Zusammenfassung von BGer-Urteil 5A_588/2024 vom 21. November 2025

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Das Urteil 5A_588/2024 des schweizerischen Bundesgerichts vom 21. November 2025 befasst sich mit der komplexen Frage der Zuständigkeit und des schutzwürdigen Interesses bei der Auflösung des Miteigentums an einer ehemaligen Familienwohnung, wenn diese Klage vor der eigentlichen Scheidungsklage, aber im Kontext einer bevorstehenden oder bereits hängigen Scheidung, eingereicht wird.

I. Sachverhalt und Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Ehefrau) und der Beschwerdegegner (Ehemann) sind die Eltern eines Sohnes und leben getrennt. Mit Eheschutzurteil vom 10. Februar 2021 wurde der Ehefrau die Familienwohnung, die im je hälftigen Miteigentum der Eheleute steht, zur alleinigen Benutzung zugewiesen. Der Ehemann verliess die Liegenschaft, nachdem Rechtsmittel gegen die Zuweisung erfolglos blieben.

Bereits am 4. Dezember 2020 reichte der Ehemann eine Klage auf Aufhebung des Miteigentums an der Familienwohnung und deren öffentliche Versteigerung beim Bezirksgericht ein. Das Bezirksgericht trat auf diese Klage mit Urteil vom 5. Juli 2023 nicht ein.

Die Ehefrau reichte ihrerseits am 3. November 2022 (nach einem früheren, zurückgezogenen Versuch im Mai 2021) erneut eine Scheidungsklage gemäss Art. 114 ZGB beim Einzelgericht ein. Auch in diesem Verfahren blieben diverse Rechtsmittel des Ehemanns, namentlich bezüglich der Zuweisung der Wohnung, erfolglos.

Auf Berufung des Ehemanns hob das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 26. Juni 2024 das Nichteintretensurteil des Bezirksgerichts auf und wies die Sache zur materiellen Beurteilung an die erste Instanz zurück. Gegen diesen Beschluss gelangte die Ehefrau mit Beschwerde in Zivilsachen und subsidiärer Verfassungsbeschwerde ans Bundesgericht.

II. Rechtliche Problematik

Im Kern dreht sich der Fall um zwei zentrale Fragen: 1. Ob der Ehemann ein schutzwürdiges Interesse (Art. 59 Abs. 2 Bst. a ZPO) an der von ihm eingereichten Klage auf Auflösung des Miteigentums hat und ob sein Verhalten als rechtsmissbräuchlich (Art. 52 Abs. 1 ZPO) einzustufen ist, insbesondere angesichts des später eingeleiteten Scheidungsverfahrens. 2. Ob der Grundsatz der "Einheit des Scheidungsurteils" (Art. 283 Abs. 1 ZPO) dazu führt, dass das Scheidungsgericht im Sinne einer Kompetenzattraktion auch über eine bereits vor der Scheidungsklage anderweitig rechtshängig gemachte Klage auf Auflösung des Miteigentums ausschliesslich zu entscheiden hat und damit die ursprünglich rechtshängige Klage des Ehemanns gegenstandslos wird.

III. Begründung des Bundesgerichts

1. Zulässigkeit der Beschwerde Das Bundesgericht hält die Beschwerde als Beschwerde in Zivilsachen für zulässig, da es sich beim angefochtenen Entscheid des Obergerichts um einen Zwischenentscheid über die Zuständigkeit im Sinne von Art. 92 BGG handelt. Die ebenfalls erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

2. Schutzwürdiges Interesse an der Klage auf Aufhebung des Miteigentums (Art. 59 Abs. 2 Bst. a ZPO) Das Bundesgericht prüft, ob das Obergericht zu Recht ein schutzwürdiges Interesse des Ehemanns bejaht hat.

  • Grundsatz des Rechts auf Aufhebung des Miteigentums: Gemäss Art. 650 Abs. 1 ZGB hat jeder Miteigentümer das Recht, die Aufhebung des Miteigentums zu verlangen. Dieses Recht besteht grundsätzlich auch zwischen Eheleuten (BGE 98 II 341 E. 4; vgl. BGE 141 III 53 E. 5.1; 138 III 150 E. 5.1.1). Die Teilung gilt im Fall der Ehescheidung im Allgemeinen nicht als zur Unzeit erfolgt (BGE 138 III 150 E. 5.1.1).
  • Charakter der Klage: Die Klage des Ehemanns vom 4. Dezember 2020 umfasst die Liquidation des Miteigentums nach Art. 651 ZGB, bei der es sich um eine Gestaltungsklage handelt. Sie ist daher gegenüber der Scheidungsklage nicht nachrangig oder subsidiär.
  • Ablehnung des Rechtsmissbrauchs (Art. 52 Abs. 1 ZPO): Die Ehefrau macht geltend, der Ehemann verhalte sich missbräuchlich, indem er die Klage auf Aufhebung des Miteigentums während der Trennungsfrist nach Art. 114 ZGB erhebe und damit die Regelung der Familienwohnung dem Scheidungsgericht entziehen wolle. Zudem sei es widersprüchlich, einerseits die Auflösung des Miteigentums zu verlangen und andererseits die Scheidung zu verweigern. Das Bundesgericht weist diese Argumentation zurück:
    • Die Ehe stellt grundsätzlich kein Hindernis für die klageweise Geltendmachung der Auflösung des Miteigentums dar, auch nicht im Scheidungskontext oder während der Trennung (BGE 138 III 401 E. 2.2).
    • Es sind keine konkreten Elemente ersichtlich, die das Verhalten des Ehemanns als missbräuchlich erscheinen lassen könnten. Es ist nicht widersprüchlich, die Auflösung des Miteigentums zu verlangen, auch wenn man sich gegen die Scheidung wehrt, da die Ehepartner unterschiedliche Ziele bezüglich der Wohnung verfolgen können.
    • Die Frage, ob die Klage gemäss Art. 650 Abs. 3 ZGB "zur Unzeit" erfolgt, ist eine materiell-rechtliche Frage, die im Rahmen der Urteilsfällung und nicht bereits beim Eintreten zu prüfen ist.
  • Das Bundesgericht schliesst, dass das Obergericht kein Bundesrecht verletzt hat, indem es ein fortbestehendes schutzwürdiges Interesse des Ehemanns bejahte.

3. Verhältnis von Aufhebungsklage und Scheidungsklage: Litispendenz versus Kompetenzattraktion Die Ehefrau rügt eine Verletzung von Art. 59 Abs. 2 Bst. a ZPO und argumentiert, das schutzwürdige Interesse des Ehemanns sei mit Anhebung des Scheidungsverfahrens nachträglich weggefallen. Sie beruft sich dabei sinngemäss auf den Grundsatz der "Einheit des Scheidungsurteils" (Art. 283 Abs. 1 ZPO) und leitet daraus eine ausschliessliche Zuständigkeit des Scheidungsgerichts für die Auflösung des Miteigentums ab (sog. Kompetenzattraktion), selbst wenn die Klage darauf zuvor anderweitig rechtshängig gemacht wurde.

Das Bundesgericht lehnt diese Auslegung ab:

  • Litispendenz: Der Ehemann machte die Klage auf Auflösung des Miteigentums unbestritten vor der Ehefrau Scheidungsklage anhängig. Die Rechtshängigkeit (Art. 59 Abs. 2 Bst. d und Art. 64 Abs. 1 Bst. a ZPO) bewirkt eine Sperrwirkung für denselben Streitgegenstand zwischen denselben Parteien. Daher ist es nicht zu beanstanden, dass das Obergericht auf die zuerst angehobene (Auflösungs-)Klage eintritt.
  • Auslegung von Art. 283 Abs. 1 ZPO ("Einheit des Scheidungsurteils"):
    • Wortlaut und Entstehungsgeschichte: Art. 283 Abs. 1 ZPO sieht vor, dass das Gericht im Scheidungsentscheid auch über dessen Folgen befindet. Dies dient der einheitlichen Beurteilung der verschiedenen Scheidungsfolgen aufgrund ihres inneren Zusammenhangs. Der Gesetzestext enthält jedoch keine Regelung, wonach auch bereits anderweitig hängige Nebenfolgen zwingend in das Scheidungsurteil einzubeziehen wären und die Litispendenz durchbrochen würde. Auch die Gesetzesmaterialien geben hierzu keine Aufschlüsse.
    • Systematische und teleologische Argumente:
      • Autonomie der Miteigentumsauflösung: Die Auflösung des Miteigentums ist keine zwingende Folge der Ehescheidung und kann auch unabhängig davon erfolgen (BGE 138 III 150 E. 5.1.1).
      • Trennung von Sachen- und Güterrecht: Bei der Auflösung des Miteigentums im Scheidungsfall ist strikt zwischen dem dinglichen Verhältnis (Art. 650 f. ZGB) und dem güterrechtlichen Verhältnis (Art. 205 Abs. 2, Art. 251 ZGB) zu unterscheiden. Die güterrechtliche Auseinandersetzung ist von der sachenrechtlichen Auflösung des Miteigentums im Prinzip unabhängig (BGE 141 III 53 E. 5.4). Der Umstand, dass die Realisierung des Miteigentumsanteils die finanzielle Auseinandersetzung beeinflusst, ändert nichts an dieser rechtlichen Trennung.
      • Nicht absoluter Charakter der Einheit des Scheidungsurteils: Der Grundsatz der Einheit des Scheidungsurteils ist nicht absolut. Art. 283 Abs. 2 ZPO ermöglicht die Verweisung der güterrechtlichen Auseinandersetzung aus wichtigen Gründen in ein separates Verfahren, um das Scheidungsverfahren nicht übermässig zu verzögern. Diese Überlegung gilt auch für die Auflösung des Miteigentums. Auch andere Aufweichungen des Grundsatzes (z.B. bei der beruflichen Vorsorge, Teilrechtskraft, Teilurteile) zeigen, dass dieser nicht starr auszulegen ist.
      • Prozessuale Koordinationsmechanismen: Ein allfälliger Koordinationsbedarf kann durch prozessuale Instrumente wie die Vereinigung von Klagen (Art. 125 Bst. c ZPO), die Sistierung des Verfahrens (Art. 126 ZPO) oder die Überweisung bei zusammenhängenden Verfahren (Art. 127 ZPO) berücksichtigt werden.
  • Schlussfolgerung: Das Bundesgericht kommt zum Ergebnis, dass Art. 283 Abs. 1 ZPO nicht derart zu verstehen ist, dass er dem Scheidungsgericht im Sinne einer Kompetenzattraktion die ausschliessliche Zuständigkeit für eine bereits zuvor rechtshängig gemachte Klage auf Auflösung des Miteigentums übertragen würde. Die spezifischen familienrechtlichen Sonderregeln (Art. 205 und 251 ZGB) werden vom Gericht, das über die Auflösung des Miteigentums entscheidet, selbstverständlich berücksichtigt.

4. Kosten des kantonalen Verfahrens Die Rüge der Ehefrau bezüglich der Anwendung eines reduzierten Tarifs für die Prozesskosten wird vom Bundesgericht nicht behandelt, da die Tarifhoheit bei den Kantonen liegt (Art. 96 Abs. 1 ZPO) und keine Verletzung von Bundes- oder Völkerrecht geltend gemacht wurde.

IV. Entscheid des Bundesgerichts

Die Beschwerde der Ehefrau wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

V. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

  • Recht auf Aufhebung des Miteigentums: Das Recht jedes Miteigentümers auf Aufhebung des Miteigentums (Art. 650 Abs. 1 ZGB) besteht grundsätzlich auch zwischen Eheleuten und kann auch während einer Trennung oder vor einer Scheidungsklage geltend gemacht werden, ohne dass dies als rechtsmissbräuchlich gilt. Die Frage, ob die Aufhebung "zur Unzeit" erfolgt, ist eine materielle Prüffrage.
  • Vorrang der Litispendenz: Eine Klage auf Auflösung des Miteigentums, die vor einer Scheidungsklage anhängig gemacht wird, behält ihre Rechtshängigkeit (Art. 59 Abs. 2 Bst. d, Art. 64 Abs. 1 Bst. a ZPO).
  • Keine Kompetenzattraktion des Scheidungsgerichts: Der Grundsatz der "Einheit des Scheidungsurteils" gemäss Art. 283 Abs. 1 ZPO ist nicht absolut auszulegen und führt nicht zu einer Kompetenzattraktion, welche eine bereits rechtshängige Klage auf Auflösung des Miteigentums an sich ziehen und damit die ursprüngliche Litispendenz durchbrechen würde.
  • Autonomie von Sachen- und Güterrecht: Die sachenrechtliche Auflösung des Miteigentums ist rechtlich von der güterrechtlichen Auseinandersetzung im Scheidungsverfahren unabhängig, auch wenn sie finanzielle Wechselwirkungen haben kann. Familienrechtliche Sonderregeln (Art. 205, 251 ZGB) sind dabei zu beachten, können aber auch von einem vom Scheidungsgericht separaten Gericht angewendet werden.
  • Prozessuale Koordination: Allfällige Koordinationsbedürfnisse zwischen Verfahren können durch die ZPO-Instrumente der Klagenvereinigung, Sistierung oder Überweisung gelöst werden.