Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_539/2025 vom 18. November 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts (6B_539/2025)

I. Einleitung und Sachverhalt

Das Bundesgericht hatte in seinem Urteil 6B_539/2025 vom 18. November 2025 über eine Beschwerde in Strafsachen gegen ein Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau zu befinden, welches den Beschwerdeführer wegen qualifiziert grober Verletzung der Verkehrsregeln verurteilt hatte.

Dem Sachverhalt nach lenkte der Beschwerdeführer A.__ am 10. April 2023 um 14:01 Uhr seinen Personenwagen Audi A6 bei einem Überholmanöver auf einer Überlandstrasse nach Toleranzabzug mit 141 km/h. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug 80 km/h, was eine Überschreitung um 61 km/h bedeutet. Das Obergericht des Kantons Aargau verurteilte ihn hierfür gestützt auf Art. 90 Abs. 3 und 4 lit. c des Strassenverkehrsgesetzes (SVG) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten und einer Verbindungsbusse von CHF 2'500.--. Der Beschwerdeführer beantragte vor Bundesgericht eine mildere Bestrafung, eventuell die Rückweisung der Sache zur erneuten Strafzumessung.

II. Rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht

  1. Grundlagen der Strafzumessung und Prüfungsraster: Das Bundesgericht weist einleitend auf die etablierten Grundsätze der Strafzumessung nach Art. 47 ff. StGB hin (BGE 149 IV 217 E. 1.1; 144 IV 313 E. 1.2). Dem Sachgericht stehe ein erheblicher Ermessensspielraum zu. Ein Eingreifen des Bundesgerichts erfolgt nur bei Überschreitung des gesetzlichen Strafrahmens, Zugrundelegung rechtlich nicht massgebender Kriterien, Ausserachtlassung wesentlicher Gesichtspunkte oder bei Ermessensüberschreitung bzw. -missbrauch. Die Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung wird nur auf offensichtliche Unrichtigkeit (Willkür) hin überprüft, sofern die Behebung des Mangels entscheidend ist (Art. 97 Abs. 1, 105 Abs. 1 und 2 BGG).

  2. Anwendbarkeit von Art. 90 Abs. 3ter SVG: Die Vorinstanz wandte Art. 90 Abs. 3ter SVG an. Diese Bestimmung sieht vor, dass ein Täter bei Widerhandlungen gemäss Art. 90 Abs. 3 SVG mit Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren oder Geldstrafe bestraft werden kann, wenn er nicht innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Tat wegen eines Verbrechens oder Vergehens im Strassenverkehr mit ernstlicher Gefahr für die Sicherheit anderer, respektive mit Verletzung oder Tötung anderer verurteilt wurde. Das Bundesgericht präzisiert, dass diese Norm dem Gericht einen Ermessensspielraum einräumt und es bei einem Ersttäter nicht an die in Art. 90 Abs. 3 SVG vorgeschriebene Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr gebunden ist (vgl. BGE 150 IV 481 E. 2.2 und 2.4). Es kommt dabei auf das Datum der Verurteilung an, nicht auf Fahrpraxis (BGE 151 IV 88 E. 2.6).

  3. Ablehnung einer Notstandssituation und Strafmilderung nach Art. 90 Abs. 3bis SVG: Der Beschwerdeführer hatte ursprünglich eine Notstandssituation oder Strafmilderung nach Art. 90 Abs. 3bis SVG i.V.m. Art. 48 lit. a Ziff. 2 StGB (Handeln in schwerer Bedrängnis) geltend gemacht. Er begründete dies damit, dass er während des Überholmanövers realisiert habe, dass es nicht reichen würde, das Fahrzeug vor der nächsten Kurve wieder mit sicherem Abstand auf die Normalspur zu bringen, und deshalb stark beschleunigt habe. Das Bundesgericht bekräftigt jedoch, dass in solchen Situationen ein Überholmanöver abzubrechen ist und ein Notstand ausgeschlossen ist. Dies wurde bereits im Urteil 6B_1005/2023 vom 10. März 2025 E. 3 festgehalten. Entsprechend hat der Beschwerdeführer seine Berufung auf Notstand nicht mehr aufrechterhalten. Die Vorinstanz verneinte auch das Vorliegen einer "schweren Bedrängnis" gemäss Art. 48 lit. a Ziff. 2 StGB, da im Strassenverkehr von Fahrzeugführern Fahreignung und -kompetenz sowie das Einhalten der Verkehrsregeln erwartet werde. Ein Überholmanöver sei nur dann einzuleiten, wenn es unter Einhaltung der Regeln durchführbar ist, oder bei unerwarteten Umständen sofort abzubrechen.

  4. Objektiver Tatvorwurf und gefahrerhöhende Umstände: Die Vorinstanz begründete die Höhe der Strafe mit der gravierenden Geschwindigkeitsüberschreitung von 61 km/h (von 80 km/h auf 141 km/h), welche den Grenzwert für eine besonders krasse Missachtung gemäss Art. 90 Abs. 4 lit. c SVG nur knapp überschritt. Sie berücksichtigte zwar, dass die Überschreitung während des Überholmanövers nicht sehr lange dauerte. Entscheidend war jedoch die Kumulation weiterer gefahrerhöhender Umstände, die das Bundesgericht als überzeugend erachtete:

    • Überholmanöver: Die Raserfahrt erschöpfte sich nicht in der blossen Geschwindigkeitsüberschreitung, sondern erfolgte während eines Überholmanövers. Der überholte Fahrzeuglenker musste mit einer derart übersetzten Geschwindigkeit nicht rechnen.
    • Konkrete Gefährdung: Bereits ein kurzer Kontrollverlust über eines der Fahrzeuge hätte wegen der sehr hohen Geschwindigkeit und des geringen Seitenabstands schwerwiegende Konsequenzen gehabt. Es bestand zumindest eine konkrete Gefährdung für die Insassen des überholten Fahrzeugs.
    • Strasseneigenschaften und Umfeld: Die Strasse war nicht für derart hohe Geschwindigkeiten ausgelegt. Sie befand sich in einem Waldgebiet, wo unerwartet Wildtiere auftreten und zu einer Gefahrensituation für alle Beteiligten führen könnten. Diese Umstände erhöhten nach Auffassung der Vorinstanz die abstrakte Gefahr eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Toten in relevantem Ausmass und waren entsprechend verschuldenserhöhend zu berücksichtigen. Das Bundesgericht verweist hier auf sein Urteil 6B_1358/2017 vom 11. März 2019, welches der gefahrenen Geschwindigkeit im Rahmen von Art. 90 Abs. 4 SVG vorrangige Bedeutung beimisst und festhält, dass je gravierender die Überschreitung ausfällt, desto grösser das Unfallrisiko ist. Eine Verletzung des Doppelverwertungsverbots wurde verneint, da die Vorinstanz die spezifischen gefahrerhöhenden Umstände überzeugend dargelegt hatte, anders als in dem vom Beschwerdeführer zitierten Fall.
  5. Subjektives Verschulden und Täterkomponenten: Die Vorinstanz wertete das Handeln des Beschwerdeführers als leichtfertig und verantwortungslos. Er habe die Strecke gekannt und trotzdem an ungeeigneter Stelle und verspätet zum riskanten Überholmanöver angesetzt, motiviert durch Ungeduld (Eile wegen eines Vorstellungsgesprächs). Er hätte die zulässige Höchstgeschwindigkeit ohne Weiteres einhalten können, sich wieder hinter dem anderen Fahrzeug einreihen und an geeigneterer Stelle überholen können. Das Bundesgericht bekräftigt hier die Bedeutung des "Masses an Entscheidungsfreiheit" (Urteil 6B_91/2022 vom 18. Januar 2023 E. 3.4.3): Je leichter es gewesen wäre, die Norm zu respektieren, desto schwerer wiegt die Entscheidung dagegen. Hinsichtlich der Täterkomponenten stellte die Vorinstanz fest:

    • Strafregisterauszug: Der Beschwerdeführer war nicht vorbestraft, was neutral gewertet wurde (BGE 136 IV 1).
    • Wohlverhalten seit der Tat: Wurde nicht strafmindernd berücksichtigt, da es allgemein erwartet wird (Urteil 6B_291/2017 vom 16. Januar 2018 E. 2.2.4).
    • Geständnis und Reue: Ein Geständnis war gegeben, jedoch unter den Umständen (Messung, Anhalten) nahezu sinnlos abzulehnen. Eine gewisse Reue sei erkennbar, doch sei es angesichts der hohen Entscheidungsfreiheit fraglich, ob diese aufrichtig oder lediglich eine Tatfolgenreue sei.
    • Persönliche Verhältnisse: Die persönlichen Umstände (37 Jahre, verheiratet, zwei Kinder, Sanitär- und Heizungsmonteur, ca. CHF 5'900 netto) begründeten keine erhöhte Strafempfindlichkeit, da solche nur bei aussergewöhnlichen Umständen angenommen wird (Urteil 6B_18/2022 vom 23. Juni 2022 E. 2.6.1). Insgesamt stufte die Vorinstanz die Täterkomponenten als neutral ein, was vom Bundesgericht nicht beanstandet wurde.
  6. Bemessung der Verbindungsbusse: Die festgesetzte Verbindungsbusse von CHF 2'500.-- wurde als angemessen erachtet. Sie dient der Ernsthaftigkeit der Sanktion, der Denkzettelfunktion und soll verhindern, dass der Täter bessergestellt wird als bei einer Übertretung (BGE 149 IV 321; 135 IV 188 E. 3.4.4). Eine Herabsetzung war angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse und des Verschuldens nicht geboten, eine Erhöhung wegen des Verschlechterungsverbots ausgeschlossen.

III. Fazit und kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten wird, da die vorinstanzliche Strafzumessung nicht zu beanstanden war. Die Begründung der Vorinstanz, insbesondere die Gewichtung der zusätzlichen gefahrerhöhenden Umstände neben der reinen Geschwindigkeitsüberschreitung, fiel innerhalb des richterlichen Ermessens und entsprach bundesrechtlichen Vorgaben.

Wesentliche Punkte im Überblick:

  • Tatbestand: Qualifiziert grobe Verletzung der Verkehrsregeln ("Raserdelikt") durch Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit um 61 km/h (Art. 90 Abs. 3 und 4 lit. c SVG).
  • Strafrahmen: Anwendung von Art. 90 Abs. 3ter SVG, der den Strafrahmen auf Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren oder Geldstrafe erweitert und die Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr für Ersttäter aufhebt, aber nicht zwingend eine mildere Strafe vorschreibt.
  • Gefahrerhöhende Faktoren: Neben der massiven Geschwindigkeitsüberschreitung wurden das Überholmanöver selbst, die potenzielle Schreckreaktion des überholten Fahrzeuglenkers, der geringe Seitenabstand, die ungeeignete Strassenführung und das mögliche Auftreten von Wildtieren als verschuldenserhöhend gewichtet.
  • Ablehnung von Strafmilderung: Notstand oder schwere Bedrängnis wurden verneint, da von einem Fahrzeugführer erwartet wird, Überholmanöver sicher durchzuführen oder abzubrechen.
  • Subjektives Verschulden: Handeln aus Ungeduld und hohes Mass an Entscheidungsfreiheit wurden als leichtfertig und verantwortungslos eingestuft.
  • Täterkomponenten: Persönliche Verhältnisse (Ersttäter, Geständnis, Reue, persönliche Lage) wurden insgesamt als neutral für die Strafzumessung bewertet, da keine aussergewöhnlichen Umstände vorlagen.
  • Verbindungsbusse: Die Busse von CHF 2'500.-- wurde als angemessen erachtet, um die Ernsthaftigkeit der Tat zu unterstreichen.
  • Ermessenskontrolle: Das Bundesgericht fand keine Anhaltspunkte für eine Ermessensüberschreitung oder -missbrauch durch die Vorinstanz.