Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_507/2025 vom 3. Dezember 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des schweizerischen Bundesgerichts 6B_507/2025 vom 3. Dezember 2025

1. Parteien und Gegenstand des Verfahrens

Im vorliegenden Verfahren hatte sich das Bundesgericht mit einer Beschwerde in Strafsachen des Beschwerdeführers A._ gegen das Urteil des Appellationshofs des Kantonsgerichts des Kantons Waadt vom 27. Februar 2025 zu befassen. Der Beschwerdeführer wurde von der Vorinstanz wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte gemäss Art. 285 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 30 Franken verurteilt. Die Beschwerde richtete sich gegen diese Verurteilung und rügte im Wesentlichen eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung sowie eine Verletzung des Grundsatzes in dubio pro reo und eine fehlerhafte Anwendung von Art. 285 StGB. Beschwerdegegner waren die zentrale Staatsanwaltschaft des Kantons Waadt und der Brigadier B._.

2. Sachverhalt, der dem Urteil zugrunde liegt

Die Vorinstanz stellte im Wesentlichen folgenden Sachverhalt fest: Am 26. Oktober 2023, gegen 02:40 Uhr, intervenierte die Polizei in Lausanne. Der Beschwerdeführer A._ gestikulierte dabei in der Nähe des Brigadiers B._ und versuchte, die Intervention mit dem Mobiltelefon eines Begleiters zu filmen. Als Brigadier B._ sein Handgelenk packte und ihn aufforderte, sich zu beruhigen, versetzte A._ ihm einen Faustschlag gegen die rechte Schulter und warf das Mobiltelefon seines Freundes weg. Anschliessend wurde A._ vom Brigadier durch einen Armhebel fixiert, gefesselt und auf den Polizeiposten gebracht.

Der Beschwerdeführer, ein ukrainischer Staatsangehöriger, geboren 2001, verfügt über einen Bachelor-Abschluss in Management und Wirtschaft sowie einen MBA in nachhaltiger Entwicklung. Er arbeitet als Administrator in einem SPA mit einem monatlichen Nettoeinkommen von 4'000 Franken und besitzt Ersparnisse von etwa 3'000 Franken ohne Schulden. Sein Strafregister weist keine Einträge auf.

3. Anträge des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer beantragte vor Bundesgericht die Freisprechung vom Vorwurf der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte. Eventualiter verlangte er die Aufhebung des kantonalen Urteils und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung.

4. Begründung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüfte die Rügen des Beschwerdeführers in Bezug auf die Sachverhaltsfeststellung und die rechtliche Würdigung der Tat nach Art. 285 StGB.

4.1. Zur Sachverhaltsfeststellung und dem Willkürverbot / in dubio pro reo

4.1.1. Grundsätze der Sachverhaltsüberprüfung Das Bundesgericht hielt einleitend fest, dass es keine Appellationsinstanz ist, bei der Sachverhalte frei neu diskutiert werden könnten (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es ist an die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz gebunden, es sei denn, diese wurden offensichtlich unrichtig oder in Verletzung des Rechts im Sinne von Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG festgestellt, namentlich willkürlich gemäss Art. 9 BV. Willkür liegt vor, wenn der Entscheid nicht nur diskutierbar oder kritisierbar erscheint, sondern offensichtlich unhaltbar ist, und dies nicht nur in seiner Begründung, sondern auch im Ergebnis (BGE 150 IV 360 E. 3.2.1). Bei der Beweiswürdigung liegt Willkür nur vor, wenn die Behörde ein Beweismittel ohne ernsthaften Grund nicht berücksichtigt, dessen Sinn und Tragweite offensichtlich verkennt oder unhaltbare Schlüsse daraus zieht.

Der Grundsatz in dubio pro reo, der durch Art. 10 StPO, Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 14 Abs. 2 UNO-Pakt II und Art. 6 Abs. 2 EMRK gewährleistet ist, betrifft sowohl die Beweislast als auch die Beweiswürdigung. Als Beweislastregel bedeutet er, dass die Beweislast der Anklage obliegt und der Zweifel dem Angeklagten zugutekommen muss. Als Beweiswürdigungsregel bedeutet er, dass der Richter sich nicht von der Existenz einer für den Angeklagten ungünstigen Tatsache überzeugen darf, wenn aus objektiver Sicht ernsthafte und unüberwindliche Zweifel an der Existenz dieser Tatsache bestehen. Bei der Rüge von Willkür in der Sachverhaltsfeststellung hat der Grundsatz in dubio pro reo keine über das Willkürverbot hinausgehende eigenständige Bedeutung (BGE 148 IV 409 E. 2.2).

4.1.2. Beweiswürdigung im konkreten Fall Das Bundesgericht betonte, dass die kantonale Behörde ihre Überzeugung hinsichtlich der Fakten auf eine Gesamtheit konvergierender Elemente oder Indizien stützen darf. Es genügt nicht, wenn ein einzelnes Argument isoliert betrachtet ungenügend erscheint; die Beweiswürdigung ist im Ganzen zu prüfen. Auch wenn einzelne unterstützende Argumente schwach erscheinen mögen, liegt keine Willkür vor, wenn die getroffene Lösung durch andere, überzeugende Argumente gestützt werden kann (Verweise auf Urteile 6B_1001/2024 und 6B_589/2024).

Grundsätzlich verbietet das Prinzip der freien Beweiswürdigung, bestimmten Beweismitteln, wie Polizeirapporten, von vornherein eine erhöhte Beweiskraft zuzuschreiben. Solche Dokumente sind jedoch ihrer Natur nach geeignet und dazu bestimmt, als Beweismittel zu dienen, da der Polizist darin von ihm festgestellte Fakten wiedergibt (Verweise auf Urteile 6B_1143/2023, 6B_55/2018).

4.1.3. Anwendung auf den Fall des Beschwerdeführers Die Vorinstanz stützte ihre Sachverhaltsfeststellung insbesondere auf die Umstände des Polizeieinsatzes, die als "gemessen und aufrichtig" beurteilten Aussagen des Beschwerdegegners (Brigadier B._) in der Gerichtsverhandlung, den Polizeirapport (erstellt von zwei vereidigten Beamten) sowie den durch Alkoholkonsum verstärkten Erregungszustand des Beschwerdeführers. Die Vorinstanz stellte Widersprüche in den Aussagen des Beschwerdeführers in der ersten und zweiten Instanz fest und hielt fest, dass er sich aufgrund seiner Alkoholisierung – er wurde bereits zuvor von einem anderen Polizisten wegen Belästigung von Passanten verwarnt und schien stark angetrunken zu sein – in keinem adäquaten Zustand befand.

Das Bundesgericht erachtete die Einwände des Beschwerdeführers gegen diese Sachverhaltsfeststellung als appellatorisch und somit unzulässig. Der Beschwerdeführer bestritt nicht die Umstände des Polizeieinsatzes, die Gemessenheit der Aussagen des Brigadiers, seine eigene Alkoholisierung zum Tatzeitpunkt oder das Wegwerfen des Mobiltelefons. Seine eigene Einschätzung des Kontextes, seiner Aussagen und seines Zustandes sei nicht geeignet, die vorinstanzliche Würdigung als willkürlich erscheinen zu lassen. Der Einwand, die Vorinstanz habe "unverständlich" angenommen, er sei zuvor verwarnt worden, wurde zurückgewiesen, da dies explizit aus dem Polizeirapport hervorgehe. Auch die zehn Monate nach den Ereignissen eingetretenen Erinnerungslücken des Brigadiers (betreffend die genaue Schulter, das gepackte Handgelenk oder die genaue Position beim Anlegen der Handschellen) würden die vorinstanzliche Würdigung der Aussagen als gemessen und aufrichtig nicht in Frage stellen, sondern vielmehr bestätigen. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Videos und der Telefonanruf bei der Polizei, die den Ereignissen vor- oder nachgingen, seien nicht geeignet, die ihm vorgeworfenen Fakten zu widerlegen.

Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die Vorinstanz der Version der beiden Polizisten, wie im Polizeirapport festgehalten, keine die Unschuldsvermutung verletzende erhöhte Beweiskraft beigemessen habe. Angesichts der Umstände des Polizeieinsatzes und der Gesamtheit der berücksichtigten Elemente sei die Sachverhaltsfeststellung nicht willkürlich.

4.2. Zur Verletzung von Art. 285 Abs. 1 StGB

4.2.1. Rechtliche Grundlagen der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte Art. 285 Abs. 1 StGB bestraft, wer unter Anwendung von Gewalt oder Drohung eine Behörde, ein Mitglied einer Behörde oder einen Beamten an der Vornahme einer Amtshandlung hindert, dazu zwingt oder während einer solchen Amtshandlung tätlich angreift, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. In leichten Fällen kann eine Geldstrafe ausgesprochen werden.

Als Amtshandlung im Sinne von Art. 285 StGB gilt jede Handlung, die von der zuständigen Behörde im Rahmen ihrer Zuständigkeiten vorgenommen wird (Verweise auf Urteile 6B_533/2025, 6B_386/2023, 6B_366/2021). Die Bestimmung erfasst sowohl das Hinderung oder Zwingen zu einer Amtshandlung mittels Gewalt oder Drohung als auch Tätlichkeiten, die während einer Amtshandlung begangen werden.

Der Begriff der Tätlichkeiten ist derselbe wie in Art. 126 StGB. Tätlichkeiten sind körperliche Angriffe, die über das im gesellschaftlichen Umgang Übliche und Duldenswerte hinausgehen und weder eine Körperverletzung noch eine Gesundheitsschädigung verursachen. Eine solche Beeinträchtigung kann auch ohne physische Schmerzen vorliegen (BGE 134 IV 189 E. 1.2). Tätlichkeiten im Sinne von Art. 285 StGB müssen eine gewisse Intensität aufweisen. Das Provozieren einer offensichtlich unangenehmen Situation für die betroffene Person, wie beispielsweise ein Anspucken, ist jedoch ausreichend (Verweise auf Urteile 6B_182/2022, 6B_366/2021). Die Intensität der Gewalt ist nach den konkreten Umständen zu beurteilen; dabei spielt es keine Rolle, ob der Täter Hände, Füsse oder einen Gegenstand verwendet (Verweise auf Urteile 6B_182/2022, 6B_366/2021, 6B_1339/2018).

Subjektiv erfordert die Straftat nach Art. 285 StGB Vorsatz, wobei Eventualvorsatz (dol éventuel) genügt (Verweise auf Urteile 6B_274/2025, 6B_1313/2018). Was eine Person wusste, wollte, in Betracht zog oder in Kauf nahm, betrifft den Inhalt des Denkens, d.h. "innere Tatsachen", die das Bundesgericht als Sachverhalt binden (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, sie wurden willkürlich festgestellt. Die Frage, ob die kantonale Behörde einen zutreffenden Begriff des Vorsatzes angewandt und diesen auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen korrekt umgesetzt hat, ist hingegen eine Rechtsfrage (BGE 150 IV 433 E. 6.10.1).

4.2.2. Anwendung auf den Fall des Beschwerdeführers Die Vorinstanz hatte im Wesentlichen angenommen, das Verhalten des Beschwerdeführers stelle Tätlichkeiten gegenüber dem Polizeibrigadier dar, zumindest im Sinne des Eventualvorsatzes.

Der Beschwerdeführer bestritt nicht, dass der Brigadier zum Zeitpunkt der Ereignisse in seiner Funktion als Beamter eine Amtshandlung vornahm. Die willkürfrei festgestellten Tatsachen zeigten, dass der Beschwerdeführer dem Brigadier während dessen Versuch, ihn zu beruhigen, einen Faustschlag auf die Schulter versetzt hatte. Der Beschwerdeführer konnte sich nicht auf eine unzureichende Intensität seines Verhaltens berufen, indem er appellatorisch von einem "kleinen Gerangel" oder einer "einfachen Grobheit" sprach. Die Beschreibung der Vorinstanz, der Beschwerdeführer habe gestikuliert, sich gewehrt und ein Gerangel verursacht, stelle den Faustschlag nicht in Frage, sondern beziehe sich höchstens auf den subjektiven Aspekt der Tat. Die Vorinstanz habe das Bundesrecht nicht verletzt, indem sie den Faustschlag auf die Schulter des Brigadiers als eine körperliche Beeinträchtigung von ausreichender Intensität für Tätlichkeiten qualifizierte.

Aus subjektiver Sicht konnte der Beschwerdeführer nicht aufzeigen, dass die Vorinstanz willkürlich angenommen hatte, er hätte durch sein ein Gerangel provozierendes Verhalten in der Nähe des Polizisten nicht ignorieren können, dass er Tätlichkeiten begehen würde. Die Aussage des Brigadiers, die Geste könnte unwillkürlich gewesen sein, widerlege nicht, dass der Beschwerdeführer die Folgen seiner Handlung im gegebenen Kontext in Betracht gezogen und in Kauf genommen hatte (Eventualvorsatz).

Angesichts dieser Erwägungen erachtete das Bundesgericht die Verurteilung des Beschwerdeführers als nicht zu beanstanden.

5. Entscheid des Bundesgerichts

Das Bundesgericht wies die Beschwerde, soweit sie zulässig war, ab. Die Gerichtskosten wurden dem Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Kurzfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 Abs. 1 StGB). Es wies die Rüge der willkürlichen Sachverhaltsfeststellung und der Verletzung des in dubio pro reo-Grundsatzes zurück, da die vorinstanzliche Beweiswürdigung, gestützt auf Polizeiberichte, Zeugenaussagen und den Zustand des Beschwerdeführers, nicht als offensichtlich unhaltbar befunden wurde. Die Qualifikation des Faustschlags gegen die Schulter eines Polizisten als Tätlichkeit mit ausreichender Intensität wurde als rechtskonform erachtet. Auch der Eventualvorsatz wurde bejaht, da der Beschwerdeführer die Möglichkeit von Tätlichkeiten in der von ihm geschaffenen Situation in Kauf genommen hatte. Das Gericht stellte fest, dass die rechtliche Würdigung der Tat nicht zu beanstanden war.