Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts (5A_369/2025)
Einleitung
Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts (II. Zivilrechtliche Abteilung) vom 28. November 2025 befasst sich mit einem Rekurs in der Angelegenheit einer "mise à ban" (Verbot) gemäss Art. 258 ff. ZPO und dem Recht auf Zugang zu fremdem Grund und Boden gemäss Art. 699 Abs. 1 ZGB. Die Beschwerdeführerin, A._, Eigentümerin landwirtschaftlicher Parzellen in U._, wehrte sich gegen eine modifizierte Verfügung des Friedensrichters und des Kantonsgerichts des Kantons Freiburg, welche Fussgängern, Radfahrern und Reitern den Zugang zu ihrer Alpstrasse weiterhin gestattete.
Sachverhalt
A._ ist Eigentümerin von Parzellen, die von der Alpstrasse X._ durchquert werden. Diese Strasse wird von ihr und ihrem Sohn für die familiäre Landwirtschaft genutzt und war ursprünglich Teil des kantonalen Wanderwegnetzes, ohne dass eine entsprechende Dienstbarkeit im Grundbuch eingetragen ist.
In einem vorgängigen administrativen Verfahren ordnete das Kantonsgericht Freiburg (II. Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 6. Februar 2023) an, dass die Alpstrasse als Wanderweg durch ein Baugesuch legalisiert werden müsse.
Auf Antrag von A.__ erliess der Friedensrichter des Arrondissements La Veveyse am 5. Juni 2023 eine "mise à ban", die jeder Person – ausser Berechtigten – den Zugang zur Alpstrasse untersagte. Am 1. September 2023 präzisierte der Friedensrichter, dass das Verbot Wälder und Weiden sowie deren Zugänge gemäss Art. 699 ZGB nicht betreffe.
Gegen diese "mise à ban" wurden zahlreiche Einsprachen erhoben, unter anderem von Privatpersonen, Miteigentümergemeinschaften, der Gemeinde U.__ sowie kantonalen und touristischen Organisationen.
In der Folge modifizierte der Friedensrichter am 23. August 2024 die "mise à ban" dahingehend, dass das Zugangsverbot nicht für Fussgänger, Radfahrer, Reiter und sonstige Berechtigte gilt. A._ wurde angewiesen, die bestehenden Verbotstafeln entsprechend anzupassen. Die von A._ gegen diese Modifikation erhobene Berufung wurde vom Kantonsgericht Freiburg (I. Zivilrechtliche Berufungsinstanz) mit Urteil vom 9. April 2025 abgewiesen.
Prozessgeschichte vor Bundesgericht
A.__ reichte beim Bundesgericht eine Beschwerde in Zivilsachen und eine subsidiäre Verfassungsbeschwerde ein. Sie beantragte die Aufhebung des kantonalen Urteils und die Wiederherstellung des ursprünglichen, umfassenden Zugangsverbots (d.h. auch für Fussgänger, Radfahrer und Reiter), mit Ausnahme für Berechtigte mit einem Wegrecht.
Erwägungen des Bundesgerichts
1. Zulässigkeit des Rechtsmittels
Das Bundesgericht prüfte zunächst die Zulässigkeit der Beschwerde in Zivilsachen.
- Verfahrensart: Die angefochtene Entscheidung betrifft eine zivilrechtliche Angelegenheit (Art. 72 Abs. 1 BGG) und ist vermögensrechtlicher Natur (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG).
- Streitwert: Für die Beschwerde in Zivilsachen ist in vermögensrechtlichen Angelegenheiten ein Mindeststreitwert von CHF 30'000 erforderlich. Das Bundesgericht stellte fest, dass die Beschwerdeführerin den Streitwert mit CHF 30'000 angab, indem sie sich auf eine Schätzung aus einer separaten Negatorienklage bezog, welche eine jährliche Beeinträchtigung von CHF 1'500 über 20 Jahre kapitalisierte. Das Kantonsgericht hatte diese Schätzung zwar nicht als "offensichtlich überhöht" beurteilt und einen Wert von "mindestens CHF 10'000" angenommen.
- Bundesgerichtliche Prüfung: Das Bundesgericht ist nicht an die Streitwertschätzung der Parteien oder eine offensichtlich falsche Schätzung der Vorinstanz gebunden. Es obliegt der beschwerdeführenden Partei, genügende Elemente zur Bestimmung des Streitwerts darzulegen. Das Bundesgericht rügte, dass die Beschwerdeführerin ihre Schätzung von CHF 1'500 pro Jahr nicht hinreichend belegt habe. Ihre Argumentation, die sich auf die Schwierigkeit und Gefährlichkeit von Begegnungen zwischen landwirtschaftlichen Fahrzeugen und Passanten bezog, reiche nicht aus, da diese Probleme durch angepasste Fahrweise vermieden werden könnten. Zudem seien die herangezogenen Analogien (z.B. zur Mieterstreitigkeit oder zur Bestimmung des Umfangs eines Wegerechts) rein abstrakt und für den vorliegenden Fall nicht aussagekräftig.
- Konsequenz: Da das Bundesgericht den erforderlichen Streitwert von CHF 30'000 nicht mit Gewissheit feststellen konnte, erklärte es die Beschwerde in Zivilsachen als unzulässig. Folglich war die Entscheidung nur mit der subsidiären Verfassungsbeschwerde (Art. 113 BGG) anfechtbar.
2. Prüfungsbefugnis im Rahmen der subsidiären Verfassungsbeschwerde
Im Rahmen der subsidiären Verfassungsbeschwerde prüft das Bundesgericht nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte (Art. 116 BGG), insbesondere des Willkürverbots (Art. 9 BV). Dabei gilt das Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG): Die beschwerdeführende Partei muss präzise darlegen, welche verfassungsmässigen Rechte verletzt wurden und inwiefern, wobei blosse appellatorische Kritik nicht genügt. Das Bundesgericht ist zudem an den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt gebunden (Art. 118 Abs. 1 BGG), es sei denn, die Sachverhaltsfeststellung erfolgte willkürlich.
3. Materielle Beurteilung
Die Beschwerdeführerin rügte eine Verletzung ihres Eigentumsrechts (Art. 26 BV) und des Willkürverbots (Art. 9 BV). Sie brachte im Wesentlichen drei Argumente gegen die Zulassung von Fussgängern, Radfahrern und Reitern auf ihrer Alpstrasse vor:
- Argument 1: Keine positive Leistungspflicht aus Art. 699 Abs. 1 ZGB und Geltungsbereich für asphaltierte Strassen. Die Beschwerdeführerin machte geltend, Art. 699 Abs. 1 ZGB erlege dem Eigentümer keine positive Pflicht zur Schaffung oder Unterhaltung von Wegen auf, insbesondere nicht einer asphaltierten Strasse. Sie argumentierte, die Bestimmung erlaube nur einen von Infrastrukturen unabhängigen Zugang.
- Urteil des Bundesgerichts: Das Bundesgericht wies dieses Argument zurück. Die Vorinstanz habe der Beschwerdeführerin nicht auferlegt, eine asphaltierte Strasse zu bauen oder zu unterhalten; dieses Argument gehe daher an der Sache vorbei. Das Bundesgericht bestätigte die Auslegung des Kantonsgerichts, wonach das freie Betretungsrecht von Wäldern und Weiden gemäss Art. 699 Abs. 1 ZGB auch Wald- und Güterwege einschliesst (unter Verweis auf die Doktrin: SIMONIUS/SUTTER). Es zitierte zudem seine eigene Rechtsprechung (ATF 141 III 195 E. 2.6), wonach ein Zugangsverbot zu einem Weg über eine Wiese im Interesse des Anbaus dem Zweck von Art. 699 Abs. 1 ZGB widerspreche. Das Bundesgericht bestätigte, dass die strittige Alpstrasse durch Weiden und Wälder führt und diese Parzellen somit im Rahmen einer schonenden Nutzung zu Fuss, mit dem Velo oder zu Pferd für jedermann frei zugänglich seien, was auch die durch sie verlaufende Strasse umfasse. Der blosse Umstand, dass es sich um einen asphaltierten Weg handle, entziehe diesen nicht dem Betretungsrecht. Das Gegenteil würde zu der absurden und unbefriedigenden Situation führen, dass die Öffentlichkeit gezwungen wäre, sich auf den Parzellen der Beschwerdeführerin entlang der Strasse fortzubewegen, anstatt die Strasse selbst zu nutzen, was potenziell mehr Schaden verursachen könnte. Die Beschwerdeführerin habe ihre gegenteilige Auffassung, wonach Art. 699 Abs. 1 ZGB keine asphaltierten Strassen betreffe, nicht mit stichhaltigen juristischen Argumenten oder Referenzen untermauert.
- Argument 2: Gelegentlicher vs. regelmässiger Zugang. Die Beschwerdeführerin behauptete, Art. 699 Abs. 1 ZGB erlaube nur einen gelegentlichen, nicht aber einen regelmässigen und häufigen Zugang von Wanderern, der andernfalls eine Dienstbarkeit erfordern würde.
- Urteil des Bundesgerichts: Das Bundesgericht folgte auch diesem Argument nicht. Es wies darauf hin, dass das Kantonsgericht dargelegt habe, warum die Nutzung der Alpstrasse nicht als "regelmässiger" Zugang im Sinne von Art. 699 ZGB anzusehen sei, der über den zulässigen Rahmen hinausgeht. Insbesondere habe das Kantonsgericht ausgeführt, dass das Passieren von Spaziergängern nicht mit Beispielen wie alpinem oder nordischem Skifahren verglichen werden könne, die in der Doktrin als "regelmässiger" Durchgang angesehen werden. Zudem sei kein markierter Wanderweg mehr auf den betroffenen Grundstücken vorhanden. Die Beschwerdeführerin habe diese spezifische Begründung des Kantonsgerichts nicht wirksam kritisiert.
- Argument 3: Enteignung ohne Entschädigung und Widerspruch zu früherer administrativer Entscheidung. Die Beschwerdeführerin rügte, die Entscheidung komme einer unentschädigten Enteignung gleich und stehe im Widerspruch zum administrativen Urteil vom 6. Februar 2023, welches die Legalisierung der Alpstrasse als Wanderweg durch ein Baugesuch forderte.
- Urteil des Bundesgerichts: Das Bundesgericht wies auch dies zurück. Es sah in der Behauptung eines Widerspruchs lediglich eine Wiederholung des bereits im Berufungsverfahren vorgebrachten Arguments. Die Beschwerdeführerin habe es versäumt aufzuzeigen, inwiefern die kantonale Argumentation – dass die Frage des Zugangsrechts gemäss Art. 699 Abs. 1 ZGB unabhängig und verschieden von einer öffentlich-rechtlichen Verfahren zur Signalisation eines Wanderwegs ist – willkürlich oder unhaltbar sei.
Zusammenfassend konnte die Beschwerdeführerin nicht aufzeigen, dass das kantonale Urteil willkürlich ist oder ihr Eigentumsrecht in unzulässiger Weise verletzt.
Schlussfolgerung des Bundesgerichts
Das Bundesgericht lehnte die Beschwerde in Zivilsachen mangels Zulässigkeit ab und wies die subsidiäre Verfassungsbeschwerde, soweit sie zulässig war, ab. Die Gerichtskosten wurden der Beschwerdeführerin auferlegt.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
- Zulässigkeit des Rechtsmittels: Die Beschwerde in Zivilsachen war mangels Erreichens des Streitwerts von CHF 30'000 unzulässig. Das Bundesgericht prüfte die Angelegenheit daher nur im Rahmen einer subsidiären Verfassungsbeschwerde, was eine eingeschränkte Prüfungsbefugnis (primär auf Willkür) bedeutet.
- Betretungsrecht nach Art. 699 Abs. 1 ZGB: Das Bundesgericht bestätigte, dass das freie Betretungsrecht von Wäldern und Weiden auch die Alpstrasse einschliesst, die diese Grundstücke durchquert, unabhängig davon, ob die Strasse asphaltiert ist. Die Argumentation der Beschwerdeführerin, Art. 699 Abs. 1 ZGB erlaube nur einen von Infrastrukturen unabhängigen und gelegentlichen Zugang, wurde als unbegründet abgewiesen.
- Keine Willkür oder Eigentumsrechtsverletzung: Die Beschwerdeführerin vermochte nicht darzulegen, dass die Auslegung des Art. 699 Abs. 1 ZGB durch die Vorinstanzen willkürlich war oder ihr Eigentumsrecht in verfassungswidriger Weise verletzte. Die angefochtene Entscheidung, die Fussgängern, Radfahrern und Reitern den Zugang zur Alpstrasse weiterhin gestattet, wurde somit bestätigt.