Zusammenfassung von BGer-Urteil 4A_49/2025 vom 12. November 2025

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Gerne fasse ich das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 4A_49/2025 vom 12. November 2025 detailliert zusammen.

Detaillierte Zusammenfassung des Bundesgerichtsurteils 4A_49/2025

1. Parteien und Streitgegenstand Die Beschwerdeführerin, A._ SA (Verkäuferin), und die Beschwerdegegnerin, B._ SA (Käuferin), schlossen einen Immobilienkaufvertrag über Stockwerkeinheiten. Streitgegenstand ist die Forderung der Käuferin auf Zahlung einer Konventionalstrafe von CHF 250'000 wegen behaupteter Nichterfüllung des Vertrages durch die Verkäuferin. Das Bundesgericht hatte zu prüfen, ob die Verkäuferin zu Recht zur Zahlung dieser Konventionalstrafe verurteilt wurde.

2. Sachverhalt und Verfahrensgang

  • Vertragsabschluss und wesentliche Bedingungen: Mit notarieller Urkunde vom 22. August 2019 verkaufte die A._ SA an die B._ SA Stockwerkeinheiten. Wesentlicher Bestandteil des Vertrages war die Verpflichtung der Verkäuferin, das Gebäude, in dem sich die Einheiten befanden, gemäss einer separaten Baubeschreibung vollständig zu renovieren. Der Kaufpreis betrug CHF 5'650'000. Der Restbetrag von CHF 5'400'000 war am Tag des Antritts des Gebrauchs (entrée en jouissance) fällig, der spätestens am 30. Juni 2020 erfolgen sollte. Eine Konventionalstrafe von CHF 250'000 wurde für den Fall vereinbart, dass eine der Parteien bis zum 30. Juni 2020 den Vertrag nicht oder nicht fristgerecht erfüllt. Zudem enthielt der Vertrag eine aufschiebende Bedingung, wonach die Restzahlung des Kaufpreises am Tag des Antritts des Gebrauchs zu erfolgen hatte.
  • Verzug und Fristverschiebung: Die ursprünglich vereinbarte Frist konnte aufgrund der Covid-19-Pandemie nicht eingehalten werden. Mit notarieller Urkunde vom 11. Juni 2020 wurde der Termin für die Erfüllung der Leistungen (Antritt des Gebrauchs und Zahlung des Kaufpreissaldos) sowie für die Konventionalstrafe auf den 30. September 2020 verschoben.
  • Kommunikation vor dem Stichtag:
    • Am 23. September 2020 teilte die Verkäuferin der Käuferin per E-Mail mit, dass diverse Installationen (Behindertenrampe, Inbetriebnahme Lift, Heizungsanschluss, Elektroverteilung, Balkongeländerkontrolle) zwischen dem 2. und 20. Oktober fertiggestellt sein würden und "alle Wohnungen ausser dem Attikageschoss" bis zum 12. Oktober. Sie schlug die Schlüsselübergabe für den 28. Oktober vor.
    • Die Käuferin reagierte am 25. September 2020, indem sie vom Notar eine Nichterfüllungsfeststellung (constat de carence) verlangte, da die Verkäuferin die Arbeiten bis zum 30. September 2020 nicht abgeschlossen hatte. Sie forderte die Konventionalstrafe und setzte eine ultimative Nachfrist bis zum 31. Oktober 2020 für die Fertigstellung der Arbeiten und den regulären Antritt des Gebrauchs.
    • Am 29. September 2020 behauptete die Verkäuferin, die Arbeiten seien zu 95 % abgeschlossen.
    • Am 30. September 2020 erklärte die Käuferin die Verkäuferin in Verzug (demeure), da eine reguläre Übergabe der Liegenschaft nach Abschluss aller Arbeiten nicht möglich gewesen sei. Sie stellte klar, dass die Zahlung des Restpreises aufgrund des der Verkäuferin anzulastenden Verzugs nicht möglich sei und forderte erneut die Konventionalstrafe. Sie legte dem Notar Bankbestätigungen vor, die ihre Zahlungsfähigkeit belegen sollten.
  • Rolle des Notars und Vertragsaufhebung:
    • Am 2. Oktober 2020 erklärte der Notar, es sei nicht seine Aufgabe, den Abschluss der Arbeiten zu bestätigen, und er befinde sich in einem Interessenkonflikt. Er bestätigte, keine Zahlung der Käuferin erhalten zu haben.
    • Ebenfalls am 2. Oktober 2020 teilte die Verkäuferin der Käuferin mit, sie sei seit dem 29. September zur Schlüsselübergabe bereit gewesen. Sie vertrat die Ansicht, der Antritt des Gebrauchs sei nicht an den vollständigen Abschluss der Renovationsarbeiten gebunden. Angesichts der "sehr unangenehmen Wendung" der Ereignisse und der Nichteinhaltung der aufschiebenden Bedingung (Zahlung durch die Käuferin) erklärte sie den endgültigen Rücktritt vom Kaufvertrag und bot die Rückerstattung des bereits geleisteten Akontos an.
    • Am 7. Oktober 2020 forderte die Käuferin den Notar auf, das Akonto zurückzuerstatten, wobei sie sich alle weiteren Ansprüche gegen die Verkäuferin vorbehielt.
    • Am 12. Oktober 2020 wurde von der Verkäuferin eine notarielle Urkunde über die "einseitige Aufhebung des Immobilienkaufvertrags" erstellt, und das Akonto von CHF 250'000 wurde der Käuferin zurückerstattet.
    • Die Käuferin bestritt die Gültigkeit dieser einseitigen Aufhebung und forderte die Konventionalstrafe sowie Schadenersatz für das positive Vertragsinteresse.

3. Entscheid der Vorinstanzen

  • Die Chambre patrimoniale du canton de Vaud verurteilte die Verkäuferin zur Zahlung der Konventionalstrafe von CHF 250'000 zuzüglich Zinsen. Sie stellte fest, dass die Verkäuferin ihre vertragliche Pflicht, ein vollständig renoviertes Gebäude fristgerecht zu übergeben, nicht erfüllt hatte. Die anderen Forderungen der Käuferin (Schadenersatz für positives Vertragsinteresse, Honorare) wurden mangels ausreichenden Beweises oder Kausalzusammenhangs abgewiesen. Die Widerklage der Verkäuferin auf Zahlung der Konventionalstrafe durch die Käuferin wurde ebenfalls abgewiesen.
  • Die Cour d'appel civile du Tribunal cantonal vaudois wies sowohl die Berufung der Verkäuferin als auch die der Käuferin ab und bestätigte somit das erstinstanzliche Urteil.

4. Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüfte die drei von der Verkäuferin vorgebrachten Rügen einer Verletzung des Bundesrechts.

  • Nicht angefochtene kantonale Feststellungen: Das Bundesgericht hielt fest, dass die kantonale Instanz, gestützt auf eine subjektive Vertragsauslegung, festgestellt hatte, dass die Parteien vereinbart hatten, die Renovationsarbeiten des Gebäudes müssten bis zum vereinbarten Termin (30. September 2020) vollständig abgeschlossen sein. Die Lieferung eines vollständig renovierten Werkes bildete demnach eine Voraussetzung für den Antritt des Gebrauchs durch die Käuferin. Die Verkäuferin hatte sich verpflichtet, ein vollständig renoviertes Objekt zu übergeben (tatsächliche Sachherrschaft zu übertragen), während die Käuferin im Gegenzug die Pflicht zur Zahlung am Tag des Antritts des Gebrauchs übernommen hatte. Die kantonale Instanz stellte weiter fest, dass die Renovierung am 30. September 2020 nicht abgeschlossen war. Daher sei die Verkäuferin ihrer Lieferpflicht nicht nachgekommen und schulde die Konventionalstrafe. Diese Feststellungen waren im bundesgerichtlichen Verfahren unbestritten geblieben.

  • Rüge 1: Willkürliche Beweiswürdigung (Art. 9 BV i.V.m. Art. 97 Abs. 1 LTF)

    • Argument der Beschwerdeführerin: Die Verkäuferin behauptete, die Arbeiten seien am 30. September 2020 zu 95 % abgeschlossen gewesen, was einen Antritt des Gebrauchs ermöglicht hätte. Die Feststellung der Vorinstanz, die Arbeiten seien nicht termingerecht abgeschlossen worden, sei willkürlich.
    • Beurteilung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht wies dieses Vorbringen zurück. Es fehle an jeglichem Nachweis für die Behauptung eines 95 %igen Abschlusses. Selbst wenn dieser Prozentsatz zuträfe, würde dies bedeuten, dass die Arbeiten eben nicht abgeschlossen waren, eine Schlussfolgerung, die auch die kantonale Instanz gezogen habe. Die Verkäuferin habe nicht dargelegt, inwiefern unvollendete Arbeiten den Antritt des Gebrauchs dennoch ermöglicht hätten. Ein solches Parteivorbringen wurde weder in den Vorinstanzen erhoben noch bewiesen. Die Rüge der willkürlichen Beweiswürdigung wurde daher als unbegründet abgewiesen.
  • Rüge 2: Verletzung von Art. 82 OR (Einrede des nicht erfüllten Vertrages)

    • Argument der Beschwerdeführerin: Die Verkäuferin machte geltend, es habe genügt, ihre Leistung ernsthaft anzubieten, indem sie die Sache dem Käufer zur Verfügung stellte. Die Käuferin habe ihrerseits die Zahlung nicht geleistet.
    • Beurteilung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht erläuterte, dass gemäss Art. 82 OR derjenige, der die Erfüllung eines zweiseitigen Vertrages verfolgt, seine eigene Leistung erbracht oder angeboten haben muss, es sei denn, er sei aufgrund der Vertragsbestimmungen oder der Natur des Vertrages im Genuss eines Termins. Unter "Erfüllung" sei die perfekte Erfüllung zu verstehen, d.h. die Leistung muss ihrem Gegenstand nach der geschuldeten Leistung entsprechen.
    • Im vorliegenden Fall habe die Verkäuferin zwar angeboten, die Eigentumsanteile zu übertragen, jedoch gleichzeitig darauf hingewiesen, dass die Renovationsarbeiten noch nicht abgeschlossen seien und eine Schlüsselübergabe erst einen Monat später (28. Oktober) möglich sei. Die Verkäuferin habe somit offenbart, dass sie am vereinbarten Termin nicht zur vollständigen Leistungserbringung in der Lage war. Sie könne der Käuferin daher nicht vorwerfen, den Preis für eine Sache nicht gezahlt zu haben, die sie gemäss eigener Aussage nicht vertragsgemäss liefern konnte.
    • Der von der Verkäuferin zitierte Entscheid 5A_367/2021 des Bundesgerichts sei irrelevant, da dort lediglich festgehalten wurde, dass der Verkäufer seine Leistung nicht vor dem Käufer erbringen müsse, um den Preis fällig zu stellen; es genüge, wenn er seine Leistung anbiete, d.h. er müsse über die Sache verfügen und sie Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises dem Käufer übergeben können. Im vorliegenden Fall fehlte es jedoch an einem solchen mängelfreien Leistungsangebot. Die Rüge wurde ebenfalls abgewiesen.
  • Rüge 3: Verletzung von Art. 163 OR (Konventionalstrafe in Verbindung mit Covid-19)

    • Argument der Beschwerdeführerin: Subsidiär berief sich die Verkäuferin auf Art. 163 OR und machte geltend, die Auswirkungen von Covid-19 und die "Störungen der Lieferketten" seien notorische Tatsachen. Die Vorinstanz habe diese "wirtschaftlichen und administrativen Realitäten einer beispiellosen Gesundheitskrise" verkannt, indem sie feststellte, diese Elemente seien nicht ausreichend bewiesen worden. Sie sei aufgrund der Pandemie an der Erfüllung ihrer Pflichten gehindert gewesen (Anlehnung an eine objektive Unmöglichkeit oder höhere Gewalt).
    • Beurteilung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht stellte fest, dass die kantonale Instanz auf diese Rüge nicht eingetreten war, weil sie ungenügend begründet gewesen sei. Die Verkäuferin hatte keine stichhaltige Kritik an der Begründung der Vorinstanz vorgebracht, wonach sie die ihr auferlegten Beschränkungen und Lieferverzögerungen hätte beweisen müssen und nicht dargelegt hatte, warum die spezifischen Folgen der Pandemie auf die Baustelle notorische Tatsachen darstellen sollten. Das Problem lag somit in der ungenügenden Motivation der Rüge vor der kantonalen Instanz und nicht in der materiellen Frage des Beweises oder der Notorität der Pandemiefolgen. Da die Verkäuferin dies im Bundesgerichtsverfahren nicht bestritt, wurde auch diese Rüge abgewiesen.

5. Fazit des Bundesgerichts Das Bundesgericht wies die Beschwerde der A.__ SA ab.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
  1. Vertragliche Hauptpflicht: Der Kaufvertrag über Stockwerkeinheiten sah die vollständige Renovierung durch die Verkäuferin als Voraussetzung für den Antritt des Gebrauchs und die Kaufpreiszahlung vor.
  2. Nichterfüllung durch Verkäuferin: Die Verkäuferin konnte die vollständige Renovierung bis zum verlängerten Stichtag (30. September 2020) nicht abschliessen. Ihr eigenes Angebot zur Schlüsselübergabe deutete auf unvollständige Arbeiten hin.
  3. Kein Zahlungsverzug der Käuferin: Die Käuferin geriet nicht in Zahlungsverzug, da die Verkäuferin gemäss Art. 82 OR keine perfekte und vollständige Leistung zum vereinbarten Zeitpunkt anbieten konnte. Die Käuferin war daher berechtigt, die Zahlung zu verweigern.
  4. Konventionalstrafe geschuldet: Da die Verkäuferin ihre Hauptpflicht zur Lieferung eines vollständig renovierten Objekts nicht erfüllte, ist sie der Käuferin die vertraglich vereinbarte Konventionalstrafe von CHF 250'000 schuldig.
  5. Covid-19-Argument erfolglos: Das Vorbringen der Verkäuferin bezüglich Covid-19-bedingter Verzögerungen wurde vom Bundesgericht nicht materiell geprüft, da es bereits vor der Vorinstanz ungenügend begründet worden war.