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Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts betrifft die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten von A.__, Eigentümer der Parzelle Nr. 2199 in Obersiggenthal, gegen den Erschliessungsplan "Tannenweg" der Gemeinde Obersiggenthal. Der Plan sieht eine Verbreiterung des bestehenden Fuss- und Velowegs von ca. 1-1.2 m auf 3.6 m vor, um eine Erschliessung des Tannenwegs zur Boldistrasse für den motorisierten Verkehr von Osten her zu ermöglichen. Diese Neuanbindung soll die bisherige Erschliessung von Westen über den Häfelerweg ablösen und tangiert die Parzelle des Beschwerdeführers, da insbesondere eine Thujahecke um etwa 1 Meter verschoben werden muss.
Der Beschwerdeführer erhob Einwendung, da der betroffene Bereich als Lebensraum für eine Population der Geburtshelferkröte dient, einer gefährdeten Amphibienart. Die Gemeinde Obersiggenthal und nachfolgend das Departement Bau, Verkehr und Umwelt (BVU) des Kantons Aargau sowie das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau wiesen die Beschwerden des Beschwerdeführers ab. Sie gingen dabei von einer höchstens minimalen Beeinträchtigung des Biotops aus und betonten das öffentliche Interesse an der direkten Erschliessung. Das Bundesgericht hatte zu prüfen, ob die Vorinstanzen das Ausmass der Beeinträchtigung des Biotops und die Interessenabwägung korrekt vorgenommen haben.
II. Rechtliche Grundlagen des BiotopschutzesDas Bundesgericht rekapituliert die massgebenden Bestimmungen des Natur- und Heimatschutzgesetzes (NHG) und der Natur- und Heimatschutzverordnung (NHV): * Art. 18 Abs. 1 NHG: Dem Aussterben einheimischer Tier- und Pflanzenarten ist durch die Erhaltung genügend grosser Lebensräume (Biotope) entgegenzuwirken. * Art. 18 Abs. 1bis NHG: Besonders geschützt sind Uferbereiche, Riedgebiete, Moore, seltene Waldgesellschaften, Hecken, Feldgehölze, Trockenrasen und weitere Standorte, die für den Naturhaushalt oder Lebensgemeinschaften wichtig sind. * Art. 18 Abs. 1ter NHG: Die Beeinträchtigung schutzwürdiger Lebensräume durch technische Eingriffe ist nur zulässig, wenn sie sich unter Abwägung aller Interessen nicht vermeiden lässt. * Art. 14 Abs. 6 NHV: Ein technischer Eingriff in schützenswerte Biotope darf nur bewilligt werden, sofern er standortgebunden ist und einem überwiegenden Bedürfnis entspricht. Eine umfassende Interessenabwägung ist erforderlich, wobei die Schutzwürdigkeit und weitere Aspekte (Art. 14 Abs. 6 lit. a-d NHV) zu berücksichtigen sind. * Art. 14 Abs. 7 NHV: Ist ein Eingriff zulässig, sind bestmögliche Schutz- und Wiederherstellungs- oder ansonsten angemessene Ersatzmassnahmen anzuordnen.
Das Bundesgericht betont, dass eine förmliche Unterschutzstellung des Biotops keine Voraussetzung für die Anwendung dieser bundesrechtlichen Bestimmungen ist (vgl. Urteile 1C_653/2019 vom 15. Dezember 2020 E. 3.6; 1C_25/2022 vom 12. September 2022 E. 5.2). Es handelt sich um einen direkt anwendbaren und zwingenden bundesrechtlichen Schutzauftrag.
Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass im Garten des Beschwerdeführers eine Population der Geburtshelferkröte vorkommt, die gemäss BAFU-Roter Liste als gefährdet gilt. Das BVU und die Vorinstanz haben den Garten mit Laichgewässer als schützenswertes Biotop im Sinne von Art. 18 Abs. 1bis NHG i.V.m. Art. 14 Abs. 3 lit. d NHV anerkannt, insbesondere aufgrund seiner Bedeutung für die regionale Vernetzung der Populationen (Art. 14 Abs. 3 lit. e NHV). Zum schutzwürdigen Biotop gehören neben dem Laichgewässer auch die Landlebensräume und die dazwischen liegenden Vernetzungskorridore (vgl. BGE 128 II 1 E. 3b).
III. Ausmass der Beeinträchtigung des Biotops und InteressenabwägungDer Beschwerdeführer rügte eine ungenügende Interessenabwägung der Vorinstanz. * Einschätzung der Vorinstanzen: Das Verwaltungsgericht ging von einer "minimalen Beeinträchtigung" des Vernetzungskorridors aus, während das BVU eine Beeinträchtigung sogar verneinte oder als "geringfügig" bezeichnete. Beide bejahten ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Erschliessung. * Kritik des Bundesgerichts: Die Beeinträchtigung schutzwürdiger Lebensräume setzt voraus, dass der drohende Verlust bekannt und das Ausmass der Beeinträchtigung abschätzbar ist (Urteil 1A.173/2001 E. 4.3).
Das Bundesgericht stützt sich massgeblich auf die fachliche Stellungnahme der kantonalen Abteilung Landschaft und Gewässer (ALG) sowie insbesondere auf die Vernehmlassung des Bundesamts für Umwelt (BAFU): * ALG-Stellungnahme: Der Vernetzungskorridor ist für die regionale Vernetzung der Geburtshelferkröte wichtig. Eine Zunahme des Verkehrsaufkommens erhöhe das Risiko für die Amphibien, die Strasse queren, was zu einer verschlechterten Vernetzung und erhöhter Isolation des Biotops führen könne. * BAFU-Vernehmlassung: Das BAFU beurteilte die geplante Verbreiterung und die damit einhergehende deutliche Zunahme des Verkehrsaufkommens (von ca. 20 auf bis zu 100 Fahrten pro Tag) als einen mehr als geringfügigen Eingriff in den Lebenszyklus der Geburtshelferkröte. Die Wanderbewegungen der brutpflegenden Männchen über den Tannenweg zu den Laichgewässern bergen das Risiko, dass nicht nur Einzeltiere, sondern ganze Generationen durch Überfahren ausgelöscht werden könnten. Dies sei für diese Art, die viel in die Brutpflege investiert und wenig Nachkommen hat, gravierend. Die Population auf der Parzelle Nr. 2199 sei als östlichstes Vorkommen regional von zentraler Bedeutung für die Ausbreitung der Art. Für Kleinpopulationen sei der Verlust schon eines Individuums schwerwiegend. * Schlussfolgerung des Bundesgerichts zur Beeinträchtigung: Das Bundesgericht schliesst sich den überzeugenden Ausführungen des BAFU an. Die Vorinstanzen haben die Auswirkungen der Erschliessung auf das Biotop und die Bedeutung des Vernetzungskorridors unterschätzt. Die Erschliessungsplanung hätte eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des Vernetzungskorridors zur Folge, wodurch die Lebensbedingungen der Kröte verschlechtert würden. Es ist unerheblich, dass es sich um indirekte Auswirkungen auf einen teilweise ausserhalb des Planungsperimeters liegenden Vernetzungskorridor handelt (vgl. Urteil 1C_528/2018 E. 5.2).
IV. Mangelhafte Variantenprüfung und umfassende InteressenabwägungDer Beschwerdeführer rügte weiter, dass die Bewertung der Erschliessungsvarianten rein nach technischen Kriterien und ohne gesamthafte Abwägung mit dem Biotopschutz erfolgt sei. Eine alternative Variante (Erschliessung über den Häfelerweg, Variante A1) sei ebenfalls als gut bewertet, beeinträchtige das Biotop aber nicht. * Anforderungen an die Variantenprüfung: Wenn eine Beeinträchtigung eines schutzwürdigen Biotops bejaht wird, muss geprüft werden, ob der Eingriff unter Abwägung aller Interessen vermeidbar ist (Art. 18 Abs. 1ter NHG). Es sind ernsthaft in Betracht fallende Alternativen (andere Standorte oder Streckenführungen) zu prüfen, die den Eingriff vermeiden oder verringern könnten (FAHRLÄNDER, NHG-Kommentar, N. 28 zu Art. 18 NHG; Urteil 1A.191/2003 E. 6). * Mängel im vorliegenden Fall: Der Planungsbericht der Gemeinde berücksichtigte den Biotopschutz nicht im Variantenvergleich. Zwar wurden nach der Einwendung des Beschwerdeführers Ausführungen zum Amphibienschutz eingefügt, die Gemeinde beschränkte sich aber darauf, mögliche Ausgleichsmassnahmen im Rahmen der gewählten Projektvariante in Aussicht zu stellen und deren Umsetzung dem konkreten Bauprojekt vorzubehalten. Der Gemeinderat hat seine favorisierte Variante als gegeben betrachtet und nicht geprüft, ob eine andere Erschliessung bei Berücksichtigung des Biotop- und Artenschutzes vorzuziehen wäre. * Schlussfolgerung des Bundesgerichts zur Variantenprüfung: Das Bundesgericht hält fest, dass keine ausführliche Variantenprüfung unter ausreichender Berücksichtigung des Naturschutzes stattgefunden hat. Die Vorinstanzen vermochten dieses Versäumnis nicht zu heilen. Es ist unklar, ob nicht eine verkehrstechnisch und wirtschaftlich vertretbare sowie mit dem Biotopschutz vereinbare Gesamtlösung gefunden werden könnte. Die Standortgebundenheit der gewählten Variante im Sinne von Art. 14 Abs. 6 NHV kann nicht abschliessend beurteilt werden. Das Bundesgericht verneint ein offensichtlich überwiegendes öffentliches Interesse an der gewählten Erschliessungsvariante in ihrer konkreten Ausgestaltung, da die Beeinträchtigung des Biotops nicht als minimal eingestuft werden kann.
V. Anforderungen an Schutz-, Wiederherstellungs- und ErsatzmassnahmenAus prozessökonomischen Gründen weist das Bundesgericht auf die Anforderungen an allfällige Schutz- oder Ersatzmassnahmen hin, sollten sich der Eingriff nach ergänztem Variantenvergleich als zulässig erweisen: * Pflicht zu Massnahmen: Wenn sich eine Beeinträchtigung als unvermeidbar erweist, muss der Verursacher für bestmöglichen Schutz, Wiederherstellung oder angemessenen Ersatz sorgen (Art. 18 Abs. 1ter NHG, Art. 14 Abs. 7 NHV). Diese Massnahmen sind zwingend anzuordnen (Urteil 1C_346/2014 E. 4.8). * Abgrenzung zum ökologischen Ausgleich: Diese Massnahmen sind nicht mit dem "ökologischen Ausgleich" (Art. 18b Abs. 2 NHG, Art. 15 NHV) zu verwechseln. Letzterer dient der Aufwertung von intensiv genutzten Gebieten und ist gebietsbezogen, nicht projektbezogen. Die Vorinstanz hat fehlbarer Weise ökologische Ausgleichsmassnahmen für ausreichend erachtet, obwohl hier eine nicht nur geringfügige Beeinträchtigung vorliegt. * Zeitpunkt der Anordnung: Schutz-, Wiederherstellungs- und Ersatzmassnahmen müssen bereits im Stadium des Sondernutzungsplans rechtsverbindlich festgelegt und ihre Umsetzung sichergestellt sein (Urteile 1C_317/2022 E. 6.2; 1C_401/2020 E. 7.1). Eine Verschiebung auf das Baubewilligungsverfahren ist unzulässig, da der Koordinationsgrundsatz (Art. 25a RPG) eine umfassende Interessenabwägung und den Ausschluss einer Verletzung des Biotop- und Artenschutzes bereits in der Nutzungsplanung verlangt. * Hierarchie der Massnahmen: Den Behörden steht bei der Auswahl ein Beurteilungsspielraum zu, sie haben aber eine Reihenfolge zu beachten: 1. Schutzmassnahmen: Ziel ist die bestmögliche Minderung des Eingriffs von Anfang an (z.B. Amphibienleitsysteme mit Tunneln, wie vom BAFU vorgeschlagen). Solche Massnahmen können die Interessenabwägung beeinflussen. 2. Wiederherstellung: Falls Schutz nicht möglich, muss das Schutzobjekt wiederhergestellt werden. 3. Ersatzmassnahmen: Kommen erst infrage, wenn Schutz und Wiederherstellung unzweckmässig sind. Sie dienen dem Ausgleich der ökologischen Qualität, nicht der Rechtfertigung des Eingriffs. Die Gesamtbilanz der Beeinträchtigungen und Massnahmen muss ausgeglichen sein (FAHRLÄNDER, NHG-Kommentar, N. 34 zu Art. 18 NHG).
VI. Fazit und EntscheidDas Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. Der angefochtene Entscheid des Verwaltungsgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Einwohnergemeinde Obersiggenthal zurückgewiesen. Die Gemeinde hat einen ergänzten Variantenvergleich durchzuführen und eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, die den Biotopschutz für die Geburtshelferkröte und die Bedeutung des Vernetzungskorridors adäquat berücksichtigt. Dabei ist ein strenger Massstab anzulegen, da eine Rote-Listen-Art betroffen ist. Sollte der Eingriff nach dieser erneuten Prüfung als zulässig erachtet werden, sind die notwendigen Schutz-, Wiederherstellungs- oder Ersatzmassnahmen bereits im Erschliessungsplan rechtsverbindlich festzulegen.
VII. Zusammenfassung der wesentlichen Punkte