Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 9C_54/2025 vom 19. November 2025
1. Einleitung und Streitgegenstand
Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts betrifft die Beschwerde von A.A._ und B.A._ (Beschwerdeführer) gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 3. Dezember 2024. Im Zentrum des Verfahrens steht die steuerrechtliche Qualifikation von Beteiligungen des Beschwerdeführers an der C._ AG und der D._ AG – konkret die Frage, ob diese zum Privatvermögen oder zum Geschäftsvermögen seiner selbständigen Anwaltstätigkeit gehören. Die steuerliche Einordnung beeinflusst massgeblich, ob Kapitalgewinne und Dividenden der Einkommenssteuer unterliegen.
2. Prozessuale Aspekte und Eingrenzung des Streitgegenstands
Bevor das Bundesgericht auf die materiellen Fragen einging, prüfte es die Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführer gemäss Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG, d.h., ob ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Urteils besteht.
- Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Luzern: Die Beschwerdeführer beantragten für diese Steuern eine höhere Veranlagung des steuerbaren Einkommens und Vermögens als die von der Vorinstanz festgesetzte. Das Bundesgericht verneinte hier ein schutzwürdiges Interesse, da eine solche Höherveranlagung zu einer höheren Steuerbelastung führen würde und keine der von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmekonstellationen (z.B. Abwendung eines Nachsteuerverfahrens) vorlag. Folglich trat es auf die Beschwerde bezüglich der Staats- und Gemeindesteuern nicht ein.
- Direkte Bundessteuer – Beteiligung an der D.__ AG: Die Dienststelle Steuern qualifizierte diese Beteiligung als Geschäftsvermögen, was zu einer Besteuerung der Bruttodividende von Fr. 90'000.- im Umfang von 50% nach Art. 18b Abs. 1 DBG führte. Die Beschwerdeführer begehrten eine Zuweisung zum Privatvermögen, was eine Besteuerung von 60% nach Art. 20 Abs. 1bis DBG zur Folge gehabt hätte. Auch hier verneinte das Bundesgericht ein schutzwürdiges Interesse, da die beantragte Umqualifizierung zu einer höheren Steuerbelastung geführt hätte und die Qualifikation für spätere Steuerperioden keine bindende Wirkung entfaltet.
- Direkte Bundessteuer – Beteiligung an der C.__ AG: Im Steuerjahr 2019 wurde diese Beteiligung veräussert. Die Qualifikation als Geschäftsvermögen durch die Steuerbehörde führte zur Besteuerung des Bruttoverkaufserlöses von Fr. 1'400'000.- als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit (steuerbarer Veräusserungsgewinn gemäss Art. 18 Abs. 2 DBG). Die Beschwerdeführer beanspruchten die Qualifikation als Privatvermögen, was zu einem steuerfreien Kapitalgewinn gemäss Art. 16 Abs. 3 DBG geführt hätte. Hier bejahte das Bundesgericht das schutzwürdige Interesse, da eine Gutheissung des Antrags zu einer tieferen Steuerbelastung führen würde.
Somit beschränkte sich die materielle Prüfung des Bundesgerichts auf die Frage der Qualifikation der Beteiligung an der C.__ AG für die direkte Bundessteuer 2019.
3. Prüfung der Sachverhaltsrügen
Die Beschwerdeführer rügten eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung durch die Vorinstanz (Art. 97 Abs. 1 BGG i.V.m. Art. 9 BV). Sie machten geltend, die Vorinstanz habe den massgebenden Willen des Beschwerdeführers bezüglich des Erwerbs- und Veräusserungsmotivs nicht korrekt eruiert und sich zu Unrecht auf die Umsätze der Anwaltskanzlei abgestützt. Ausserdem sei die technisch-wirtschaftliche Funktion einer Beteiligung nicht anhand verwandter Tätigkeiten zu beurteilen.
Das Bundesgericht wies diese Rügen ab. Es stellte fest, dass die Vorinstanz den Sachverhalt detailliert dargestellt, die Argumente der Beschwerdeführer berücksichtigt und die Indizien zur Ermittlung des "in den tatsächlichen Verhältnissen zum Ausdruck gebrachten und verwirklichten Willens" herangezogen habe. Die Beschwerdeführer konnten keine willkürliche Sachverhaltsfeststellung darlegen. Das Bundesgericht legte seinem Urteil daher den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG).
4. Massgebende Rechtsgrundlagen und Methodik der Vermögensqualifikation
- Grundsätze der Einkommensbesteuerung: Gemäss Art. 16 Abs. 1 DBG sind alle wiederkehrenden und einmaligen Einkünfte steuerbar. Eine Ausnahme bildet Art. 16 Abs. 3 DBG, wonach Kapitalgewinne aus der Veräusserung von Privatvermögen steuerfrei sind. Diese Ausnahme ist eng auszulegen (BGE 148 II 378 E. 3.3).
- Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit: Art. 18 Abs. 1 DBG definiert diese weit und umfasst alle Gewinne aus einer Tätigkeit, die über die blosse Verwaltung von Privatvermögen hinausgeht. Dazu zählen auch Kapitalgewinne aus der Veräusserung von Geschäftsvermögen (Art. 18 Abs. 2 DBG).
- Kategorien des Vermögens: Die Praxis unterscheidet zwischen notwendigem Geschäftsvermögen, notwendigem Privatvermögen und den Alternativgütern (oder gewillkürtem Geschäftsvermögen).
- Zuweisung zum Geschäftsvermögen: Damit eine natürliche Person Geschäftsvermögen haben kann, muss sie grundsätzlich selbständig erwerbstätig sein. Für die Zuweisung einer Beteiligung zum Geschäftsvermögen ist die Gesamtheit der individuell-konkreten Umstände entscheidend, wobei der technisch-wirtschaftlichen Funktion das grösste Gewicht zukommt (Art. 18 Abs. 2 Satz 3 DBG; BGE 133 II 420 E. 3.2). Eine hinreichend enge Beziehung zur selbständigen Erwerbstätigkeit ist insbesondere anzunehmen, wenn die Beteiligung:
- einen massgeblichen oder beherrschenden Einfluss auf die Kapitalgesellschaft vermittelt,
- deren geschäftliche Aktivitäten der eigenen Tätigkeit entsprechen oder diese sinnvoll ergänzen,
- es erlaubt, die angestammte Geschäftstätigkeit auszuweiten.
Entscheidend ist der – in den tatsächlichen Verhältnissen zum Ausdruck gebrachte und verwirklichte – Wille, die Beteiligung konkret dafür zu nutzen, das operative Ergebnis des eigenen Unternehmens bzw. dessen Chancen auf dem Markt zu verbessern (BGE 147 V 114 E. 3.3.1.2; 120 Ia 349 E. 4c/aa).
5. Sachverhalt der C.__ AG (gemäss Feststellungen der Vorinstanz)
- Der Beschwerdeführer ist seit vielen Jahren selbständiger Rechtsanwalt mit Fokus auf internationale, grenzüberschreitende Steuerplanung sowie Betreuung und Ansiedlung ausländischer Kunden und Unternehmen.
- Die C._ AG ist im Bereich Treuhand- und Revisionsmandate tätig. Ihr Sitz befand sich seit 2009 an derselben Adresse wie die Anwaltskanzlei des Beschwerdeführers, welche die Büroräumlichkeiten von der C._ AG mietete.
- Der Beschwerdeführer erwarb zwischen 2010 und 2014 insgesamt 50% der Aktien der C.__ AG.
- Die ursprüngliche Absicht war, die C._ AG gemeinsam mit dem damaligen Inhaber E._ zu führen, wobei der Beschwerdeführer strategische Unterstützung (Rechts- und Steuerberatung, Networking) leisten sollte.
- Aufgrund von Debitorenverlusten und krankheitsbedingtem Ausfall von E._ musste der Beschwerdeführer in den Jahren 2013/2014 stärker als geplant in die C._ AG eingebunden werden.
- Am 7. Januar 2019 verkaufte der Beschwerdeführer seine 50% Beteiligung an der C._ AG für Fr. 1'400'000.- an E._.
6. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf den Fall der C.__ AG
Das Bundesgericht beurteilte die Zuweisung der Beteiligung an der C.__ AG zum Geschäfts- oder Privatvermögen anhand der technisch-wirtschaftlichen Funktion und der individuellen Gesamtumstände.
- Massgebliche Honorareinnahmen: Die Anwaltskanzlei des Beschwerdeführers erzielte in den Geschäftsjahren 2013-2018 durchschnittlich 33,7% ihres Gesamtumsatzes mit Honorareinnahmen im Zusammenhang mit der C._ AG, wobei dieser Anteil im Jahr 2018 auf 44,5% anstieg. Dies zeigt, dass die C._ AG dem Beschwerdeführer beträchtliche Honorareinnahmen verschaffte, die einen wesentlichen Teil seiner Anwaltstätigkeit ausmachten.
- Sinnvolle Ergänzung der Tätigkeit: Treuhanddienstleistungen ergänzen gemäss Bundesgericht die Tätigkeit von im Ansiedlungsbereich tätigen Anwälten sinnvoll, da sie es ermöglichen, Kunden einen "Alles-aus-einer-Hand"-Service anzubieten.
- Massgeblicher Einfluss und räumliche Nähe: Die 50%-Beteiligung verschaffte dem Beschwerdeführer einen massgeblichen Einfluss auf die C._ AG. Die räumliche Nähe (Kanzlei in den Räumlichkeiten der C._) unterstreicht ebenfalls die enge Beziehung.
- Relativierung des ursprünglichen Erwerbsmotivs: Das Bundesgericht betonte, dass der in den tatsächlichen Verhältnissen zum Ausdruck gebrachte und verwirklichte Wille massgebend ist, nicht die nachträglich im Verkaufsvertrag niedergeschriebenen Erwerbsmotive. Die Behauptung, das Engagement habe primär der Sanierung der C._ gedient und es fehle an einem gegenseitigen Zudienen, wurde als unbehelflich erachtet, da die Anwaltskanzlei einen beträchtlichen Umsatzanteil mit der C._ generierte.
Aufgrund dieser Würdigung kam das Bundesgericht zum Schluss, dass eine hinreichend enge Beziehung zwischen der Beteiligung an der C.__ AG und der selbständigen Anwaltstätigkeit des Beschwerdeführers bestand. Die Beteiligung ist daher als Geschäftsvermögen zu qualifizieren, und der darauf erzielte Kapitalgewinn unterliegt der Besteuerung nach Art. 18 Abs. 1 DBG i.V.m. Art. 18b Abs. 1 und 2 DBG.
7. Vertrauensschutz und Treu und Glauben
Die Beschwerdeführer beriefen sich auf den Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 BV, Art. 9 BV), da die Dienststelle Steuern die Beteiligung an der C.__ AG in den Steuerperioden 2010 bis 2018 als Privatvermögen veranlagt hatte.
- Grundsätze des Vertrauensschutzes: Bei periodischen Steuern erwächst einer Veranlagung nur für die betreffende Periode Rechtskraft; die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse können in späteren Perioden abweichend beurteilt werden (BGE 140 I 114 E. 2.4.3; Urteil 9C_301/2025 E. 5.1). Eine Ausnahme besteht beim Vertrauensschutz, namentlich wenn die Veranlagungsbehörde bei Alternativgütern über längere Zeit eine bestimmte Qualifikation vorgenommen hat und die Verhältnisse sich nicht rechtserheblich geändert haben (Urteil 2C_939/2019 E. 2.4.1).
- Anwendung im vorliegenden Fall: Es traf zwar zu, dass die Beteiligung in den Vorjahren als Privatvermögen veranlagt wurde. Das Bundesgericht hielt jedoch fest, dass es bis zum Verkauf der Beteiligung keinen Anlass zu vertieften Abklärungen gegeben habe. Entscheidend war aber, dass der Vertreter der Beschwerdeführer im Jahr 2017 in einer Anfrage an die Dienststelle Steuern selbst eine mögliche Einbringung der C._ in eine Holding erwähnte und darauf hinwies, dass "keine Unsicherheiten bezüglich der Qualifikation der C._ Beteiligung als Privat- oder Geschäftsvermögen bestehen solle." Dies deutete darauf hin, dass sich der Beschwerdeführer der latenten Problematik der Qualifikation seiner Beteiligung bewusst war. Mangels einer konkreten Zusicherung durch die Steuerbehörde und angesichts dieses Umstands konnten sich die Beschwerdeführer nicht in gutem Glauben auf die früheren Veranlagungen verlassen.
8. Kosten und Entschädigung
Die Beschwerde betreffend die direkte Bundessteuer wurde, soweit darauf eingetreten wurde, abgewiesen. Auf die Beschwerde betreffend die Staats- und Gemeindesteuern wurde nicht eingetreten. Die Gerichtskosten wurden den Beschwerdeführern solidarisch auferlegt.
Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
- Teilweises Nichteintreten: Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde bezüglich der Luzerner Staats- und Gemeindesteuern sowie der D.__-Beteiligung bei der direkten Bundessteuer mangels schutzwürdigen Interesses nicht ein, da die Anträge der Beschwerdeführer zu einer höheren Steuerbelastung geführt hätten.
- Faktische Feststellungen bindend: Sachverhaltsrügen der Beschwerdeführer wurden abgewiesen; die vorinstanzlichen Feststellungen zur technisch-wirtschaftlichen Funktion und zum Willen des Beschwerdeführers blieben massgebend.
- C.__ als Geschäftsvermögen: Die Beteiligung an der C.__ AG wurde aufgrund der "hinreichend engen Beziehung" zur selbständigen Anwaltstätigkeit des Beschwerdeführers als Geschäftsvermögen qualifiziert. Hierfür waren insbesondere die erheblichen Honorareinnahmen, die funktionale Ergänzung der Tätigkeit und der massgebliche Einfluss ausschlaggebend.
- Kein Vertrauensschutz: Der Vertrauensschutz aufgrund früherer Veranlagungen als Privatvermögen wurde verneint. Die Beschwerdeführer waren sich der Problematik der Qualifikation ihrer Beteiligung bewusst, wie eine eigene Anfrage bei der Steuerbehörde im Jahr 2017 zeigte.
- Besteuerung des Kapitalgewinns: Der aus dem Verkauf der C.__-Aktien erzielte Kapitalgewinn von Fr. 1'400'000.- unterliegt somit der direkten Bundessteuer als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit.