Zusammenfassung von BGer-Urteil 4A_187/2025 vom 25. November 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Bundesgericht, Urteil 4A_187/2025 vom 25. November 2025

Parteien: * Beschwerdeführerin: A._ * Beschwerdegegnerin: B._ AG

Gegenstand: Unterschrift des Gerichts; Nichtigkeit

Instanzenzug und relevanter Sachverhalt: 1. Erstinstanz (Kantonsgericht Appenzell Ausserrhoden): Am 15. Dezember 2023 fällte Einzelrichter Dr. iur. Pius Gebert ein Urteil in einem Aberkennungsprozess. Er unterzeichnete gleichentags das Dispositiv, welches an die Parteien versandt wurde. Die Beschwerdeführerin verlangte eine Begründung. Der begründete Entscheid wurde am 13. Januar 2025 ausgehändigt, jedoch nicht von Dr. iur. Pius Gebert, sondern von der Einzelrichterin MLaw Lorena Studer unterzeichnet. Dr. Gebert war Ende Januar 2024 nach Erreichen des ordentlichen Rentenalters als vollamtlicher Richter in den Ruhestand getreten, blieb aber bis zum Ablauf der Amtsperiode 2023/2027 als nebenamtlicher Richter tätig, nicht jedoch als Einzelrichter. MLaw Lorena Studer hatte ihr Amt als Kantonsgerichtsvizepräsidentin und Einzelrichterin 1 am 1. Februar 2024 angetreten. 2. Zweitinstanz (Obergericht Appenzell Ausserrhoden): Die Beschwerdeführerin erhob Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil, auf die das Obergericht am 17. Februar 2025 wegen Nichteinhaltens der Berufungsfrist nicht eintrat. 3. Revisionsgesuch vor Obergericht: Am 5. März 2025 beantragte die Beschwerdeführerin beim Obergericht die Revision des Nichteintretensentscheids vom 17. Februar 2025 und die Feststellung der Nichtigkeit des kantonsgerichtlichen Urteils vom 15. Dezember 2023. 4. Entscheid des Obergerichts (7. März 2025): Das Obergericht trat auf das Revisionsgesuch nicht ein und verneinte die Nichtigkeit des kantonsgerichtlichen Urteils. Es wies auch das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab. 5. Beschwerde an das Bundesgericht: Die Beschwerdeführerin reichte durch einen neuen Rechtsvertreter eine Beschwerde in Zivilsachen und eine subsidiäre Verfassungsbeschwerde ein. Sie beantragte die Aufhebung der obergerichtlichen Verfügung, die Feststellung der Nichtigkeit des erstinstanzlichen Urteils und die Rückweisung der Sache an das Obergericht.

Erwägungen des Bundesgerichts:

  1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde in Zivilsachen (E. 1.1-1.3):

    • Der Streitwert von Fr. 28'449.35 erreicht den für eine Beschwerde in Zivilsachen erforderlichen Mindeststreitwert gemäss Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG nicht.
    • Die Beschwerdeführerin machte geltend, es handle sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG), nämlich ob ein Wechsel in der Besetzung eines Gerichts ohne gesetzliche Grundlage und vorgängige Ankündigung zulässig sei.
    • Das Bundesgericht legte den Begriff der Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung restriktiv aus. Es befand, die Beschwerdeführerin habe nicht rechtsgenüglich dargelegt, inwiefern es nicht lediglich um die Anwendung allgemeiner Grundsätze auf den konkreten Einzelfall gehe. Daher trat das Bundesgericht auf die Beschwerde in Zivilsachen nicht ein.
  2. Zur Zulässigkeit der subsidiären Verfassungsbeschwerde (E. 1.4-1.6):

    • Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde erfordert eine präzise Rüge und Substanziierung der Verletzung verfassungsmässiger Rechte (Art. 116, 117 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG). Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz sind grundsätzlich bindend, es sei denn, sie erfolgten unter Verletzung eines verfassungsmässigen Rechts (Art. 118 BGG, Art. 9 BV). Die Kritik der beschwerdeführenden Partei muss an den Erwägungen der Vorinstanz ansetzen.
  3. Zum Revisionsgesuch vor Obergericht und dessen Nicht-Eintreten (E. 2):

    • Zuständigkeit für Revisionsgesuche (E. 2.1): Gemäss Art. 328 Abs. 1 ZPO ist für die Revision der rechtskräftige Entscheid des Gerichts zuständig, welches als letzte Instanz in der Sache entschieden hat. Tritt eine Rechtsmittelinstanz (wie hier das Obergericht auf die Berufung) auf ein Rechtsmittel nicht ein, ist sie nur zur Prüfung eines Revisionsgesuchs zuständig, wenn sich der Revisionsgrund auf den Nichteintretensentscheid als solchen bezieht. Andernfalls ist das Revisionsgesuch an die Erstinstanz zu richten (unter Verweis auf FREIBURGHAUS/AFHELDT, HERZOG, BGE 147 III 238 E. 3.2).
    • Obergerichtlicher Nichteintretensentscheid (E. 2.2.1): Das Obergericht stellte fest, dass die Beschwerdeführerin im Revisionsgesuch selbst anerkannte, dass die Berufung verspätet eingereicht wurde, und sie Revisionsgründe nur gegen das kantonsgerichtliche Urteil vom 15. Dezember 2023 geltend machte, nicht gegen den obergerichtlichen Nichteintretensentscheid. Folglich war das Obergericht für die Behandlung des Revisionsgesuchs nicht zuständig.
    • Verzicht auf Weiterleitung (E. 2.2.3): Das Obergericht verzichtete auf eine Weiterleitung des Revisionsgesuchs an das Kantonsgericht gemäss Art. 143 Abs. 1bis ZPO (Weiterleitungspflicht bei irrtümlicher Einreichung bei unzuständigem Gericht). Es begründete dies damit, dass der frühere Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin ein emeritierter Rechtsprofessor und ehemaliger Bundesrichter war, weshalb ein Irrtum im Sinne der Norm ausgeschlossen werden müsse. Wer bewusst eine unzuständige Stelle anrufe, verdiene die Unterstützung von Art. 143 Abs. 1bis ZPO nicht.
    • Bundesgerichtliche Beurteilung (E. 2.3): Die Beschwerdeführerin beanstandete diese vorinstanzlichen Erwägungen im bundesgerichtlichen Verfahren nicht. Das Bundesgericht bestätigte somit implizit, dass das Obergericht zu Recht auf das Revisionsgesuch nicht eingetreten ist.
  4. Zur Feststellung der Nichtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (E. 3):

    • Grundlagen der Nichtigkeit (E. 3.2): Das Bundesgericht hielt fest, dass nur besonders schwere und offensichtliche Verfahrensmängel die Nichtigkeit eines Entscheids begründen können (sogenannte Evidenztheorie). Der Mangel muss offensichtlich oder leicht erkennbar sein, und die Rechtssicherheit darf durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet werden. Solche Fälle können bei sachlicher oder funktioneller Unzuständigkeit sowie bei krassen Verfahrensfehlern vorliegen (unter Verweis auf BGE 145 III 436 E. 4; 147 IV 93 E. 1.4.4; 148 IV 445 E. 1.4.2). Eine Nichtigkeit kann jederzeit und von Amtes wegen beachtet und festgestellt werden.
    • Zuständigkeit zur Nichtigkeitsfeststellung (E. 3.2 in fine): Rechtsmittelbehörden können sich zu einer behaupteten Nichtigkeit nur äussern, wenn das Rechtsmittel zulässig ist und sie darauf eintreten müssen (BGE 135 III 46 E. 4.2). Das Bundesgericht liess im vorliegenden Fall offen, ob das Obergericht zur Feststellung der Nichtigkeit überhaupt berechtigt gewesen wäre, da es die Nichtigkeit materiell zu Recht verneint habe.
    • Die Unterschriftenproblematik (E. 3.3.1-3.3.4): Es war unbestritten, dass das begründete kantonsgerichtliche Urteil vom 15. Dezember 2023 nicht vom ursprünglichen Einzelrichter Dr. Gebert, sondern von dessen Nachfolgerin MLaw Studer unterzeichnet wurde. Gemäss Art. 238 lit. h ZPO muss ein Entscheid die Unterschrift des Gerichts enthalten. Das kantonale Justizgesetz (JG/AR) sieht vor, dass in Einzelrichterfällen der Einzelrichter seine Entscheide zu unterzeichnen hat. Dr. Gebert hatte das Dispositiv noch am Tag der Urteilsfällung unterzeichnet.
    • Funktion der Unterschrift (E. 3.3.5): Die Unterschrift eines Gerichtsmitglieds ist im Interesse der Rechtssicherheit ein Gültigkeitserfordernis. Sie bestätigt die formelle Richtigkeit der Ausfertigung und die Übereinstimmung mit dem gefällten Entscheid. Ein diesbezüglicher Mangel kann zur Nichtigkeit führen, insbesondere bei bewusster Umgehung gesetzlicher Formvorschriften.
    • Beurteilung der Nichtigkeit im konkreten Fall (E. 3.3.6-3.4):
      • Das Bundesgericht bestätigte die Argumentation des Obergerichts, dass kein besonders schwerer Mangel vorlag. Der ursprüngliche Richter Dr. Gebert hatte das Verfahren geführt, das Urteil gefällt und das Dispositiv unterzeichnet. Sein späterer Rücktritt nach Erreichen des Rentenalters führte dazu, dass er das begründete Urteil nicht mehr selbst unterzeichnete. Dies wurde von seiner Nachfolgerin vertretungshalber übernommen, was im Kanton Appenzell Ausserrhoden konstanter Praxis entspreche.
      • Das Bundesgericht verwies auf seine eigene Rechtsprechung, wonach die Unterzeichnung "i. V." (in Vertretung) nicht beanstandet wird. Dies stelle sicher, dass Urteile auch bei Abwesenheit einer Gerichtsperson (Krankheit, Ferien oder Rücktritt) ausgefertigt und versandt werden können, was dem Beschleunigungsgebot diene (u.a. Urteile 1B_503/2012 E. 6.2; 2A.621/2005 E. 2.2).
      • Auch die Literatur stützt diese Ansicht: Die Unterzeichnung durch eine andere als die zuständige Gerichtsperson führt in der Regel zu einem verbesserungsfähigen Mangel, nicht zur Nichtigkeit, wenn die zuständige Person ausgeschieden ist (HAUSER/SCHWERI/LIEBER, Kommentar GOG ZH).
      • Wichtig ist die Unterscheidung zwischen der Unterschrift und der Besetzung des Gerichts. Die Unterschrift "i. V." hat keinen Einfluss auf den Anspruch auf richtige Besetzung des Gerichts (Art. 30 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK), solange die im Rubrum genannten Gerichtspersonen tatsächlich am Urteil mitgewirkt haben (Urteil 2A.621/2005 E. 2.2).
      • Das Bundesgericht stellte fest, dass keine bewusste Umgehung kantonaler Vorschriften vorlag und die vertretungsweise Unterzeichnung nicht den Eindruck erweckte, die Nachfolgerin habe das Urteil gefällt, obwohl sie noch nicht im Amt war. Die Beschwerdeführerin habe auch keine Irreführung oder Benachteiligung durch diesen Mangel behauptet.
      • Fazit: Das kantonsgerichtliche Urteil vom 15. Dezember 2023 ist nicht nichtig.
  5. Weitere Rügen der Beschwerdeführerin (E. 4):

    • Revisionsgrund Ausstand (E. 4.1): Die Beschwerdeführerin hatte im Revisionsverfahren den Revisionsgrund von Art. 328 Abs. 1 lit. d ZPO (Ausstandsgrund) angerufen, diesen aber nicht substanziiert dargelegt, weshalb das Obergericht zu Recht nicht darauf eintrat.
    • Irrelevante Vorbringen (E. 4.2-4.4): Der neue Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin brachte im bundesgerichtlichen Verfahren Vorbringen zum zugrunde liegenden Leasingvertrag und zur Kreditwürdigkeitsprüfung vor. Diese hätten im Berufungsverfahren vorgebracht werden müssen und sind für das vorliegende Beschwerdeverfahren (das sich auf den Nichteintretensentscheid des Revisionsgesuchs und die Verneinung der Nichtigkeit beschränkt) irrelevant. Die umfassenden Ausführungen zu "Verletzungen von Verfahrensgarantien" wären ebenfalls im Berufungsverfahren zu erheben gewesen; im vorliegenden Rahmen ist nur die Rüge der Nichtigkeit relevant.
    • EMRK-Rügen im Revisionsverfahren (E. 4.5): Das Bundesgericht stellte klar, dass eine Revision wegen Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention nach Art. 328 Abs. 2 ZPO nur möglich ist, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in einem endgültigen Urteil eine EMRK-Verletzung festgestellt hat oder den Fall durch eine gütliche Einigung abgeschlossen hat. Die pauschale Berufung auf EGMR-Urteile im Sinne einer allgemeinen Rechtsverletzung ist nicht zulässig.
    • Fazit: Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist abzuweisen, soweit überhaupt darauf einzutreten war.

Schlussfolgerung des Bundesgerichts: 1. Auf die Beschwerde in Zivilsachen wird nicht eingetreten. 2. Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 3. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde in Zivilsachen aufgrund des zu geringen Streitwerts und der fehlenden Darlegung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht ein. Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wies es ab. Es bestätigte, dass das Obergericht zu Recht auf das Revisionsgesuch der Beschwerdeführerin nicht eingetreten war, da die Zuständigkeit für eine Revision von erstinstanzlichen Urteilen bei der Erstinstanz liegt, wenn die Rechtsmittelinstanz (hier das Obergericht) auf das Rechtsmittel (Berufung) nicht eingetreten ist. Eine Weiterleitung an das Kantonsgericht wurde zudem aufgrund der Qualifikation des Rechtsvertreters und der mutmasslich bewussten Anrufung eines unzuständigen Gerichts verneint.

Der zentrale Punkt des Urteils betrifft die Frage der Nichtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, da das Dispositiv vom urteilenden Richter, die nachträgliche Begründung aber von dessen Nachfolgerin im Amt unterzeichnet wurde. Das Bundesgericht bekräftigte, dass nur besonders schwere und offensichtliche Mängel zur Nichtigkeit führen (Evidenztheorie). Ein Wechsel in der unterzeichnenden Person nach der Entscheidfindung, insbesondere aufgrund des Amtsrücktritts des ursprünglichen Richters und der vertretungshalben Unterzeichnung durch die Nachfolgerin, stellt nach konstanter Praxis und bundesgerichtlicher Rechtsprechung (u.a. zur "i. V." Unterschrift) keinen derart gravierenden Verfahrensfehler dar, der die Nichtigkeit begründen würde. Die Unterschrift dient der formellen Bestätigung des Entscheids, während die eigentliche Entscheidfindung durch den ursprünglich zuständigen Richter erfolgte. Die weiteren Vorbringen der Beschwerdeführerin, insbesondere zu EMRK-Verletzungen, waren im Rahmen des Revisionsverfahrens bzw. der bundesgerichtlichen Beschwerde unzulässig oder irrelevant.