Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.
Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts befasst sich mit einer zentralen Frage des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts (SchKG), nämlich dem Beginn des Fristenstillstands der einjährigen Verwirkungsfrist für das Fortsetzungsbegehren gemäss Art. 88 Abs. 2 SchKG. Konkret geht es um den Fall, in dem ein Schuldner Rechtsvorschlag mit der Begründung erhebt, er sei nicht zu neuem Vermögen gekommen (Art. 265a SchKG). Das Bundesgericht hatte zu klären, ob der Stillstand der Frist bereits mit der Erhebung des Rechtsvorschlags durch den Schuldner oder erst mit der Überweisung des Rechtsvorschlags durch das Betreibungsamt an den Richter beginnt.
2. Sachverhalt und VerfahrensgangDie A._ mbH (Beschwerdeführerin/Gläubigerin) stellte am 10. März 2023 ein Arrestgesuch gegen B._ (Beschwerdegegner/Schuldner). Ein Arrestbefehl wurde am 15. März 2023 erlassen. In Prosequierung des Arrests leitete die Gläubigerin am 25. April 2023 eine Betreibung für eine Forderung von über CHF 1.6 Mio. ein, gestützt auf ein Urteil aus dem Jahr 2000 und einen Verlustschein von 2003. Der Zahlungsbefehl wurde dem Schuldner am 11. Mai 2023 zugestellt. Am gleichen Tag, dem 11. Mai 2023, erhob der Schuldner Rechtsvorschlag mit der Begründung, er sei nicht zu neuem Vermögen gekommen, bestritt jedoch die Forderung als solche nicht.
Das Betreibungsamt (BA) zeigte der Gläubigerin den Rechtsvorschlag am 12. Mai 2023 an und gewährte ihr eine zehntägige Frist zum Rückzug der Betreibung. Erst am 28. Juni 2023 überwies das BA den Rechtsvorschlag an den Einzelrichter des Regionalgerichts Albula. Dieser entschied am 3. August 2023 (eröffnet am 10. August 2023 und vollstreckbar seit 11. August 2023), dass der Rechtsvorschlag nicht bewilligt werde.
Am 31. Juli 2024 stellte die Gläubigerin das Fortsetzungsbegehren. Das Betreibungsamt wies dieses am 2. September 2024 zurück, da die Frist gemäss Art. 88 Abs. 2 SchKG nicht eingehalten worden sei. Die kantonale Aufsichtsbehörde, das Obergericht des Kantons Graubünden, bestätigte diesen Entscheid am 22. Januar 2025. Das Obergericht vertrat die Ansicht, der Fristenstillstand habe erst am 28. Juni 2023 (Überweisung durch das BA) begonnen und am 11. August 2023 geendet, was eine Stillstandsdauer von 44 Tagen ergebe. Damit sei die Jahresfrist am 24. Juni 2024 abgelaufen, und das Fortsetzungsbegehren vom 31. Juli 2024 sei verspätet gewesen.
3. Rechtliche Problematik und Begründung des BundesgerichtsDie zentrale Rechtsfrage, die das Bundesgericht zu beurteilen hatte, war der genaue Beginn des Fristenstillstands nach Art. 88 Abs. 2 SchKG, wenn ein Schuldner Rechtsvorschlag wegen fehlenden neuen Vermögens erhebt (Art. 265a SchKG).
3.1. Grundlagen des Fristenstillstands nach Art. 88 Abs. 2 SchKGGemäss Art. 88 Abs. 2 SchKG erlischt das Recht des Gläubigers, die Fortsetzung der Betreibung zu verlangen, ein Jahr nach Zustellung des Zahlungsbefehls. Diese Verwirkungsfrist dient dazu, eine übermässig lange Untätigkeit des Gläubigers zu verhindern und den Schuldner nicht zu lange im Ungewissen über die Weiterführung der Betreibung zu lassen. Ist Rechtsvorschlag erhoben worden, so steht diese Frist zwischen der Einleitung und der Erledigung eines dadurch veranlassten Gerichts- oder Verwaltungsverfahrens still. Der Gläubiger soll keinen Nachteil erleiden, wenn der Schuldner ein solches Verfahren initiiert. Die Frist ruht, solange das Verfahren andauert, und beginnt erst wieder zu laufen, nachdem ein vollstreckbarer Gerichtsentscheid vorliegt.
3.2. Das zweistufige Verfahren nach Art. 265a SchKG (Einrede mangelnden neuen Vermögens)Erhebt der Schuldner Rechtsvorschlag mit der Begründung, er sei nicht zu neuem Vermögen gekommen (Art. 75 Abs. 2 SchKG), so überweist das Betreibungsamt den Rechtsvorschlag von Amtes wegen dem Richter des Betreibungsorts (Art. 265a Abs. 1 SchKG). Diese Überweisung erfolgt ungeachtet der Meinung des Betreibungsbeamten über die Zulässigkeit der Einrede; seine Prüfung ist rein formeller Natur. Der Richter entscheidet im summarischen Verfahren über die Bewilligung des Rechtsvorschlags. Gegen diesen Entscheid ist kein Rechtsmittel zulässig. Die Parteien können jedoch innert 20 Tagen nach Eröffnung des Entscheids eine Klage auf Bestreitung oder Feststellung des neuen Vermögens beim Richter einreichen (Art. 265a Abs. 4 SchKG). Dieses Verfahren ist ein ordentliches Verfahren. Art. 265a SchKG sieht somit ein zweistufiges Verfahren vor: ein summarisches Bewilligungsverfahren und ein allenfalls darauf folgendes ordentliches Verfahren, das als eine Art Rechtsmittel gegen den summarischen Entscheid fungiert und denselben Gegenstand (Frage des neuen Vermögens) hat.
3.3. Geltung des Fristenstillstands für Art. 265a SchKG-VerfahrenDas Bundesgericht prüfte zunächst, ob die Verfahren nach Art. 265a SchKG überhaupt einen Fristenstillstand gemäss Art. 88 Abs. 2 SchKG bewirken. * Historische Entwicklung: Die frühere Fassung von Art. 88 Abs. 2 SchKG sprach von einer "gerichtlichen Erledigung der Klage" und wurde als zu eng erachtet. Mit der Revision von 1997 wurde der Wortlaut auf "Gerichts- oder Verwaltungsverfahren" erweitert, um den Anwendungsbereich zu vergrössern. Bereits unter der alten Fassung wurde in der Rechtsprechung (BGE 57 III 201) angenommen, dass die Frist auch während eines Verfahrens betreffend Feststellung neuen Vermögens stillstehe, da zur Beseitigung des Rechtsvorschlags ein eigentliches gerichtliches Verfahren nötig sei, unabhängig davon, ob materielle oder nur betreibungsrechtliche Einwendungen geltend gemacht würden. * Auslegung nach Wortlaut, Systematik und Zweck: Nach dem Wortlaut umfasst Art. 88 Abs. 2 SchKG in der geltenden Fassung sowohl das summarische Verfahren nach Abs. 1 als auch das ordentliche Verfahren nach Abs. 4 von Art. 265a SchKG. Beide sind durch den Rechtsvorschlag veranlasste Gerichtsverfahren. Obwohl erst die richterliche Bewilligung die Betreibung zum Stillstand bringt, wird das summarische Verfahren durch den Rechtsvorschlag selbst ausgelöst. Auch der Zweck der Verwirkungsfrist spricht dafür: Es besteht kein Grund, den Gläubiger wegen Untätigkeit zu sanktionieren, solange ein Gerichtsverfahren zur Klärung der Betreibungsvoraussetzungen läuft. Eine unterschiedliche Behandlung des summarischen und des ordentlichen Verfahrens wäre angesichts ihres gemeinsamen Gegenstands und des Rechtsmittelcharakters des ordentlichen Verfahrens nicht sachgerecht. * Schlussfolgerung: Das Bundesgericht hält fest, dass die Maximalfrist von Art. 88 Abs. 2 SchKG während des Verfahrens betreffend Feststellung neuen Vermögens (Art. 265a SchKG), einschliesslich beider Stufen (summarisch und ordentlich), stillsteht.
3.4. Beginn des Fristenstillstands im Kontext von Art. 265a Abs. 1 SchKGDies war der Kernpunkt der Auseinandersetzung. * Auffassungen der Parteien und Vorinstanz: * Das Obergericht argumentierte, der Fristenstillstand beginne erst mit der Überweisung des Rechtsvorschlags an das Gericht (hier: 28. Juni 2023), da zuvor noch die vom Betreibungsamt gewährte zehntägige "Bedenkfrist" für den Gläubiger laufe, die gerade der Abwendung des gerichtlichen Verfahrens diene. * Die Gläubigerin machte geltend, das summarische Verfahren werde bereits mit der Erhebung des Rechtsvorschlags durch den Schuldner eingeleitet (hier: 11. Mai 2023), da die Überweisung an den Richter durch das Betreibungsamt automatisch und ohne Einfluss des Gläubigers erfolge. * Grammatikalische Auslegung: "Einleitung des Gerichtsverfahrens" im Sinne von Art. 88 Abs. 2 SchKG wird in der Regel mit dem Eintritt der Rechtshängigkeit (Art. 62 ZPO) gleichgesetzt, welche durch eine prozesseinleitende Handlung einer Partei (z.B. Klageeinreichung) begründet wird. Eine Handlung einer Behörde wird in diesem Kontext normalerweise nicht als "Einleitung" verstanden. Im Falle von Art. 265a Abs. 1 SchKG ist der Rechtsvorschlag des Schuldners diejenige Erklärung einer Partei, die das summarische Bewilligungsverfahren in Gang setzt; weitere Erklärungen sind nicht erforderlich. Daher ist der Beginn des Fristenstillstands mit der Erhebung des Rechtsvorschlags durch den Schuldner zu verknüpfen. * Widerlegung von Gegenargumenten: * Die Praxis der Betreibungsämter, dem Gläubiger eine Bedenkfrist für den Rückzug der Betreibung einzuräumen, ist nicht gesetzlich vorgeschrieben und irrelevant für den Beginn des Stillstands. Ein Rückzug würde die Frage des Fristenstillstands ohnehin hinfällig machen. * Der Verweis auf Literatur, die den Stillstand an die "Einleitung eines Rechtsöffnungsverfahrens" knüpft, ist nicht einschlägig, da diese Ausführungen Verfahren betreffen, die vom Gläubiger eingeleitet werden, nicht aber das vorliegende summarische Bewilligungsverfahren, das durch den Rechtsvorschlag des Schuldners ausgelöst wird und vom Betreibungsamt von Amtes wegen weitergeleitet wird. * Teleologische Auslegung: Die grammatikalische Auslegung wird durch den Normzweck bestätigt. Zwischen der Erhebung des Rechtsvorschlags und der Erledigung des daraus resultierenden gerichtlichen Verfahrens besteht kein Grund, den Gläubiger wegen Untätigkeit zu sanktionieren. Das Betreibungsamt ist zur Überweisung des Rechtsvorschlags von Amtes wegen verpflichtet; der Gläubiger hat keinen Einfluss auf die Geschwindigkeit dieser behördlichen Handlung. Es wäre unbillig, die Frist des Gläubigers von der Effizienz des Betreibungsamtes abhängig zu machen. * Fazit zum Beginn des Stillstands: Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass Art. 88 Abs. 2 SchKG so zu verstehen ist, dass das summarische Verfahren gemäss Art. 265a Abs. 1 SchKG in dem Zeitpunkt als eingeleitet gilt, in dem der Schuldner Rechtsvorschlag wegen fehlenden neuen Vermögens erhebt.
3.5. Anwendung auf den konkreten FallDas Fortsetzungsbegehren wurde somit innerhalb der neu berechneten Jahresfrist gestellt und war rechtzeitig. Die Rückweisung durch das Betreibungsamt und die Bestätigung durch das Obergericht erfolgte unter falscher Anwendung von Bundesrecht.
4. Entscheid des BundesgerichtsDie Beschwerde wurde gutgeheissen. Der Entscheid des Obergerichts des Kantons Graubünden vom 22. Januar 2025 wurde aufgehoben. Das Betreibungsamt der Region Albula wurde angewiesen, dem Fortsetzungsbegehren der Beschwerdeführerin Folge zu geben und unverzüglich die Pfändung zu vollziehen. Die Gerichtskosten wurden dem Beschwerdegegner auferlegt, und dieser wurde zur Zahlung einer Parteientschädigung an die Beschwerdeführerin verpflichtet.
5. Zusammenfassung der wesentlichen Punkte