Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.
Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts vom 4. November 2025 betrifft zwei Beschwerden in Zivilsachen (4A_620/2024 und 4A_622/2024), die gegen denselben Entscheid der Chambre civile de la Cour de justice des Kantons Genf gerichtet waren und deshalb vereinigt wurden. Es geht um die Arzthaftung im Rahmen eines Behandlungsvertrages (Mandat) infolge einer medizinischen Intervention, die zu schweren Hirnläsionen bei der Patientin führte. Die Beschwerdeführer sind die Erben des verstorbenen Anästhesisten A.A._ und der Chirurg F._. Die Beschwerdegegnerin ist die Patientin E.__. Das Bundesgericht hatte zu prüfen, ob die Voraussetzungen der vertraglichen Haftung erfüllt waren, insbesondere die Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht und der Regeln der ärztlichen Kunst, der Kausalzusammenhang sowie die korrekte Bezifferung und Berechnung des Schadens. Das Bundesgericht hat die Beschwerden, soweit sie zulässig waren, abgewiesen und damit die Verurteilung der Ärzte zur Zahlung von Schadenersatz bestätigt.
2. SachverhaltDie Patientin E._ litt unter chronischer arterieller Hypotonie und Thalassämie. Im Oktober 2005 wurde bei ihr ein persistierendes Foramen ovale (PFO) festgestellt. Im Mai 2006 unterzog sie sich einer Operation zum Verschluss des PFO sowie zur Behandlung eines Pneumothorax, durchgeführt vom Chirurgen F._ und dem Anästhesisten A.A.__. Entscheidend für den Fall war, dass während des Eingriffs keine intraoperative transösophageale Echokardiographie (TEE) durchgeführt wurde. Obwohl der Chirurg aussagte, er habe die Operation im "débordement"-Verfahren durchgeführt, um die linke Herzseite zu füllen und das Eindringen von Luft zu verhindern, wachte die Patientin nach der Operation nicht auf und zeigte neurologische Symptome, die auf Hirnischämie hindeuteten. Spätere Untersuchungen bestätigten schwere Hirnläsionen, die gemäss Experten auf Gasembolien zurückzuführen waren.
Mehrere Gutachten kamen zu ähnlichen Schlüssen: * J.__ (2006/2007): Betonte das Fehlen einer intraoperativen TEE. Die Patientin sei zu lange hypotensiv gewesen, was zusammen mit einer Anämie die Genesungsaussichten minderte. Die neurologischen Folgen seien direkt auf die medizinischen Handlungen zurückzuführen; ein embolisches Ereignis durch die Chirurgie und eine ungenügende Anästhesie (Hypotonie) hätten eine professionelle Fehlleistung dargestellt. * K.__ (2016): Bestätigte den Zusammenhang der Hirnläsionen mit den medizinischen Handlungen. Gasembolien seien wahrscheinlich. Hypotonie und perioperative Anämie seien korrigierbare Faktoren gewesen, die das Krankheitsbild verschlimmert haben könnten. Es sei überraschend gewesen, dass keine intraoperative TEE durchgeführt wurde. * CURML (2021): Das umfassende Gerichtsgutachten von fünf Co-Experten stellte fest, dass die Hirnläsionen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Gasembolien aus dem linken Herzen über das PFO zurückzuführen waren. Die Luft hätte nach dem Entklemmen der Aorta in den Kreislauf gelangen können. Zur Minimierung des Risikos von Gasembolien seien präventive Massnahmen (Trendelenburg-Lagerung, Aspiration des linken Ventrikels) und eine intraoperative TEE zur Luftkontrolle erforderlich. Die Entscheidung zur TEE liege beim Anästhesisten und Herzchirurgen. Internationale Richtlinien "schlugen dringend vor" (1996) und "machten obligatorisch" (2010) die TEE. Das CHUV habe diese Praxis bereits seit 1992 empfohlen. Das Gutachten kritisierte den Chirurgen, weil er keine TEE durchführen liess und somit keine Kontrolle über Restluft im linken Herzen hatte. Dem Anästhesisten wurde vorgeworfen, eine anhaltende Hypotonie und Hämodilution zugelassen zu haben, die eine aggressivere Behandlung erfordert hätten. Obwohl das Gutachten festhielt, dass 2006 die TEE "empfohlen und nicht obligatorisch" gewesen sei und daher "keine medizinische Fehlleistung oder Verletzung der Regeln der Kunst 'im engeren Sinne'" vorläge, betonte es, dass das medizinische Team "nicht alle vorhandenen Vorsichtsmassnahmen zur Vermeidung vorhersehbarer Komplikationen ergriffen" habe.
Die Patientin erlitt eine dauerhafte 100%ige Arbeitsunfähigkeit (Triparalyse, Rollstuhlpflichtigkeit) und konnte ihre frühere Tätigkeit nicht wieder aufnehmen.
3. ProzessgeschichteDie Patientin reichte 2015 eine Klage ein, in der sie Mindestbeträge für vergangenen und zukünftigen Erwerbsausfall sowie andere Schadensposten forderte. Die Bezifferung des Schadens erfolgte in der Klageschrift durch Verweis auf eine detaillierte Beilage ("Pièce n. 77") und die Forderung, die Beträge bis zum Urteilszeitpunkt neu zu bewerten. Nach dem CURML-Gutachten aktualisierte die Patientin in ihren Schlussvorträgen 2022 ihre Forderungen für den Erwerbsausfall basierend auf neuen Lohntabellen und Rentenbescheinigungen bis 2021. Das Tribunal de première instance verurteilte die Ärzte zur Zahlung von CHF 370'423.85 (Vergangenheit) und CHF 212'857.65 (Zukunft), zuzüglich 5% Zinsen auf den ersten Betrag ab 1. Dezember 2015. Die Cour de justice reformierte das Urteil und sprach der Patientin CHF 853'665.- (Vergangenheit) und CHF 510'438.- (Zukunft) zu, ebenfalls mit 5% Zinsen auf den ersten Betrag ab 1. Dezember 2015. Diese Entscheidung wurde von den Ärzten (bzw. den Erben des Anästhesisten) vor Bundesgericht angefochten.
4. Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts 4.1. Allgemeine Grundlagen der ArzthaftungDas Bundesgericht bestätigte, dass das Verhältnis zwischen Patientin und Ärzten als Mandatsvertrag (Art. 394 ff. OR) zu qualifizieren ist. Die Haftung des Arztes als Beauftragter unterliegt den gleichen Regeln wie die des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis (Art. 398 Abs. 1 OR in Verbindung mit Art. 321e Abs. 1 OR), die wiederum auf die allgemeine Vertragsverletzung nach Art. 97 OR verweisen. Die vier Voraussetzungen der Haftung sind: Vertragsverletzung, Verschulden, Schaden und Kausalzusammenhang (natürlich und adäquat).
Das Bundesgericht bekräftigte die Auffassung der Vorinstanz, dass die Ärzte ihre Sorgfaltspflicht und die Regeln der ärztlichen Kunst verletzt hatten. * Zur TEE: Die Vorinstanz durfte sich über die Schlussfolgerung des Gerichtsgutachtens hinwegsetzen, wonach keine Verletzung der Regeln der Kunst "im engeren Sinne" vorliege. Dies, da die "Regeln der Kunst" eine Rechtsfrage sind, deren Definition dem Richter obliegt (ATF 130 I 337 E. 5.4.1). Die faktischen Feststellungen der Experten, dass die TEE seit 1996 dringend empfohlen und seit 1992 in Spitälern wie dem CHUV praktiziert wurde, zeigten, dass sie zum Zeitpunkt der Operation (2006) den allgemein anerkannten und angewandten medizinischen Prinzipien entsprach. Die Ärzte verfügten über die notwendigen Kompetenzen und Ausrüstung (die Patientin hatte bereits vor der Operation eine TEE erhalten). Die Unterlassung der TEE, der einzigen Methode zur sicheren Kontrolle auf Restluft im Herzen, war angesichts des bekannten Embolierisikos als unhaltbar zu qualifizieren. Die Vorinstanz handelte somit nicht willkürlich, indem sie eine Verletzung der Regeln der ärztlichen Kunst bejahte. * Weitere Sorgfaltspflichtverletzungen: Zusätzlich zur TEE-Unterlassung hatte der Anästhesist die arterielle Hypotonie der Patientin während des Eingriffs nicht ausreichend behandelt und zeigte mangelnde Wachsamkeit. Die Hypotonie reduzierte den Schutz des Gehirns vor schweren Schädigungen. Der Chirurg wusste um das Embolierisiko und die Notwendigkeit der TEE als einziges Kontrollmittel. Die bewusste Nichtdurchführung war daher eine Verletzung der allgemeinen Sorgfaltspflicht. * Rüge der ungenügenden Sachverhaltsdarstellung (Art. 8 ZGB, Art. 55, 221 ZPO): Der Chirurg rügte, die Patientin habe nicht hinreichend dargelegt, welche Regeln der ärztlichen Kunst verletzt worden seien. Das Bundesgericht wies dies zurück. Die Patientin habe allgemeine berufliche Fehlleistungen und einen embolischen Unfall geltend gemacht. Die Expertise habe die genaue Natur der verletzten Regel der Kunst (TEE) lediglich präzisiert, was von einer Patientin nicht von vornherein erwartet werden könne.
4.2.2. VerschuldenDie Beschwerdeführer haben nicht bewiesen, dass sie kein Verschulden an den festgestellten Pflichtverletzungen trifft. Ihre Argumentation beschränkte sich darauf, die Existenz einer Pflichtverletzung zu bestreiten, was jedoch appellatorisch und unzulässig war, da sie auf einem vom kantonalen Gericht willkürfrei festgestellten Sachverhalt beruhte.
4.2.3. Schaden und dessen BezifferungDas Bundesgericht hat die Beschwerden der Erben des Anästhesisten und des Chirurgen abgewiesen.
Wesentliche Punkte des Urteils: 1. Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht: Die Ärzte haben die Regeln der ärztlichen Kunst verletzt, indem sie keine intraoperative transösophageale Echokardiographie (TEE) durchführten, obwohl diese zur Minimierung von Gasembolien empfohlen und die Kompetenz sowie Ausrüstung vorhanden waren. Die Unterlassung der TEE war angesichts der Risiken medizinisch unhaltbar. Zusätzlich hat der Anästhesist die arterielle Hypotonie der Patientin unzureichend behandelt. 2. Kausalzusammenhang: Der Kausalzusammenhang zwischen diesen Pflichtverletzungen und den schweren Hirnläsionen der Patientin wurde mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (hypothetische Kausalität) bejaht. Die TEE hätte die Luft detektiert und deren Entfernung ermöglicht, während die Hypotonie die Schwere der Schäden aggravierte. 3. Zulässigkeit der Schadensbezifferung: Die Klage wurde zu Recht als "nicht bezifferte Klage" gemäss Art. 85 ZPO behandelt. Die nachträgliche Bezifferung und Aktualisierung der Schadensposten (Erwerbsausfall) in den Schlussvorträgen, basierend auf neuen Lohntabellen und Rentenbescheinigungen, war zulässig und keine unzulässige Klageänderung. 4. Ausgleichsinteresse und Verjährung: Das Ausgleichsinteresse ist als Teil des Schadens geschuldet. Die Verjährung der gesamten Forderung wurde durch die Einreichung der nicht bezifferten Klage unterbrochen. 5. Bedeutung im Kontext: Das Urteil bekräftigt die hohen Anforderungen an die ärztliche Sorgfaltspflicht, insbesondere bei der Nutzung etablierter, risikominimierender Techniken, auch wenn diese noch nicht "obligatorisch" im strengsten Sinne in allen Richtlinien verankert sind. Es präzisiert zudem die Anwendbarkeit und die rechtlichen Konsequenzen der "nicht bezifferten Klage" im Schweizer Zivilprozessrecht, insbesondere in Bezug auf die Aktualisierung von Schadensberechnungen und die Verjährungsunterbrechung.