Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:
Bundesgerichtsurteil 4A_346/2025 und 4A_356/2025 vom 27. November 2025
I. Einleitung und Parteien
Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts behandelt zwei verbundene Beschwerden in Zivilsachen (4A_346/2025 und 4A_356/2025) betreffend einen Mietvertrag. Parteien sind die Vermieterin A._ AG (Beschwerdeführerin in 4A_346/2025, Beschwerdegegnerin in 4A_356/2025), die Mieterin B._ Sàrl (Beschwerdeführerin in 4A_356/2025, Beschwerdegegnerin in 4A_346/2025) und die als "Co-Schuldner, solidarische Kaution" bezeichnete C.__ SA (Beschwerdegegnerin in 4A_346/2025).
Der Streit dreht sich um ausstehende Mietzinse und Nebenkosten in der Höhe von CHF 174'646.70. Im Rahmen der Streitigkeiten wurden mehrere Rechtsfragen aufgeworfen: die Qualifikation der Haftung der C.__ SA (kumulative Schuldübernahme vs. solidarische Kaution), ein Anspruch der Mieterin auf Mehrwertentschädigung für Umbauten, die Anwendbarkeit der "clausula rebus sic stantibus" aufgrund der Covid-19-Pandemie sowie die Beweislastverteilung bei der Bestreitung von Nebenkostenabrechnungen.
Die Vorinstanz, die Chambre des baux et loyers de la Cour de justice des Kantons Genf, hatte entschieden, dass lediglich die Mieterin B._ Sàrl zur Zahlung der ausstehenden Forderung verpflichtet sei und die Widerklage der Mieterin abgewiesen. Die A._ AG verlangte vor Bundesgericht die Solidarhaftung auch der C._ SA, während die B._ Sàrl die vollständige Abweisung der Hauptklage und die Gutheissung ihrer Widerklage forderte.
II. Erwägungen des Bundesgerichts
Das Bundesgericht prüfte die Beschwerden unter freier Anwendung des Bundesrechts (Art. 95 lit. a LTF, Art. 106 Abs. 1 LTF) und stützte sich auf den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt (Art. 105 Abs. 1 LTF).
1. Zur Haftung der C.__ SA (Kumulative Schuldübernahme vs. Solidarische Kaution)
Die zentrale Frage in der Beschwerde der A._ AG war, ob die C._ SA als solidarische Schuldnerin (kumulative Schuldübernahme) oder als Bürgin (Kaution) qualifiziert werden sollte. Die Qualifikation ist entscheidend, da das Bürgschaftsrecht strenge Formvorschriften vorsieht (Art. 493 Abs. 1 OR), die bei der kumulativen Schuldübernahme fehlen.
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Abgrenzungskriterien: Das Bundesgericht rekapitulierte die Abgrenzung: Bei der Bürgschaft (Kaution) entsteht eine akzessorische, vom Hauptengagement unabhängige Verpflichtung, die primär die Solvenz des Hauptschuldners sichert. Typischerweise fehlt dem Bürgen ein eigenes, erkennbares Interesse am Grundgeschäft, oft handelt es sich um eine unentgeltliche Absicherung von Verwandten oder engen Freunden (ATF 129 III 702 E. 2.6). Die kumulative Schuldübernahme hingegen begründet eine eigenständige, direkte und solidarische Haftung des Übernehmers neben dem ursprünglichen Schuldner. Der Übernehmer hat in der Regel ein eigenes, direktes und materielles Interesse am Geschäft, aus dem er einen konkreten Vorteil zieht (ATF 129 III 702 E. 2.6).
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Auslegung des Vertrags:
- Subjektive Auslegung: Die Vorinstanz stellte fest, dass die reale und gemeinsame Absicht der Parteien nicht ermittelt werden konnte. Der Vertrag verwendete widersprüchliche Begriffe wie "co-débiteur solidaire" (was eher auf eine Schuldübernahme hindeutet) und "co-débiteur, caution solidaire" (was eine Bürgschaft andeutet). Das Bundesgericht bestätigte, dass die Beweise keine eindeutige subjektive Übereinstimmung der Parteien hinsichtlich des Sicherungstyps zuliessen.
- Objektive Auslegung (Vertrauensprinzip):
- Berücksichtigung der Parteierfahrung: Das Bundesgericht präzisierte, dass die Annahme der Vorinstanz, wonach im Zweifel die Bürgschaft wegen ihrer Schutzbestimmungen zu favorisieren sei, bei geschäftserfahrenen Parteien nicht gelte (ATF 129 III 702 E. 2.5). Hier waren die Parteien als geschäftserfahren anzusehen, insbesondere die A._ AG und die frühere Vermieterin. Auch der Geschäftsführer der B._ Sàrl und C.__ SA wies durch seine Beteiligung an einer Garantiegesellschaft eine gewisse Erfahrung auf. Die widersprüchliche Terminologie im Vertrag verhinderte jedoch eine rein wörtliche Auslegung.
- Fehlendes Eigeninteresse der C.__ SA: Das entscheidende Kriterium für das Bundesgericht war das Fehlen eines direkten, materiellen Eigeninteresses der C._ SA am Mietverhältnis der B._ Sàrl. Obwohl beide Gesellschaften zum selben "F._"-Fitnessgruppen gehören und vom selben Geschäftsführer geleitet werden, sind sie rechtlich eigenständige Entitäten mit separaten Geschäftstätigkeiten an unterschiedlichen Standorten. Es wurde nicht dargelegt, dass C._ SA einen konkreten Vorteil aus dem Mietvertrag der B._ Sàrl gezogen hätte. Das Zugehören zu einer Gruppe oder die gleiche Geschäftsführung genügt nicht, um ein direktes und materielles Eigeninteresse der C._ SA an der konkreten Miete der B._ Sàrl zu begründen. Ein solches Arrangement deutet vielmehr auf eine unentgeltliche Absicherung hin, die typisch für eine Bürgschaft ist. Die A._ AG konnte nicht gutgläubig davon ausgehen, dass C.__ SA ein direktes Eigeninteresse hatte.
- Formmangel der Bürgschaft: Da das Bundesgericht die Sicherheit als solidarische Kaution qualifizierte und diese die Formvorschriften von Art. 493 Abs. 1 OR (schriftliche Erklärung und numerische Angabe des Höchstbetrags) nicht erfüllte, war sie ungültig.
- Fazit: Das Bundesgericht bestätigte die Qualifikation der Vorinstanz als solidarische Kaution und somit die fehlende Haftung der C.__ SA aufgrund des Formmangels. Das Bundesgericht hielt fest, dass die Vorinstanz die Regeln der Vertragsauslegung nicht verkannt hat. Die Frage eines genuesischen "numerus clausus" für Garantien im Mietrecht (Art. 257e Abs. 4 OR) brauchte nicht mehr entschieden zu werden.
2. Zur Forderung nach Mehrwertentschädigung (Art. 260a Abs. 3 OR)
Die Mieterin B.__ Sàrl verlangte eine Entschädigung für die in den Räumlichkeiten vorgenommenen Fitness-Installationen, die angeblich einen Mehrwert darstellten.
- Rechtliche Grundlagen: Gemäss Art. 260a Abs. 3 OR kann der Mieter eine Entschädigung für einen erheblichen Mehrwert verlangen, der aus vom Vermieter genehmigten Erneuerungen oder Änderungen resultiert und die vom Mieter finanziert wurden. Diese Bestimmung ist dispositiver Natur.
- Würdigung: Es war unbestritten, dass die Fitness-Installationen vom ehemaligen Eigentümer vor Mietbeginn finanziert und ausgeführt worden waren, nicht von der B.__ Sàrl. Die Mieterin hatte somit keine eigenen Kosten getragen oder die Arbeiten durchgeführt.
- Auslegung der Vertragsklausel 2.c: Diese Klausel besagte, dass "alle festen Einrichtungen, die vom Mieter oder Vermieter in den Räumlichkeiten vorgenommen wurden, dem Mieter gehören. Letzterer hat das Recht, sie an Dritte abzutreten." Das Bundesgericht bestätigte die objektive Auslegung der Vorinstanz, wonach diese Klausel dem Mieter das Nutzungs- und Abtretungsrecht während des Mietverhältnisses zusprach, nicht aber einen Anspruch auf Entschädigung für vom Vermieter finanzierte und erstellte Einrichtungen am Ende des Mietverhältnisses. Eine solche Auslegung entspräche keiner vernünftigen kaufmännischen Logik. Der Vorteil für die Mieterin bestand darin, die kostenlosen Einrichtungen nutzen zu können. Eine separate Klausel 2.d für das Ende des Mietverhältnisses enthielt keine Bestimmungen über Mehrwertentschädigung.
- Fazit: Der Anspruch der B.__ Sàrl auf Mehrwertentschädigung wurde abgewiesen, da sie selbst keine Kosten für die wertvermehrenden Investitionen getragen hatte und die Vertragsklausel keine solche Entschädigung vorsah.
3. Zur Geltendmachung der "Clausula rebus sic stantibus" (Unvorhersehbarkeit)
Die Mieterin B.__ Sàrl machte geltend, die obligatorischen Schliessungen aufgrund der Covid-19-Pandemie hätten eine unvorhersehbare und schwerwiegende Änderung der Umstände dargestellt, die eine Vertragsanpassung rechtfertige.
- Rechtliche Grundlagen: Der Grundsatz "pacta sunt servanda" gilt, aber die "clausula rebus sic stantibus" erlaubt ausnahmsweise eine gerichtliche Vertragsanpassung. Vorausgesetzt sind: 1) eine unvorhersehbare und unverschuldete Änderung der Verhältnisse seit Vertragsschluss und 2) ein daraus resultierendes schwerwiegendes Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung, das die Fortführung des Vertrags unzumutbar macht (ATF 135 III 1 E. 2.4; 4A_158/2024 E. 8.1).
- Würdigung:
- Unvorhersehbarkeit: Das Bundesgericht stimmte der Vorinstanz zu, dass die Pandemie bei Vertragsschluss im Jahr 2015 unvorhersehbar war.
- Kein schwerwiegendes Ungleichgewicht: Die Vorinstanz hatte jedoch festgestellt, dass kein schwerwiegendes Ungleichgewicht der Leistungen vorlag. Sie wies darauf hin, dass die B.__ Sàrl bereits vor der Pandemie (zwischen 2015 und 2017 durchschnittlich 80'000 CHF Verlust, 2018 55'000 CHF Defizit) erhebliche Verluste verzeichnete. Die Verluste während der Pandemie (28'000 CHF in 2020 und 84'000 CHF in 2021) stellten im Vergleich dazu kein eindeutiges vertragliches Ungleichgewicht dar. Die Mieterin hatte zudem die behaupteten Verluste und deren Kausalzusammenhang mit den Schliessungen nicht hinreichend bewiesen.
- Berücksichtigung staatlicher Hilfen: Das Bundesgericht bekräftigte, dass staatliche Finanzhilfen (Kurzarbeitsentschädigungen, Überbrückungskredite, kantonale Hilfen) bei der Beurteilung des Ungleichgewichts zu berücksichtigen sind (4A_158/2024 E. 8.3.1).
- Vertragszweck: Die Klausel zur "destination des locaux" im Mietvertrag bezog sich lediglich auf die Nutzung der Räumlichkeiten und garantierte nicht die Geschäftstätigkeit oder Öffnung des Fitnesszentrums.
- Fazit: Das Bundesgericht bestätigte die Abweisung der Geltendmachung der "clausula rebus sic stantibus" durch die Vorinstanz, da die Mieterin das Kriterium des schwerwiegenden Ungleichgewichts nicht erfüllen konnte, insbesondere angesichts ihrer bereits vor der Pandemie bestehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und der erhaltenen staatlichen Hilfen.
4. Zu den Nebenkostenabrechnungen (Art. 257a OR und Art. 8 VMWG)
Die Mieterin rügte eine Verletzung von Art. 257a Abs. 1 OR und Art. 8 ZGB (gemeint war wohl Art. 8 ZPO oder Art. 8 VMWG) und argumentierte, die Beweislast für die Richtigkeit der Nebenkostenabrechnungen für 2019 und 2020 liege bei der Vermieterin.
- Rechtliche Grundlagen: Im Zivilprozess gilt die Verhandlungsmaxime (Art. 55 Abs. 1 ZPO). Parteien müssen Sachverhalte substanziiert vorbringen und, falls bestritten, beweisen. Eine pauschale Bestreitung genügt nicht; bei detaillierten Rechnungen muss der Beklagte präzise angeben, welche Positionen bestritten werden (ATF 144 III 519 E. 5.2.2.3). Der Mieter hat zudem das Recht, die Belege einzusehen (Art. 8 VMWG) und die Abrechnung innert angemessener Frist zu prüfen.
- Würdigung: Die Nebenkostenabrechnungen für 2019 (März 2020) und 2020 (April 2021) wurden der Mieterin zugestellt. Es wurde nicht festgestellt, dass die Mieterin diese Abrechnungen innerhalb einer angemessenen Frist nach Erhalt bestritten hätte. Die Bestreitung erfolgte erst im Rahmen ihrer Klageantwort vor dem erstinstanzlichen Gericht im August 2022.
- Implizite Anerkennung und Beweislastumkehr: Das Bundesgericht schloss, dass die Mieterin die Abrechnungen implizit anerkannt hatte, indem sie diese nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach Erhalt bestritt. Eine solche implizite Anerkennung schliesst zwar spätere Korrekturen nicht aus, führt aber dazu, dass die Beweislast für die Unrichtigkeit der Abrechnungen auf die Partei übergeht, die diese bestreiten will, also auf die Mieterin (Urteil 4A_606/2015 E. 5.1). Da die Mieterin ihre Rügen auf der falschen Annahme aufbaute, die Beweislast liege bei der Vermieterin, waren ihre Einwände unbegründet.
- Fazit: Die Vorinstanz hat die Beweislastverteilung korrekt angewendet. Die Mieterin konnte die ihr obliegende Beweislast zur Unrichtigkeit der Nebenkostenabrechnungen nicht erfüllen.
III. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte
Das Bundesgericht hat die beiden Beschwerden abgewiesen und die erstinstanzliche Verurteilung der Mieterin B.__ Sàrl zur Zahlung der ausstehenden Mietzinse und Nebenkosten bestätigt. Die wichtigsten Punkte sind:
- Haftung der C.__ SA: Die C._ SA wurde als Bürgin (Kaution) und nicht als solidarische Schuldnerin (kumulative Schuldübernahme) qualifiziert, da sie kein direktes, materielles Eigeninteresse am Mietverhältnis der B._ Sàrl nachweisen konnte. Aufgrund fehlender Formvorschriften (Art. 493 Abs. 1 OR) war die Bürgschaft ungültig, und C.__ SA haftet nicht.
- Mehrwertentschädigung: Der Anspruch der Mieterin auf Mehrwertentschädigung für Fitness-Installationen wurde abgewiesen, da die Mieterin diese nicht selbst finanziert oder ausgeführt hatte und die vertragliche Klausel kein Recht auf Entschädigung am Mietende, sondern nur ein Nutzungs- und Abtretungsrecht während der Mietdauer vorsah.
- Clausula rebus sic stantibus: Die Geltendmachung der "clausula rebus sic stantibus" wegen der Covid-19-Pandemie wurde abgelehnt. Die Pandemie war zwar unvorhersehbar, es konnte jedoch kein schwerwiegendes Ungleichgewicht zwischen den Leistungen nachgewiesen werden, da die Mieterin bereits vor der Pandemie erhebliche Verluste verzeichnete und staatliche Hilfen erhielt.
- Nebenkostenabrechnungen: Die Mieterin konnte die Nebenkostenabrechnungen nicht erfolgreich bestreiten. Durch das Ausbleiben einer fristgerechten Bestreitung nach Erhalt der Abrechnungen galten diese als implizit anerkannt, wodurch die Beweislast für ihre Unrichtigkeit auf die Mieterin überging, die diese nicht erfüllen konnte.