontaktwiederaufnahme vor Gesuchstellung, kurze und weitgehend getrennte Beziehung, wortkarge Befragung der Ehefrau und fehlende traditionelle Hochzeitsfeierlichkeiten.
- Kein Anspruch auf Familienleben: Aus der Scheinehe leitet sich kein Schutz des Familienlebens gemäss Art. 8 EMRK und Art. 13 Abs. 1 BV ab. Auch die Beziehung zum Sohn, der zwischenzeitlich volljährig geworden war, begründete mangels eines besonderen Abhängigkeitsverhältnisses keinen Nachzugsanspruch.
- Novenverbot und Gehörsheilung: Neue Beweismittel (Noven) wurden aufgrund der strengen gesetzlichen Regelung (Art. 99 Abs. 1 BGG) nicht berücksichtigt. Eine allfällige anfängliche Verletzung des rechtlichen Gehörs wurde durch die Möglichkeit, sich im kantonalen Beschwerdeverfahren umfassend zu äussern, als geheilt betrachtet.
- Unbegründete Beschwerde: Die Beschwerde wurde als unbegründet abgewiesen, und das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das Bundesgerichtsverfahren wurde aufgrund der Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels ebenfalls abgewiesen.