Zusammenfassung von BGer-Urteil 4A_22/2025 vom 4. November 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichts 4A_22/2025 vom 4. November 2025

1. Parteien und Streitgegenstand

  • Rekurrent: A.__ (Hauptvermieter und Eigentümer einer Liegenschaft in Lausanne).
  • Intimierter: B.__ (Untermieter einer Dreizimmerwohnung in der Liegenschaft des Rekurrenten).
  • Weiterer Beteiligter: C._ (Verwalter der D._ SA, der Hauptmieterin, welche die Wohnung an B.__ untervermietet hatte und sich im Konkurs befindet).
  • Gegenstand: Begehren um Ausweisung nach dem Verfahren im "cas clair" (Art. 257 ZPO) bezüglich der vom Intimierten B.__ bewohnten Wohnung.

2. Sachverhalt und Prozessgeschichte

Der Rekurrent A._ ist Eigentümer einer Liegenschaft. Die D._ SA (Hauptmieterin), vertreten durch ihren einzigen Verwalter C._, hatte mit Vertrag vom 11. Mai 2021 eine Dreizimmerwohnung in dieser Liegenschaft für monatlich CHF 1'850 an den Intimierten B._ (Untermieter) untervermietet. Der Untermietvertrag war auf sechs Monate befristet und verlängerte sich automatisch, mit einer Kündigungsfrist von einem Monat.

Der Hauptvermieter A.__ beabsichtigte eine Renovation und Transformation der Liegenschaft und beantragte eine Baubewilligung. Das Auflageverfahren fand von Oktober bis November 2022 statt. Am 17. Mai 2023 übermittelte die kantonale Behörde die erforderlichen Sondergenehmigungen an die Stadt Lausanne für die Erteilung der Baubewilligung.

Am selben Tag, dem 17. Mai 2023, unterzeichneten der Hauptvermieter A._, C._ und die D._ SA eine Konvention. Darin wurde festgehalten, dass A._ die Liegenschaft kurzfristig "valorisieren" wollte und C._ bzw. die D._ SA deshalb neun Wohnungen gemietet hatten. Es sei der klare Wille der Parteien gewesen, dass die Mietverhältnisse befristet seien und die Untervermietungen ebenfalls zwingend befristet zu erfolgen hätten. Ursprünglich hätten die neun Hauptmietverträge am 31. März 2023 enden sollen. Nach einer von C.__ beantragten Verlängerung sei ein definitives und absolut unkündbares Enddatum auf den 30. Juni 2023 vereinbart worden.

Am 22. Mai 2023 kündigte C._ dem Untermieter B._ das Untermietverhältnis auf den 30. Juni 2023. Diese Kündigung erfolgte nicht mittels amtlichem Formular. Der Untermieter B.__ focht die Kündigung an.

Am 14. August 2023 stellte der Hauptvermieter A._ beim Tribunal des baux (Mietgericht) einen Antrag im «cas clair»-Verfahren auf Ausweisung von C._, der D._ SA und des Untermieters B._. C._ anerkannte die Klageforderungen vollumfänglich. Der Untermieter B._ beantragte die Unzulässigkeit bzw. Abweisung des Begehrens.

Das Mietgericht hiess das Begehren im «cas clair»-Verfahren gut und ordnete die sofortige Räumung der Wohnung an. Auf Berufung des Untermieters B.__ hin reformierte die Cour d'appel civile des Tribunal cantonal des Kantons Waadt dieses Urteil: Sie erklärte das Begehren im «cas clair»-Verfahren für unzulässig, da der Sachverhalt umstritten sei.

Dagegen erhob der Hauptvermieter A.__ Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht.

3. Rechtliche Problematik und Begründung des Bundesgerichts

3.1. Zulässigkeit des "Cas Clair"-Verfahrens (Art. 257 ZPO)

Das Bundesgericht prüft, ob die Vorinstanz Art. 257 ZPO korrekt angewendet hat. Das «cas clair»-Verfahren (Verfahren in klaren Fällen) ermöglicht eine rasche Entscheidung mit Rechtskraftwirkung und Vollstreckbarkeit, wenn die Sach- und Rechtslage unmissverständlich ist (E. 3.1.1; BGE 138 III 620 E. 5.1.1).

Die Voraussetzungen gemäss Art. 257 Abs. 1 ZPO sind: * (a) Der Sachverhalt ist unbestritten oder sofort beweisbar. * (b) Die Rechtslage ist klar.

Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, tritt das Gericht auf das Gesuch nicht ein (Art. 257 Abs. 3 ZPO). Eine Abweisung der Klage mit materieller Rechtskraftwirkung ist ausgeschlossen (E. 3.1.1; BGE 144 III 462 E. 3.1).

  • Sachverhalt nicht umstritten/sofort beweisbar: Ein Sachverhalt ist unbestritten, wenn er vom Beklagten nicht bestritten wird. Er ist sofort beweisbar, wenn die Tatsachen ohne Verzögerung und ohne grossen Aufwand, in der Regel durch Urkunden (Art. 254 Abs. 1 ZPO), festgestellt werden können. Es wird der volle Beweis verlangt, blosse Glaubhaftmachung genügt nicht.

    • Entscheidend ist hier: Erhebt der Beklagte substanziiert und schlüssig begründete Einwendungen oder Einreden, die nicht sofort entkräftet werden können und geeignet sind, die Überzeugung des Richters zu erschüttern, ist das «cas clair»-Verfahren unzulässig (E. 3.1.1; BGE 144 III 462 E. 3.1; BGE 141 III 23 E. 3.2; BGE 138 III 620 E. 5.1.1).
    • "Scheinverteidigungen" (offensichtlich zum Scheitern verurteilte Argumente) reichen hingegen nicht aus, um einen an sich klaren Sachverhalt unklar zu machen.
  • Rechtslage klar: Die Rechtslage ist klar, wenn die Anwendung der Norm auf den konkreten Fall aufgrund des Gesetzestextes oder einer bewährten Lehre und Rechtsprechung offensichtlich ist (E. 3.1.1; BGE 144 III 462 E. 3.1; BGE 138 III 123 E. 2.1.2). Ist richterliches Ermessen oder eine Billigkeitsentscheidung erforderlich, ist die Rechtslage in der Regel nicht klar.

3.2. Spezifische mietrechtliche Bestimmung (Art. 273b Abs. 2 OR)

Ein zentraler Punkt im vorliegenden Fall ist Art. 273b Abs. 2 OR: Dient die Untermiete hauptsächlich dazu, die Kündigungsschutzbestimmungen zu umgehen, so profitiert der Untermieter vom Kündigungsschutz (Art. 271a Abs. 1 lit. e OR und 273b Abs. 2 OR) unabhängig vom Hauptmietverhältnis. Wird das Hauptmietverhältnis gekündigt, tritt der Hauptvermieter in den Untermietvertrag ein.

3.3. Rolle von Art. 8 ZGB (Beweislast)

Das Bundesgericht prüft bei Rügen wegen Verletzung von Art. 8 ZGB, ob die Vorinstanz von einem richtigen Beweisgrad ausgegangen ist. Die Frage, ob der Beweisgrad in einem konkreten Fall erreicht ist, ist jedoch eine Frage der Beweiswürdigung, die das Bundesgericht nur auf Willkür hin überprüft (E. 3.1.3; BGE 130 III 321 E. 5). Ist das Gericht von einer Tatsache überzeugt, stellt sich die Frage der Beweislastverteilung nicht mehr.

4. Begründung der Vorinstanz und Überprüfung durch das Bundesgericht

Der Untermieter B._ hatte vor der ersten Instanz geltend gemacht, der Hauptvermieter und der Untervermieter (D._ SA/C._) hätten die Untermiete hauptsächlich dazu benutzt, die Kündigungsschutzbestimmungen zu umgehen, um die Wohnungen im Hinblick auf das Renovationsprojekt schnell räumen zu können. Er führte verschiedene Indizien an: * Langjährige Bekanntschaft zwischen Hauptvermieter und C._. * Kein schriftlicher Hauptmietvertrag. * Der Hauptvermieter habe kein amtliches Formular für die Mitteilung des Anfangsmietzinses verwendet. * Die Hauptmieterin D._ SA (bzw. C._) habe die Wohnungen nie selbst genutzt, sondern sei nur als Verwalterin aufgetreten. * Die Konvention vom 17. Mai 2023, die die Befristung der Hauptmietverträge bis zum 30. Juni 2023 festhielt, sei just am selben Tag unterzeichnet worden, an dem die kantonalen Baubewilligungsbehörden ihren Bericht an die Stadt Lausanne übermittelten.

Die kantonale Vorinstanz (Cour d'appel civile) gelangte im Gegensatz zur ersten Instanz zum Schluss, dass der Sachverhalt nicht klar sei, weil der Untermieter stichhaltige und schlüssige Einwände erhoben habe, die nicht sofort abgewiesen werden konnten. Sie stützte sich dabei auf mehrere Punkte (E. 3.2): * Unklare Aktivität der Hauptmieterin: Es sei unklar, welche tatsächliche Geschäftstätigkeit die Hauptmieterin D.__ SA im Zusammenhang mit den Wohnungen ausgeübt habe und ob sie daraus einen Gewinn erzielt habe. Die vertragliche Klausel, wonach die Wohnung "meublé à bien plaire" (nach Belieben möbliert) sei und "die mündlich bei der Besichtigung aufgezählten Möbel und Gegenstände" umfasse, sei vage und liess Zweifel an einer tatsächlichen Möblierung oder einem geschäftlichen Interesse der Hauptmieterin aufkommen. Ein solches Vorgehen könnte auf eine missbräuchliche Untermiete hindeuten. * Dauer der Hauptmietverträge: Es sei nicht eindeutig erwiesen, dass der mündlich abgeschlossene Hauptmietvertrag tatsächlich von Anfang an bis zum 31. März 2023 befristet war. Die Formulierung in der Konvention vom 17. Mai 2023, wonach die Verträge "im Geiste der Parteien" am 31. März 2023 endeten, deutete darauf hin, dass dies nicht ursprünglich ausdrücklich vereinbart worden war. * Abwesenheit von Befristungen in Untermietverträgen: Es gab keine Rechtfertigung dafür, warum die Untermietverträge nicht ebenfalls bis zum gleichen Datum befristet wurden, wenn die Hauptmietverträge befristet waren. * Fehlendes berechtigtes Interesse: Das genaue Interesse des Hauptvermieters und der Hauptmieterin, einen Mietvertrag mit dem Ziel der Untervermietung abzuschliessen, war nicht ersichtlich, da die Hauptmieterin die Räumlichkeiten selbst nie genutzt hatte. Es wurde weder nachgewiesen, dass die Hauptmieterin über spezifische Kunden für Kurzzeitmieten verfügte, noch dass der Hauptvermieter ein schützenswertes Interesse daran hatte, seine Wohnungen auf diese Weise zu untervermieten, noch dass die Hauptmieterin Kunden mit Notfall-Wohnbedarf hatte.

Die Vorinstanz folgerte, dass der Untermieter B.__ hinreichende Zweifel am Hauptzweck der Untermiete geweckt habe, nämlich der Umgehung der Kündigungsschutzbestimmungen. Seine Einwände seien begründet, schlüssig, nicht sofort entkräftbar und geeignet, die Überzeugung des Richters zu erschüttern; sie stellten keine blosse Scheinverteidigung dar. Daher sei das «cas clair»-Begehren unzulässig.

Das Bundesgericht bestätigte diese Einschätzung (E. 3.3). Es wies die Rüge des Rekurrenten zurück, die Vorinstanz habe sich auf nicht vorgebrachte oder nicht bewiesene Tatsachen gestützt. Die Vorinstanz habe ihre Überzeugung aus der Beweiswürdigung der vorliegenden Dokumente (u.a. die Konvention vom 17. Mai 2023 und der Bericht zur Baubewilligung vom selben Tag) gewonnen. Da die Vorinstanz zu ihrer Überzeugung gelangt sei, dass die Forderung des Klägers nach einer vertieften Prüfung der Argumente des Beklagten abgewiesen werden könnte, und die Einwände des Beklagten nicht als offensichtlich zum Scheitern verurteilt erschienen, sei die Überzeugung des Gerichts erschüttert gewesen. Das Begehren im «cas clair» sei daher zu Recht als unzulässig erklärt worden.

Die weiteren Rügen des Rekurrenten, die sich gegen die Beweiswürdigung der Vorinstanz richteten, ohne jedoch Willkür darzulegen, erachtete das Bundesgericht als unzulässig (Art. 106 Abs. 2 LTF).

5. Fazit des Bundesgerichts

Der Rekurs wurde, soweit er überhaupt zulässig war, abgewiesen. Da das Begehren des Klägers als unzulässig erklärt wurde, entfiel die Notwendigkeit, weitere geltend gemachte materielle Rechtsverletzungen zu prüfen.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

Das Bundesgericht hat im vorliegenden Fall entschieden, dass die Ausweisung eines Untermieters im «cas clair»-Verfahren (Art. 257 ZPO) unzulässig ist, wenn der Untermieter substanziiert und schlüssig geltend macht, die Haupt- und Untervermietung seien primär dazu erfolgt, die Mieterschutzbestimmungen zu umgehen (Art. 273b Abs. 2 OR). Die kantonale Vorinstanz hatte dies bejaht, da sie aufgrund verschiedener Indizien (wie die unklare Geschäftstätigkeit der Hauptmieterin, die zweifelhafte Befristung der Hauptmietverträge erst zum Zeitpunkt der Baubewilligungserteilung, und das fehlende schützenswerte Interesse der Parteien an der Konstruktion) die Überzeugung gewonnen hatte, dass der Sachverhalt nicht klar und die Einwände des Untermieters nicht sofort entkräftbar waren. Das Bundesgericht bestätigte diese Einschätzung und wies den Rekurs des Hauptvermieters ab, da die Vorinstanz die Kriterien des «cas clair» korrekt angewendet und die Beweiswürdigung nicht willkürlich vorgenommen hatte. Ein "cas clair" liegt nicht vor, wenn begründete Zweifel an der Legitimität der vertraglichen Vereinbarungen bestehen, die auf eine Umgehungsabsicht hindeuten.